Als wir uns zum ersten Mal begegnet sind – 10 Jahre »Maschin«, eine Oral History

Am 17. Oktober 2013 wurde das ikonischste aller zeitgenössischen österreichischen Musikvideos auf Youtube hochgeladen. 15 Millionen Views, 32 Millionen Spotify-Plays von »Maschin« und zehn Jahre später blicken an dieser Stelle zehn Wegbegleiter*innen von Bilderbuch auf einen generationsprägenden Moment zurück.

Gelb ist das Feld – das ikonische Musikvideo

Lässig: »Maschin« war irgendwie wie ein eigenes Genre. Dazu hatte die Band dann natürlich die perfekte visuelle Begleitung.

Tschürtz: Was macht einen Hit aus? Simpelste Mittel und Wieder­erkennungs­effekt. Was »Maschin« geschafft hat, ist, das in Sprache, Stil, Gestik, Text, Musik und Video abzu­bilden. Die ersten Takte des Songs sind so einfach und prägnant wie sonst vielleicht nur »Billie Jean«, dazu ist es mühelos gelungen, einen gelben Leder­handschuh als Marken­zeichen zu »ownen« und einen Spruch wie »Willst du meine Frau werden?« kulturell neu zu besetzen. All das macht diesen Song zeitlos.

Födinger: Hits macht man nicht, Hits werden zu Hits. Dass es gut war, war von Anfang an klar. Dass es aber zu einem generational Hit geworden ist, wurde mir erst 2019 in Schön­brunn bewusst.

Adam: Der richtige Song zur richtigen Zeit am richtigen Ort, so etwas lässt sich nicht planen, das muss passieren.

Ostermann: »Maschin« war – im Gegensatz zu allem anderen aus Österreich und Deutschland zu der Zeit – sexy.

Seyfriedsberger: Dass es komplett durch die Decke gehen wird, war mit der Veröffent­lichung des Videos klar. Die Kombi ist nach wie vor unschlagbar.

Ostermann: An die Veröffentlichung selbst kann ich mich gar nicht so richtig erinnern, außer an den Videodreh, der eine Woche vorher stattgefunden hat. Der war – wie jeder Videodreh – vor allem stressig. Und wie man auch am Ergebnis sieht: eben auch schon sehr professionell.

Pevny: Eine Woche vor dem Dreh probte ich mit Maurice. Wir nutzten dazu den VW Golf von Pille (Philipp Scheibl, neu am Schlagzeug; Anm.) und übten damit unterschiedlichste Bewegungs­choreos. Wir quälten den armen Wagen einige Stunden ziemlich. Motor an, aus, Fenster rauf, runter, Türen auf, zu, hin und her das Ganze. Bei der Sequenz, in der Maurice den Autositz einen Refrain lang verschiebt und der Situation dabei auch irgend­wie ausgeliefert ist, musste ich herzhaft lachen. Ich dachte mir: »Ja, so wie Maurice gerade dabei aussieht, wird das die Stelle, die alle feiern werden.« Mein Bauch­gefühl hat sich bewahr­heitet: Es war exakt die Stelle, die das Publikum so oft teilte.

Tomann: Maurice hat schon während der Studioarbeit immer wieder von einem gelben Lamborghini und gelben Handschuhen gesprochen. Mir war das noch viel zu abstrakt und ich denke, auch die anderen konnten seine Begeisterung noch nicht so recht nachvoll­ziehen. Wir fanden es eher affig. (lacht) Aber spätestens, als wir das Video zum ersten Mal sahen, war klar, dass er eine sehr schlüssige Vision hatte.

Pevny: Die Idee für den Charakter ging von der englischen Serie »Top Gear« und dem Moderator Jeremy Clarkson aus, der ständig testfahrend neue Autos vorstellte und dabei verdammt smart aussah. Dieser merkwürdige Vorgang, immer wieder mit derselben Emotion eines »Autositz­qualitätsprüfers« ausgeführt, und dazu die genial eindringliche Textpassage des Refrains machten das virale Gift perfekt.

Humann: Was »Maschin« für mich vor allem ausmacht, ist die ikonische Bildsprache des Videos und Maurices Performance im Video. Beides haben sie dann auch grandios auf die Bühne übersetzt. Bilderbuch haben nicht einfach ihre Songs gespielt, sondern es war von Anfang an eine Show. Das hat die Band in meinen Augen schon immer von den anderen Bands der Wiener Szene aus dieser Zeit abgehoben.

Lässig: Damals gab es um den Release ein Konzert im WUK, bei dem sie den Song schon live gespielt haben. Das war auf jeden Fall heftig, wie das Publikum den schon gefühlt hat, als würde es ihn seit Jahren kennen. Kurz darauf explodierte »Maschin« dann förmlich und war überall. Platinblonde Haare genauso, wie Leder­handschuhe zum Ausgehen zu tragen, und die Farbe Gelb. Und alle wollten natürlich bunte Hemden wie Maurice.

Seyfriedsberger: Die ganz große Geste, Sex usw., vor allem aber kein typisches Indie-Understatement. Dieses Selbstvertrauen waren die Leute damals nicht gewohnt. Rückblickend betrachtet komplett eigenartig, dass wir uns oft alle viel kleiner gegeben haben als notwendig. »Maschin« und Bilderbuch haben mich gelehrt, größer zu denken und uns deutlich mehr zuzutrauen. Dafür werde ich ewig dankbar sein.

Wenn bei Konzerten der gelbe Lederhandschuh übergestülpt wird, ist sofort klar: Jetzt kommt »Maschin«. (Foto: Nikolaus Ostermann)

Diese eine Show im Brut

Adam: Dass »Maschin« ein Hit wird, hab ich persönlich bei dem Konzert im Wiener Brut gewusst, wo das erste Mal der ganze Saal mitgesungen hat und wir am eigenen Leib erlebt haben, dass auch das Publikum die Kraft des Songs spürt.

Stöger: Anfang 2014 haben Bilderbuch ihr erstes ausverkauftes Wien-Konzert gespielt, im Brut-Theater, das damals im Künstlerhaus am Karlsplatz untergebracht war. Allerlei Promis tummelten sich im Publikum, der Bassist der Toten Hosen etwa oder die Schau­spielerin Birgit Minichmayr.

Lässig: Da wusste man schon vorab, dass dieses Konzert anders gut werden würde und alle wollten dabei sein. Die halbe Stadt hat verzweifelt nach Tickets und Gästelisten­plätzen gesucht.

Seyfriedsberger: Es war die Show in der Stadt. Alle waren vor Ort und die Bude dezent überfüllt. Die Band hat »Maschin« zweimal gespielt, als ersten und letzten Song. Auch so ein No-Go. Die Leute haben’s gefeiert hoch drei und es war eine Show to remember.

Stöger: »Maschin« haben sie relativ bald gespielt. Das Lied ließ das gesamte Brut plangemäß kopfstehen, doch der Höhepunkt des Abends sollte erst bei der Zugabe folgen. Seine Stimme schmerze plötzlich, erklärte Maurice, er brauche Unterstützung. Dann stimmte die Band noch einmal »Maschin« an. Besser gesagt: Sie ließ das Lied explodieren – und ausnahmslos alle im Saal brüllten den Text mit, während Maurice einfach nur den Moment genoss. Ich, als kritischer Beobachter zum Konzert gekommen, stand auf der Galerie, Grinser im Gesicht, Gänsehaut auf dem Rücken, und wusste, dass ich hier gerade den Beginn von etwas ganz Großem miterlebe.

Seyfriedsberger: Selbst damals gab es noch Leute aus der Branche, die skeptisch waren und das alles kleinreden wollten. Auch aus der Veranstalter*innen­ecke. Ich hab »Maschin« in der Zugabe auf­genommen, auf Youtube gestellt und danach war diese Diskussion erledigt.

Ostermann: 2014 ging ein Livevideo von ihrem Auftritt im Brut viral, bei dem das enthusiasmierte Publikum zum ersten Mal den Text mitgeschrien hat. Und dann kamen schon die Einladungen aus Deutschland für große Support-Shows bei Seeed, Casper und einer großen Beatsteaks-Tour. Ich erinnere mich, dass Maxim von K.I.Z. bei einer Casper-Show gesagt hat: »Das ist der Song, den die Leute auch in 20 Jahren noch von euch hören wollen.« Hat er ganz gut erkannt.

Lässig: Wien war auf einmal die coole Pop-Metropole, in der die Impulse für Popkultur gesetzt werden. Das hat man auf jeden Fall von Freund*innen in Berlin und Hamburg gespiegelt bekommen, für die Wien davor immer die angestaubte Sisi-Stadt war und die plötzlich mehr als hyped auf alles aus Österreich waren.

Stöger: Fünf Jahre später haben Bilderbuch 30.000 Menschen zu zwei Konzerten vor Schloss Schönbrunn gelockt. Den magischen Moment des Neuen Austropop haben sie aber nicht mit diesem Show-Doppelpack der Superlative geschaffen, sondern an jenem Winterabend im Brut.

Heute sind Bilderbuch nicht zuletzt eine erfolgreiche Touring-Band. Bis weit hinein nach Deutschland und in die Schweiz. (Foto: Pascal Schattenburg)

Von Deutschland bis Schönbrunn

Tschürtz: Ö3 spielt den Song heute ab und an als »Golden Great«, hat aber zur Veröffentlichung reguläres Airplay verweigert, weil er zu schräg, zu progressiv war. Der Mut der Band hat sie überrollt. Und diese Geschichte, und dass sie für den Erfolg des Songs nebensächlich war, ist fast so etwas wie eine kondensierte Zusammen­fassung der österreichischen Musik­landschaft der letzten 25 Jahre.

Stöger: Schön auch, dass der größte Hit der Band nie in der Hitparade war, keinen Amadeus gewonnen und auch sonst nichts klassisch Messbares hinterlassen hat.

Adam: Mit diesem Song wurde die Glasdecke, unter der wir österreichische Künst­ler*innen uns befunden haben, gesprengt. Auf einmal gab es – parallel zu »Bologna« von Wanda – wieder Musik aus Österreich, die auch in Deutschland ernst genommen wurde.

Humann: Bilderbuch haben gezeigt, dass der österreichische Musikmarkt eine unglaub­liche Relevanz haben kann – auch in Deutschland. »Maschin« ist sicher einer der größten österreichischen Hits und wird nicht selten mit Falcos »Der Kommissar« in einem Atemzug genannt. In meinen Augen absolut zurecht.

Tschürtz: Auch Bilderbuch mussten erst in diese Rolle hineinwachsen – und ich glaube, mein Part in dieser ganzen Geschichte war wohl einfach der, ihnen den Raum dafür zu geben und zu organisieren. Hätte Maurice 2007 im B72 mit blondgefärbten Haaren und bombastischer Theatralik »Maschin« performt, hätte das wohl nicht dasselbe auslösen können wie dann, als es wirklich gezählt hat.

Lässig: Als ich 2017 wieder nach Deutschland gezogen bin, habe ich das erste Mal selbst gesehen, dass alle wichtigen Akteur*innen der Berliner Musikbubble ganz selbst­verständlich vor Ort sind, wenn Bilderbuch ein Konzert spielen. Klar, Auftritte in der Größenordnung Nova-Rock-Headliner oder Rolling-Stones-Support im Happel-Stadion gibt es in Deutschland nicht, aber Bilderbuch sind eine Konstante in der deutschen Konzert- und Festival­landschaft, in der die extravaganten Liveshows wertgeschätzt werden und immer herausstechen.

Födinger: Als wir mit Bilderbuch anfingen, war es ein großer Erfolg, im Röda in Steyr 150 Tickets zu verkaufen. Nicht nur für uns, sondern für alle österreichischen Bands. Mittlerweile gibt’s eine riesengroße Nachfrage in allen möglichen Genres. Ich fand das Ukraine-Benefiz­konzert im Stadion diesbezüglich sehr erhebend.

Stöger: Der zu Zeiten von »Schick Schock« bisweilen geäußerte Zeitgeist-Verdacht war ein großer Irrtum: »Schick Schock« ist anno 2023 ein ebenso fantastisches Album wie bei der Veröffent­lichung 2015 und in seiner Mischung aus Zeitgeist und Zeitlosigkeit durchaus mit Falcos Debüt »Einzelhaft« von 1982 vergleichbar. Während für »Einzelhaft« aber »von nun an ging’s bergab« galt, haben Bilderbuch weiterhin ausgezeichnete Alben veröffentlicht. »Gelb ist das Feld« hat stilistisch praktisch nichts gemein mit »Schick Schock« – und ist doch hundert Prozent Bilderbuch.

Nächste Seite: Wer sind die Stimmen unserer Oral History?

Newsletter abonnieren

Abonniere unseren Newsletter und erhalte alle zwei Wochen eine Zusammenfassung der neuesten Artikel, Ankündigungen, Gewinnspiele und vieles mehr ...