Die geilere Clubnacht ist heute schon mal „Kunst“ – z.B. hier auf dem Berliner CTM Festival. Warum das so ist und wo das noch hinführt lest ihr hier sowie ein Interview mit einem der Art Director.
Der ganze Körper vibriert, eine Hi-Hat knackt die Ohrenmuscheln, die Fußsohlen massieren Bässe – das sind die Momente, die uns gut gestimmt in die Woche spülen. Ob zu frischen IDM-Beats oder Drone-Senken – es geht letztlich darum: Bewegt-Werden, Körpermusik, Stimmung, Musik zum Anfassen.
Das hat sich eines der besten Festivals für Musik und Kunst heuer zum Thema gemacht. Das Berliner CTM – Festival for Adventurous Music and Arts präsentiert über 180 Künstler und Acts, die die Regler ausreizen, gewohnte Hörweisen verwöhnen und verwirren und den Körper gezielt bespielen. „Un Tune“ – so das Thema des Festivals, soll die „körperlichen Effekte von Frequenzen, Sound und Musik“ und Synergien zwischen Klang und anderen Sinnen erleuchten.
In zehn Tagen könnten einem da fast neue Ohren wachsen. Wir sind in der Hyperrealität angelangt, dem Mensch-Maschinen-Zeitalter: Dubstep, Trap, Drone, Grime, Hyper und Hypnagogic dominieren das musikalische Rauschen. Mit außergewöhnlichen Visuals und Performances – Symbole und Glitch über alles! – werden die Musiken in Szene gesetzt.
Alles drin
Neben Clubbing-Strecken im Berghain und Yaam sowie Ausstellungen und Performances in diversen Locations, ist das historische Theater Hebbel am Ufer, kurz HAU, mit seinem 1A-Sound Hort für wirklich abgedrehte Vorstellungen. Am Wochenende startete hier das Festival u.a. mit Thomas Ankersmit, der mit analogen Synthesizern und einer Mine wie Dr. Frankenstein hoch- und tief-frequentige Emulsionen erzeugte, die sogenannte „phantom sounds“ bildeten – Klänge, die scheinbar im eigenen, inneren Ohr entstehen. Nicht alle Zuhörer konnten das vertragen, aber es war eine erinnerungswürdige Veranstaltung.
Im Anschluss gab sich die berühmte Fotokünstlerin Nan Goldin zusammen mit dem New Yorker Soundwalk Collective u.a Beteiligten die Ehre. Im Yaam, wo einst vor 16 Jahren alles begann, dann der Start in die Clubnacht: der Drone von Oake und Ballett in Automaten-Ästhetik verstehen sich hervorragend – ziemlich sexy sogar. Danny L. Harle, aber v.a. Sophie erzeugen so diverse Pop-Collagen, dass an dem Abend wirklich alles dabei war – plötzlich war da eine Dorf-Disko-Stimmung zu spüren. Autsch. Man hätte diese Musik auch als Parodie verstehen können, oder sollen? Zum Schluss residierte Teki Latex vom Label Sound Pellegrino die Kanzel mit knallendem Techno und Pop- und Hip-Hop-Einschnitten.
Club oder Leben?
Aber das ist es eben – das macht den Club so spannend und hat ihn seit jeher vom Konzert, der Disko oder irgendetwas anderem unterschieden und hier wird man daran erinnert:
Der Club – das ist eigentlich ein großer Zufall, freie Körper im freien Raum zu bekannten und unbekannten Sounds und einem Ur-Grund namens Bass. Als Kinder der Berliner Techno-Wende versuchen die Veranstalter v.a. einen Experimentierraum zu schaffen, so wie das hier mal anfing – mehr dazu im anschließenden Interview. Und seit Musik zur Salatbar wurde und sich die interessanten Stile zwischen Genres, zwischen gestern und heute, zwischen Restideologie und freiem Spiel bewegen, ist es umso wichtiger, dass dies jemand ausgräbt und gut präsentiert.
Man findet diese Diversizität heute so gut kuratiert nur mehr selten. Oft sind es halt die großen Namen oder die Masse der Acts vom gleichen Schlag, mit denen Tickets verkauft werden. Und zum Diskurs: „Kunst?“, frage ich: „… ist auch egal“ meint Art Director Jan Rohlf. Er lässt sich kaum auf diesen Begriff festnageln, vielleicht sei es aber das: „das Erlebte zumindest im Nachgang auch reflektieren.“ Bei Ausstellungen und Vorträgen der CTM kann man sich in Sound verzetteln, in seinen möglichen und unmöglichen Präsentationsformen.
Der Sound-Artist Emptyset z.B. präsentiert neben seinem ionosphärischen Ambient-Set im Kunstraum Bethanien in Kreuzberg mit Infra-Frequenzen bearbeiteten Stahl. Der Künstler Nik Nowak hat einen Booster – ein hoch-effektives Audiogerät aus dem militärischen und kommerziellen Kontext – in eine so poetische Installation und Skulptur gebracht, dass es rührend wirkt.
Sound-Erlebnispark
Neben dem deutschen Showcase vieler internationaler Acts (Liima – Tatu Rönkkö & Efterklang, Evian Christ, Atom TM & Robin Fox) wirkt das Festival mit dem Thema auch als Zeitbarometer – v.a. hier in Berlin, wo man Sound Studies studieren kann und sich Clubbesucher als Feldforscher herausstellen. Ob Techno, Drone, Metal oder Gregorianischer Choral – sie alle können ihn haben, den neuen, speziellen, krassen Sound, der durch den Körper dringt und die Knochen rattern lässt. Die CTM versammelt und verschaltet elektronische Musik und Kunst in ihren extremsten Formen – als Drone-Dunkelkammer, als poppige Geschmacksverstörer, als Diskurskeule oder endlose Rave-Ekstase. In den Lücken dazwischen verliert man sich tanzend, bleibt mal stecken, fällt mal in eine Trance des Staunens. Ob man das über zehn Tage hinweg vertragen kann ist einen andere Frage. Ein Wochenende können wir aber empfehlen. Es folgen Gazelle Twin, Jenny Hval & Susanna, Alec Empire, 18+, Opium Hum und natürlich noch viele mehr.
Wer noch mehr Diskurs verträgt: Das „Schwesterfestival“ Transmediale startet diese Woche und befasst sich unter dem Thema „Capture All“ mit Zukunftsszenarien der Big Data.
Luise Wolf: Kunst oder Pop? Wann ist der Club Kunstraum und wann ’nur‘ Pop-Spielraum?
Jan Rohlf: Wir haben das nie getrennt. Von Anfang an haben wir den Clubraum als erweiterten Kunstraum betrachtet, der außerhalb der tradierten Formen andere Dinge ermöglicht. Der Club ist ein Ort, an dem man keine so stark kontrollierte Umgebung hat und die üblichen Konventionen gelockert sind, in dem alle Leute und Bedingungen die Situation erst entstehen lassen – die Bedingungen des Raums, die Musiker, die Betreiber, das Publikum … Anfangs veranstalteten wir das gesamte Festival an einem Ort, hier im Yaam, früher hieß es noch Maria am Ostbahnhof.