Pro- und Kontralisten und Nutzen-Kostenrechnungen – Was hat es mit dem ökonomischen Vokabular auf sich, das so oft dazu dient, über Liebe und Beziehungen zu sprechen?
Online Dating
Das Quantifizieren, von dem Illouz spricht, geht natürlich besonders gut im Internet. Außerdem verbreitet Letzteres die Ratgeber-Literatur, die sich heutzutage in die eingangs erwähnten Listicles verwandelt, so unglaublich schnell und gut. Um aber zu verstehen, warum so viele Leute Liebe als Marktplatz sehen und artikulieren, ist es sicherlich sinnvoll, sich Online-Dating und das damit verbundene Vokabular anzusehen – immerhin sollen bereits mehr als ein Viertel aller in Österreich geschlossenen Beziehungen auf diesem Weg entstanden sein – nicht ganz uneinflussreich. »Der Diskurs […] behauptet, dass Online- Dating heute nicht nur normal und akzeptiert, sondern darüber hinaus auch zu einer Grundbedingung für eine optimale Partnerwahl geworden ist«, so die Soziologen Kai Dröge und Olivier Voirol in ihrem Aufsatz »Prosumer der Gefühle«. Online-Dating ist also nicht nur die digitale Variante von Kontaktanzeigen in Print oder Vermittlungsagenturen, wie es sie früher gab. Online-Dating will nicht dafür sorgen, dass man – wie es so schön heißt – »jemanden kennenlernt«. Es kokettiert mit der Idee, dass man dank Algorithmen und riesigen Datenbanken den oder die Beste kennenlernen kann. Das macht Menschen natürlich selbst zu Produkten, die nach den Regeln von Angebot und Nachfrage gegeneinander antreten.
„Da ist von »Beziehungsarbeit« die Rede und es wird erörtert, wann irgendetwas Beziehung und wann es noch Freundschaft (plus) ist.“
Aus: Beziehung meint immer nur »oldschool« – über die Neuinterpretation eines antiquierten Modells, ze.tt
Wie das dann auf die Spitze getrieben aussieht, zeigte 2008 die sehr erfolgreiche und oft kopierte französischen Dating-Seite adoptunmec.com, die es Frauen erlaubte, Männer in einen virtuellen Einkaufswagen zu legen. Die ganze Website erinnerte in ihrer Gestaltung an einen Online-Shop; schon im Logo fand sich ein Einkaufswagen. Das provokante Konzept, Männer als Ware zu deklariereren, sollte natürlich auch für die obligate Objektivierungs-Diskussion sorgen und die Seite dadurch bekannter machen. Obwohl es kaum etwas geben kann, das »Liebe ist Einkauf« lauter schreit, war es vermutlich doch erst die App Tinder, die ihren UserInnen am deutlichsten vor Augen führen sollte, dass sie nur ein Swipe von vielen sind. Denn adoptunmec spielte wenigstens mit dem Topos des Markplatzes, während ihn Tinder völlig ironiefrei bediente.
Genau hier will die seit einigen Monaten auch in Österreich erhältliche App Once punkten, deren Erfinder Jean Mayer Tinder mit einem Supermarkt vergleicht. Bei Once bekommen die UserInnen nur eine Person pro Tag vorgeschlagen – also klassischer Fall von Verknappung, die als Romantik verkauft wird. Algorithmen treffen eine Vorauswahl auf Basis von wenigen Informationen, aber wer wem gezeigt wird, entscheidet schließlich ein Matchmaker, also ein Mensch. Das ist durchaus bemerkenswert. Nachdem es im Online-Dating jahrelang um Mathematik ging, darum, Fragenkataloge zu entwerfen, die genau die richtige Mischung aus Ähnlichkeiten und Differenzen berücksichtigen und völlig emotionslos für Emotionen sorgen, wird nun das menschliche Bauchgefühl vermarktet. Das fühlt sich dann für die User weniger wie ein Markt an, bleibt aber natürlich einer.
Auch wenn die Idee der Romantik wie so oft dafür eingesetzt wird, zu verhehlen, worum es hier wirklich geht, wird die beschriebene Art und Weise über Liebe zu sprechen erst dann aufhören, wenn es der Kapitalismus tut. Aber auch über die dann unausweichliche Post-Liebe wird es viel zu sagen geben.