Label-Wirtschaft hat sich für alle Beteiligten gewandelt und doch ist man sich an unserem Round Table auf ein Bier oder Soda Zitron im Chelsea nicht ganz einig, wie die Musikindustrie heute und in Zukunft dasteht. Ein Gespräch mit Bettina Schöll (Ink Music), Stefan Redelsteiner (Lotter Label), Jamal Hachem (Affine Records) und Theresa Langner (Assim Records) über die großen Systeme und die kleinen Acts.
Theresa: Ich möchte da ganz kurz die Spotify-Thematik aufgreifen. Spotify macht es eigentlich – und ich meine nicht, was die Auszahlung an die Künstler und Songwriter betrifft, sondern wie die Playlisten erstellt werden – ganz fair. Weil von Künstlern, die auf Streaming-Plattformen gut performen, wachsen die Streaming-Zahlen immer mehr – und vielleicht ergibt sich dann ein Ballon, der in die Luft steigt und über dem Indie schwebt, ihn mitzieht. Das sehe ich nicht negativ. Alle deine Acts profitieren ja davon, dass dein Label mit diesem Act assoziiert wird und jeder andere Act auf deinem Label kann ja dann an deinem Kuchen mitnaschen.
Jamal: Gegenwärtige Streaming-Modelle haben faktisch zu einer Entwertung geführt und das kann man nicht schönreden.
Theresa: Ich sehe das gar nicht. Ich finde, das kommt auf den Hörer an. Wenn ein Hörer ein Lean-back-Hörverhalten hat und im Hintergrund eine Playlist laufen lässt, dazu nebenbei im Fitnessstudio sein Workout macht und nicht darauf achtet, welchen Song er gerade hört, dann ist das wie Radio hören.
Jamal: Das ist gewissermaßen kulturelle Entwertung.
Theresa: Aber Spotify kann genauso für den Forward-Hörer Playlisten generieren, wo die Hörer dann jeden Song einzeln durchgehen und sagen, ah der ist geil, der gefällt mir und den speichere ich in meiner eigenen Playlist. Mann muss es einfach auch als Promotiontool sehen.
Jamal: Das ist der ewige Schmäh des Neoliberalismus: das Promotiontool. Wenn das auf Kosten einer Entwertung stattfindet … Ein Promotiontool kann kein Instrumentarium ersetzen, das faire Umsätze generiert. Und ich rede hier immer von einer Mehrheit, und nicht von Ausnahmen, die innerhalb dieser Logik funktionieren. Diese ständig als Beispiel zu nehmen, ist komplett absurd. Das ist so, wie wenn man jedes Mal die zehn gleichen Millionäre zeigt und dies als Beleg für Verteilungsgerechtigkeit anführt, aber was ist mit den anderen 99 %?
Theresa: Es heißt ja nicht, dass Spotify so bleibt, wie es jetzt ist hinsichtlich der Monetarisierung. Jetzt ist es halt komplett intransparent, du weißt überhaupt nicht, wo welche Gelder gescheffelt werden. Und bei Spotify weiß man zum Teil, glaub ich, nicht einmal, wo welcher Songwriter beteiligt ist, weil du es beim einzelnen Song einfach nicht hast eingeben müssen. Das muss sich weiterentwickeln, das weiß die ganze Industrie.
Bettina: Es ist bei Spotify eh dasselbe System wie zum Beispiel bei Förderungen oder bei der Auszahlung von Tantiemen: Die Erlöse, die nicht eins zu eins zurechenbar sind, werden nach dem Kuchenprinzip aufgeteilt – jeder kriegt seinen Share. Das heißt, wenn da ein Pott an Geld übrigbleibt, der nicht zuordenbar ist, oder irgendwelche Förderungen vergeben werden, dann kriegen die, die eh schon den größeren Prozentanteil haben, weil sie mächtiger sind, auch noch größere Ausschüttungen und Förderun- gen, weil sie relevanter sind am Markt. Und das ist eigentlich das, was falsch läuft, meiner Meinung nach. Die haben ja theoretisch eh schon das Geld und können mit dem wirtschaften. Es wäre wesentlich sinnvoller, dass auch die Kleineren diese Chance haben – mit dem Geld, das zur freien Verfügung steht.
Jamal: Es gibt ja zum Glück die ein oder andere gute Alternative und Modelle, in denen Perspektiven entwickelt werden können, aber so wie zum Beispiel Spotify funktioniert, und ich glaub, das weiß ohnehin jeder an diesem Tisch, dass ein Play erst zählt, wenn die 20. Sekunde vollzogen ist, das erzeugt und fördert in der Regel Beliebigkeit und Opportunismus, das erzeugt vor allem aber einen hausgemachten Startvorteil für popkulturelle Themen. Nehmen wir experimentell geprägte Musik her, die oftmals nach 20 Sekunden eben nicht auf den Punkt kommt, sondern vielleicht erst nach vier Minuten zur Entfaltung kommt – so beeinflusst Massentechnologie auch Entwicklungsprozesse. Und das ist zum einen nicht fair und so dreht sich außerdem das Karussell der immer kürzer werdenden Aufmerksam- keitsspannen schneller und schneller.
Theresa: Aber das landet dann auch in einer Playlist von Spotify für Experimentalmusik.
Jamal: Das ist dann der Friedhof von Spotify.
Theresa: Das ist überhaupt nicht der Friedhof.
Stefan: Aber Experimentalmusik per se will ja gar keine Mehrheitsmusik sein, will ja nicht erfolgreich sein in dem Sinn …
Jamal: Das ist ein ganz, ganz furchtbarer Ansatz. Ich kann die Position nicht teilen, dass Künstler, die musikalisch schwierig konnotierte Themen beackern, davon nicht leben wollen. Ich zum Beispiel arbeite mit dem Ansatz, dass sogenannte schwierige Themen auch eine gewisse Wirtschaftlichkeit und Perspektive erzielen können.
Theresa: Ein Experimentalfan sucht sich doch Experimentalmusik auf Spotify raus. Und der ist auch niemand, der das nach 20 Sekunden skippt, weil noch nichts passiert ist, sondern der will das doch auch.
Jamal: Wenn aber Musikjournalismus halbtot ist und Algorithmen auch nicht verlässlich sind, wird es in der Regel schwierig auf entsprechende Materie zu stoßen. Das passiert in der Praxis nicht. Wie suchst du nach etwas, das du quasi gar nicht kennen kannst?
Bettina: Du kommst auch nicht automatisch auf eine Paylist, nur weil du einen Song online stellst.
Jamal: Ich gehe davon aus, dass so gut wie jeder der Musik online stellt auch den Drang hat gehört zu werden. Aber es gibt oftmals, gerade von Label-Menschen, die sich als Indie bezeichnen, den Irrglauben, das höchste der Gefühle sei mit Lederjacken und Gitarren auf der Bühne zu performen. Es gibt aber viel, viel mehr als das.
Theresa: Klar, der Stellenwert von Spotify ist extrem hoch. Es ist extrem wichtig, weil es halt so viele Hörer hat. Aber wenn die Zielgruppe von unserer Band jetzt nicht auf Spotify ist, sondern vielleicht eine jüngere Zielgruppe, dann kann man zum Beispiel auch mal mit Tik Tok arbeiten oder andere Wege finden, coole Promotion zu machen. Und wenn ein Hörer eine Band auf Spotify entdeckt, idealerweise abspeichert und immer und immer wieder hört, dann wird der wahrscheinlich auch zur Show kommen oder auch die Platten kaufen. Sonst wäre der vielleicht gar nicht zu der Band gekommen, wenn sie nicht in seiner Discover- Weekly-Playlist aufgetaucht wäre.
Jamal: Da habe ich eine Frage an die Runde: Es sind, glaube ich, mehr als nur Gerüchte, dass die großen Streaming-Player Direktverträge mit Künstlern anstreben. Das würde Labels im Grunde obsolet machen, aber auch Vertriebe. Wie geht ihr damit um?
Stefan: Ich geh immer cool mit allem um. Das ist dann halt einfach so. Das ist ja auch so mit den Taxi-Fahrern und den Uber-Fahrern, denen auch gesagt wird, in fünf Jahren fahren nur noch Robotertaxis. Das passiert in allen Bereichen des Lebens. Leben findet immer Wege. Und wenn wir als Indie-Labels obsolet sind, dann machen wir halt was anderes.
Theresa: Eine Band kann ja frei entscheiden, wo sie hinwill. Will sie zu Spotify, zu einem Indie-Label oder will sie überhaupt gar kein Label haben, keinen Vertrag mit Spotify und alles DIY machen. Das geht ja auch. Du kannst ja niemandem vorschreiben, was er macht.
Stefan: Wir sind ja alle nicht nur Label- Labels – also wenn das Label tot ist, sind wir alle tot –, sondern machen auch Booking oder Verlag, Management, die Promo. Promotexte wird AI frühestens in 40 Jahren für die Bands schreiben. Ähnlich ist es beim Management. Die Schulter, an der sich eine Band anlehnt – das wird ein Roboter nicht übernehmen können. Ich bin eh froh, wenn’s vorbei ist, der fade Bereich des Plattenlabels, das Eintönige, etwa eine Meldung an die Austro Mechana zu schreiben, wie viele CDs wir pressen. Es ist nicht egal, wenn das weg ist, aber es ist verkraftbar bis zu einem gewissen Grad.
Jamal: Zu viel Macht in wenigen Händen ist grundsätzlich nicht gut. Ich mache jedenfalls keinem User den Vorwurf Streaming- Services zu nutzen, denn viele davon sind attraktiv und praktisch konzipiert.
Stefan: Ich seh das eher umgekehrt: Spotify ist scheiße gemacht. Die meisten Hörer sind blöd eigentlich. Und unsere Aufgabe ist es, die Bands zu managen, bei denen wir das Gefühl haben, coole Leute hören diese Bands. Also bei Leuten, die Bands hören, die nicht meine Bands sind, denk ich mir sowieso: Was ist los mit euch? Wir suchen ja immer nach den wenigen Auserwählten, die dasselbe mögen, das wir mögen.
Jamal: Ich verurteile per se niemanden, der Schlager hört.
Stefan: Es geht nicht ums Verurteilen.
Jamal: Das hört sich schon ein bisschen so an.
Stefan: Ich will ja nicht, dass die ins Gefängnis müssen. Meine Herangehensweise als Manager ist auch immer, es dem Hörer so schwer wie möglich zu machen. Der Fan muss es wert sein, unsere Musik überhaupt hören zu dürfen. So schaffst du ja erst, dass es Interesse für die Musik gibt, weil die Musik zu einem Mysterium, zu einem Geheimclub wird, den man sich hart erkämpfen muss. Der Hörer ist nicht unser Kunde. Und wir sind keine AI. Damit das eine menschliche Experience bleibt, müssen wir kleine Hürden einbauen. Ich will, dass der Hörer eine gemeinsame Experience mit uns hat.
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