Label-Wirtschaft hat sich für alle Beteiligten gewandelt und doch ist man sich an unserem Round Table auf ein Bier oder Soda Zitron im Chelsea nicht ganz einig, wie die Musikindustrie heute und in Zukunft dasteht. Ein Gespräch mit Bettina Schöll (Ink Music), Stefan Redelsteiner (Lotter Label), Jamal Hachem (Affine Records) und Theresa Langner (Assim Records) über die großen Systeme und die kleinen Acts.
Zum Einstieg: Was können Indie-Labels leisten und was ist ihre Funktion? Was unterscheidet sie eurer Meinung nach von Majors?
Jamal Hachem: Es ist schwierig, das so allgemein zu formulieren, weil die Grenzen immer mehr verschwimmen. Der größte Unterschied ist wahrscheinlich der finanzielle Aspekt. Wobei ich immer wieder höre, dass Majors auch nicht mehr die Budgets haben wie früher.
Stefan Redelsteiner: In Österreich ist es so, dass es von den Budgets teilweise oft keine Unterschiede gibt. Ich glaub, der maßgebliche Unterschied in Österreich ist einfach, dass Major-Labels Durchlaufstationen für internationale Acts sind, dass es kaum ein Domestic Repertoire gibt. Und das, was es gibt, ist zu 99 % Schlager, Volksmusik und »Die große Chance« oder wie die ganzen TV- Sachen heißen. Wir aus der Indie-Welt sind dafür da, Bands groß zu machen, die dann eventuell von Major-Labels übernommen werden können.
Jamal: Ich finde die Herangehensweise ist auch oft ein wesentlicher Unterschied. Aber es gibt auch Indies, die versuchen, Majors zu imitieren. Man muss sich das wirklich von Fall zu Fall anschauen. Diese Trennlinie, die es vielleicht in den 80ern oder in den 90ern gegeben hat, wo auch der Begriff Gegenkultur noch mehr gegolten hat, die verschwimmt auch dadurch, dass viele Werkzeuge, die wir verwenden, einfach die gleichen sind.
Theresa Langner: Indies haben generell eher weniger Künstler zu betreuen als Majors und dadurch kann sich ein Act auf dem Weg vielleicht mehr begleitet fühlen bei einem Indie, weil ein Major vielleicht für einen kleinen Act, der sich noch nicht etabliert hat und der auch noch nicht so viel Kohle macht für das Label, auch nicht so viel Zeit hat.
Bettina Schöll: Die kleinen Acts müssen halt dann auch gleich mit der ersten Single performen, sonst sind sie gleich wieder weg vom Fenster. Wenn bei uns eine potenzielle Single nicht funktioniert, dann arbeitet man weiter mit dem Künstler an dem Produkt und an der ganzen Künstlerkarriere. Beim Major bist du, glaub ich, einfach schneller abgesägt.
Auf welchem Level müssen denn Acts sein, damit sich ein Indie-Label für sie interessieren kann?
Bettina: Mindestanforderung ist, dass du als Wirtschaft treibendes Unternehmen Potenzial in einem Produkt siehst. Dadurch, dass wir mit Live und Verlag eigentlich alle Bereiche abdecken, haben wir sehr viele Möglichkeiten, die Band oder den Künstler zu testen. Viele Bands funktionieren auch einfach nur mehr oder hauptsächlich über Merch direkt nach dem Konzert, weil im Streaming die Finanzen eher mau aussehen.
Wie seht ihr denn die aktuelle wirtschaftliche Lage am Musikmarkt. Es war zuletzt ja ein lokaler Aufschwung da mit dem Hype rund um österreichische Musik, aber generell ein finanzieller Einbruch durch den Wechsel hin zum Streaming. Was ist eure Diagnose für die Gegenwart und vielleicht auch für die Zukunft in Österreich?
Stefan: Am Ende läuft’s immer auf dasselbe hinaus: Die guten Bands werden immer »funktionieren«, das ist ein schrecklichen Wort eigentlich (lacht), aber wenn es jetzt um diese wirtschaftlichen Sachen geht … Wir haben das dieses Jahr bei unserem Label gemerkt. Wir sind mit Lotter Label mit sieben bis neun Bands ins Jahr gestartet und mittlerweile sind, wenn man auf die Homepage geht, nur noch drei Bands oben. Weil wir auch den Fehler gemacht haben, dass wir auf Leute gehört haben, die uns gesagt haben, hey, die Band ist cool – wo man dann anfängt in diese Op- portunismusfalle hineinzutappen, dass man glaubt, wenn ich das jetzt mache, dann kann ich Erfolg haben. Und die Dinge machen dann erstens überhaupt keinen Spaß und zweitens funktionieren sie – also in unserem Fall – auch nicht so gut. Ich weiß nicht, ob wir alle den Fehler schon gemacht haben, aber ich habe den Fehler dieses Jahr auf jeden Fall gemacht und jetzt will ich ihn mal in nächster Zeit nicht mehr machen.
Jamal: Ich sehe da die größere Klammer und die größere Klammer ist die, dass der Raubtierkapitalismus ein bereits gescheitertes System ist. Das System, in dem wir uns als Gesellschaft bewegen, ist kein friedenstiftendes Modell. Die einzelnen Erfolgsmodelle, die es immer wieder gibt, können außerdem nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass diese Struktur für die große Mehrheit der Kunst- und Kulturschaffenden kein nachhaltiges und faires Modell ist, in dem wir uns bewegen.
Stefan: Aber das war ja immer schon so, auch vor 30 Jahren.
Jamal: Ja, aber die Situation hat sich noch weiter verschärft. Und nur weil das früher schon so war …
Stefan: Ich sag ja nicht, dass es gut ist. Der Markt, der Kuchen war einfach größer, aber es haben sich trotzdem immer nur sehr wenige einen Teil vom Kuchen geschnappt.
Jamal: Aber die Systematik ist heute eben eine andere, weil wir vor allem in global zusammenhängenden monetarisierten Räumen unterwegs sind. Im Bereich Streaming ist die Entwertung für den Großteil der Künstler und Labels am meisten spürbar. Das passiert ja nicht nur in der Musikbranche. Der Journalismus zum Beispiel hat ja sein Geschäftsmodell auch an der Garderobe des Silicon Valley abgegeben. Es sind so viele Bereiche, in denen wir uns einigen wenigen Tech-Konzernen ausgeliefert haben. Wir als Gesellschaft, meine ich natürlich. Jetzt gilt es Modelle zu entwickeln, die für viele Menschen funktionieren und nicht nur für den Einzelnen. Das hat eine größere gesellschaftliche Relevanz – das geht weit über Indie- oder Major-Labels hinaus.
Stefan: Aber jetzt mal weg vom Politischen und zurück zur Musik: Es ist ja nicht unbedingt ungerecht, dass nur wenige Acts groß werden. Das hat ja was mit dem Publikum zu tun. Die ganze Indie-Kultur gibt es ja erst seit 1977 in der Form, mit Indie-Labels usw. Und da war das ja auch immer schon von den Indies selbst so gewollt, weil sonst würden sie sich ja von den Majors nicht unterscheiden. Und das ist ja voll okay so und wir sind ja stolz drauf.
Jamal: Es geht ja für viele sogenannte Major-Acts genauso nicht auf.
Stefan: Wenn Major-Labels nicht aufgehen, dann hat irgendwas nicht funktioniert.
Jamal: Ja, klar. Eine ganze Reihe von Dingen hat nicht funktioniert. Nehmen wir ein Major-Label her, das 20 Künstler signt. Es steigen 20 Luftballons in die Höhe. Davon platzen 15 irgendwann auf halber Strecke. Dahinter verbergen sich aber Menschen, Schicksale, Erwartungshaltungen. Die anderen fünf fliegen weiter in die Luft und drei davon bleiben irgendwann mal auf einem guten Level. Die anderen zwei fliegen immer weiter, immer weiter, das sind dann so quasi die Ed Sheerans und Beyoncés.
Stefan: Aber die Luftballons, die explodiert sind auf halbem Weg, die hat ja keiner versklavt und gezwungen, dass sie versuchen, einen Major-Vertrag zu bekommen.
Jamal: Diese Ballons können genauso in Indie-Strukturen platzen. Aber das gängige Geschäftsmodell der Majors kann man sich dann doch mal genauer anschauen. Und dafür reicht im Prinzip in einem globalisierten Markt eine sogenannte Cashcow und der Rest ist scheißegal.
Bettina: Die würde aber auch für ein Indie-Label reichen. Wir sind halt einfach eingespielt in unserer Arbeit. Wir setzen immer auf bestimmte Pferde und hoffen, dass diese ins Ziel laufen – und noch weiter darüber hinaus.
Stefan: Gerade bei Indie-Labels ist es ja so: Wenn einer von den fünf Ballons oder Pferden funktioniert, heißt das ja nicht dass man die anderen gleich in die Mülltonne haut. Sondern wenn man dran glaubt, wenn man es aus Liebe zu der Band und zur Musik und zu allem macht, dann wirst du die nicht fallen lassen. Aber ich gebe dir recht, bei Majors ist das ein bisschen herzloser, da spielt man halt dann auch das große Spiel.
Bettina: Anders könnten sie vielleicht auch gar nicht funktionieren. Weil wenn sie mit den zwei obersten Luftballons die 18 unteren querfinanzieren, sitzen sie an genau dem gleichen Tisch wie wir.
Jamal: Deswegen habe ich auch gemeint, das, was uns wahrscheinlich am meisten unterscheidet, ist die Herangehensweise.
Weiter zu: Der Friedhof von Spotify, Förderungen, und Schlager.