Marktplatz Liebe: Wenn Beziehung nach Wirtschaft klingt

Pro- und Kontralisten und Nutzen-Kostenrechnungen – Was hat es mit dem ökonomischen Vokabular auf sich, das so oft dazu dient, über Liebe und Beziehungen zu sprechen?

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Es gibt eigentlich keinen guten Grund, gerade jetzt über Liebe, Beziehungen oder Dating zu schreiben. Weder steht ein Royal Wedding an, noch gab es ein großes Datenleck wie beim Ashley Madison-Hack, das Fremdgeher entlarvte und sich somit als Aufhänger für »Irgendwas über Paare« eignen würde. Neue Dating Apps kommen auch dauernd auf den Markt, man ist das mittlerweile gewohnt. Trotzdem gehen jeden Tag Texte zu Liebe in Druck oder werden so wie pubertäres Ejakulat in ein Taschentuch im Internet geschleudert. Von Gemeinplatzsammlungen in Listicle-Aufmachung, die erklären, wie Beziehung geht bis zum Bekẹnntnis in Ich-Form, von tiefgehenden Interviews mit Fachleuten bis zu gewieften Beobachtungen, die ungewöhnliche Verbindungen herstellen. Liebe ist aber ein immergrünes und ergiebiges Thema – persönlich und verbindend.

„Romantische Liebe ist Bullshit, sie ist bedürftig und egoistisch und wartungsintensiv und Hirngespinst. Sie stellt Bedingungen an den oder die Geliebte(n), hat also mit der sogenannten »wahren«, bedingungslosen Liebe nichts gemein.“

Aus: Liebe ist Bullshit, wiener.at

Wiewohl man diese Fülle an Textmaterial ruhig öde finden kann, lässt sich kaum leugnen, dass uns diese unzähligen Artikel sehr gut vor Augen führen, wie Menschen heute über Liebe und Beziehungen denken und welche Aspekte sie daran überhaupt interessieren.

Das tun sowohl die Interviews mit Soziologen oder Trendforschern, deren Buchveröffentlichungen und Thesen auf hohem Niveau im Feuilleton besprochen werden, es tun aber auch – und sogar in besonderem Maße – Jugendangebote etablierter Medien wie ze.tt, jetzt.de oder – um ein österreichisches Beispiel zu nennen – fttr.at, weil sie mit emotionalem Ratgeber-Content unglaubliche Reichweiten erzielen. Liebe und Beziehung ist fast immer ein eigener Themenbereich auf diesen Seiten, der Fokus liegt auf persönlichem Empfinden, was für unendliches Material sorgt. Es tun aber auch alle Angebote zwischen diesen beiden Extremen.

„In our consumer society, love is perpetually for sale; dating is what it takes to close the deal.“

Aus: Work It – Is dating worth the effort?, newyorker.com

Egal, ob es um Polyamorie geht oder um Kindererziehung, viele Artikel, die sich mit diesem persönlichen Empfinden beschäftigen und auch manche, die sich dem Thema objektiver annähern, bauen auf dem – oft auch unausgesprochenen – Topos auf, Liebe und Beziehungen seien Arbeit. Dabei gäbe und gibt es genügend andere Arten, Liebe und Beziehungen zu metaphorisieren und zu vergleichen. Liebe könnte auch eine Pflänzchen sein, das man gießen muss, damit es erblüht. Liebe, in ihrer besonders leidenschaftlichen Variante, könnte wie ein loderndes Feuer sein, Beziehungen eine Achterbahn der Gefühle und so weiter und so fort. Aber Liebe ist häufig einfach Arbeit: Es ist von Pro- und Kontralisten die Rede, von Nutzen-Kostenrechnungen, es geht um Investments und Commitments, um Waagschalen und Wert. Liebe klingt plötzlich ganz stark nach Ökonomie, nach Börse und Bazar.

Die Liebe in Zeiten des Spätkapitalismus

Das wäre verständlich, wenn wir noch in vorindustrieller Zeit leben würden, in der Beziehungen über ökonomische Parameter geregelt wurden, Arbeit und Familie an einem Ort stattfand. Doch leben wir angeblich in einer (spätkapitalistischen) Gesellschaft voller Wahlfreiheit, in der Arbeit und Privates getrennte Lebensbereiche sind – so zumindest das bekannte Narrativ. Doch ist das bei näherer Betrachtung nicht so. Studien zeigen, dass es Menschen immer wichtiger wird, ein ähnliches Bildungs- und Verdienstniveau wie ihr Gegenüber zu haben. Der Beziehungscoach Dominik Borde begründet so: »Die höchste Wahrscheinlichkeit auf ein langfristiges Beziehungsglück haben Menschen mit einem ähnlichen sozioökonomischen Hintergrund, weil hier die Werte und Glaubenssätze am stärksten übereinstimmen und die Wahrscheinlichkeit für eine Partnerschaft auf Augenhöhe am höchsten ist.« Man hat zwar die Wahlfreiheit, doch wird verdächtig oft und vermutlich völlig unbewusst nach ökonomischen Kriterien gewählt.

„Letztlich ist Liebe nichts anderes als eine Kosten-Nutzen-Analyse. Es geht dabei immer um ein Investment in den Nachwuchs.“

Interview mit dem Wiener Verhaltensforscher und Evolutionsbiologe Karl Grammer, cicero.de

Auch die Trennung von Arbeit und Privatem ist heute nicht so einfach. »Niemals zuvor ist das private Selbst derart öffentlich inszeniert worden, niemals ist es so sehr auf die Diskurse und Werte der ökonomischen und politischen Sphäre zugeschnitten worden«, schreibt die israelische Soziologin Eva Illouz in ihrem Standardwerk »Gefühle in Zeiten des Kapitalismus«. Sie weist gleich zu Beginn ihres Buchs »der Sprache der Therapie« – ausgelöst Anfang des 20. Jahrhunderts durch Freud und überall in der Ratgeber-Literatur verwendet – eine ganz bedeutende Rolle für die Quantifizierung von Beziehungen zu. »Unter dem Einfluss von Psychologie und Feminismus sind intime Beziehungen immer mehr zu Dingen geworden, die unter Bezug auf eine bestimmte Maßeinheit bewertet und quantifiziert werden«, so die Soziologin.

Ja, und auch das mit »der Liebe« ist nicht so einfach. »Historisch wird die Liebe in Partnerbeziehungen in der Form, wie wir sie heute kennen, erst in der Herausbildung des Kapitalismus ‘erfunden’«, schreibt die Wirtschaftswissenschaftlerin Andrea Grisold in einem 1993 erschienenen Aufsatz und bringt damit die wirtschaftswissenschaftiche communis opinio auf den Punkt.

Dazu kommt, dass die Idee der romantischen Liebe quasi seit es sie gibt an Waren und Besitz geknüpft wird, ist sie doch wunderbar vermarktbar. Die feministische Forscherin Laurie Essig nannte dieses System im Rahmen eines Wiener TedxTalk »Love, Inc«. Es beschriebt die »Ehe« zwischen romantischer Liebe und neoliberalem Kapitalismus, wie sie sagt. Die »Love, Inc.« sorgt dafür, dass wir unser Konsumverhalten auf eine romantische Idee hin ausrichten.

Ein sehr schönes Beispiel dafür ist die aktuelle Staffel der Serie »Black Mirror«, die in jeder Folge eine andere Zukunftsvision verhandelt. In der ersten Folge geht es um eine Frau, die ihre »Social-Media-Werte« (man wird von anderen Leuten bewertet) aufbessern muss, um in eine bessere Wohnung ziehen zu können. Der eigene, fremdbestimmte Wert dient dabei gewissermaßen als Währung: Nur Menschen, die ein bestimmtes Rating erreichen, haben Zugang zu gewissen Produkten und Immobilien. Bei einem Besichtigungstermin wird der Protagonistin mittels aller möglichen Projektionen gezeigt, wie die Wohnung aussehen könnte, würde sie dort wohnen. Eine dieser Projektionen ist die eines liebenden (und natürlich gutaussehenden) Mannes. Vermittelt wird also: »Wenn du erst mal die schöne Wohnung hast, wird der passende Freund auch da sein.« Das ist Liebe durch Besitz.

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