Autor und Musiker Elias Hirschl begibt sich gemeinsam mit dem Musiker Jimmy Brainless auf eine literarische und musikalische Asientour. Was dort passiert, erzählen sie in ihrem Blog. Hier der sechste Eintrag: Über Jimmys darke Familiengeschichten, Yasmos brighte Future in Taiwan und den Auftritt am May Jam-Festival.
3. – 6. Mai
Nach China und den Philippinen sind wir nun wieder bei unserem Ausgangspunkt in Taiwan angelangt und bleiben eine Nacht in Taipeh, bevor wir am nächsten Tag in das 300 Kilometer südlichere Tainan fahren – eine für asiatische Verhältnisse geradezu mickrige Kleinstadt mit nur etwa einer Million Einwohner. Auch auf mich wirkt die Stadt nach den Besuchen in Shanghai, Peking und Manila schon fast heimelig. Die meisten Häuser haben nicht mehr als fünf Stockwerke, der Busbahnhof sieht aus wie ein normaler Busbahnhof und nicht wie ein futuristisches Flughafenterminal und die Leute sind entspannter und werden nicht den ganzen Tag durch Massenabfertigungseinrichtungen geschleust. Überhaupt ist Taiwan wesentlich entspannter als China und wesentlich geordneter als Manila. Das Mandarin klingt hier viel weicher und die Leute reden allgemein leiser und sind geradezu höflich und hilfsbereit. Ich fühle mich manchmal dazu verleitet, zu sagen, dass Taiwan das Japan für Arme ist, aber das wäre in etwa, wie wenn man sagen würde, dass Polen das Deutschland für Arme ist, weshalb ich das sicher nicht in den Blog einbauen werde. Wir wohnen im Haus von Jimmys Großvater, der jedoch vorsorglich während unseres Aufenthalts nach Vietnam geflüchtet ist. Zu Jimmys Familie gibt es auch sonst sehr viel interessantes und pikantes zu erzählen, aber er verbietet mir spezifisch darüber zu schreiben. Themen, die ihr deswegen verpasst sind unter anderem Glücksspiel, die Taiwans Mafia und das Vortäuschen des eigenen Selbstmords. True Story.
Am Tag nach dem 3. Mai spielen wir vor unserer Abfahrt nach Tainan noch eine Show in Taipeh vor Deutschlernenden an der National Chengchi Universität. Die Lehrerin und drei Schülerinnen gehen mit mir einen Kaffee trinken, während Jimmy sich wie immer eine halbe Stunde einsingt. Die Schülerinnen sind furchtbar schüchtern und flüstern der Lehrerin andauernd Fragen zu, die sie mir übersetzt. Schließlich trauen sie sich doch noch mit mir zu reden und sprechen erstaunlich gutes Deutsch. Ob ich SDP kenne, fragen sie mich. Die seien in Taiwan ganz groß. Sie fragen mich, ob ich ein paar Empfehlungen bezüglich deutschsprachiger Rapmusik an sie hätte, ich empfehle Yasmo, weil pushen, pushen, pushen. Wenn „1000 Liebe“ oder „#Yasmohatgesagt“ der nächste große Scheiß in Taiwan werden, will ich gleich an dieser Stelle anmerken: Ich war’s! Ja, ich ganz allein! You’re welcome Yasmo, gibst ma im Anno dann afoch a Bier aus.
An dieser Stelle wäre es vielleicht mal an der Zeit, die Frage zu beantworten, was genau wir hier eigentlich tun. Offiziell treten wir mit deutschsprachiger Musik und deutschsprachigen Poetry Slam- und Spoken Word-Texten auf. In der Realität bestehen 80 Prozent unseres Programms aber daraus, improvisiert zu versuchen, unsere Texte zu übersetzen, da die meisten Schüler und Studenten leider fast nix verstehen. Jimmy spricht zur Freude aller Chinesisch, was die Schüler immer komplett aus den Socken reißt. So auch am 5. Mai an der Universität Wenzau, in der etwa eine halbe Stunde von Tainan entfernten Industriestadt Kaohsiung. Dort werden wir von Jens begrüßt, der sich somit nahtlos zu Ralf (Manila) und Urs (Shanghai) in die Reihe einsilbiger Deutschlehrer einfügt. Er kommt aus Berlin. In einem Kasten im Lehrerzimmer gibt es Flensburger (also das Bier, nicht die Leute). Er erklärt uns, dass sie momentan eher zu viele „Expertenbesuche“ im Deutschunterricht hätten. Wir nicken. Letztens sei eine Youtuberin aus Deutschland da gewesen. Die habe die ganze Zeit mitgefilmt und Selfies gemacht und das alles für Promotionzwecke verwendet. Ob wir auch nur hier seien um Werbung für uns zu machen? Sicher, sicher. Wir sind nur hier um ordentlich abzustauben. Um Poetry Slam und deutschsprachige Songwriter-Musik in Asien so bekannt zu machen, dass wir irgendwann von den dortigen Radiotantiemen leben können. Big in Taiwan tonight.
Tags darauf sind wir im Hutoupi Scenic Area am May Jam-Festival, das von Axel (aus Berlin, woher sonst) veranstaltet wird. Jimmy kennt Axel vom Federball spielen. (Er kennt beunruhigend viele Menschen vom Federballspielen.) Es ist ein kleines Festival mit einer Bühne und die Hälfte des Publikums besteht aus Amerikanischen Trampern, die alle Milan kennen. Vor uns tritt eine Rapgruppe aus Kaohsiung auf, die in ihren Texten andauernd Taipeh dissen, weil die Leute dort nix hackeln. Wir lernen: Kaohsiung ist das Linz Taiwans. Taipeh ist das Wien Taiwans. Die Crew hat den unglücklich gewählten Namen WC. Danach kommt Second Wave. Man nennt sie auch die Limp Bizkit von Tainan. Sie hauen richtig rein. Der Sänger schreit immer wieder „EVERYBODY SCREAM!“. Er ext eine halbe Flasche Whiskey und wirft den Rest den Amerikanern zu. „I DON’T GIVE A SHIT! I DON’T GIVE A SHIT! Ni hau Ni hau tzse tzse Ni Hau REVOLUTION! REVOLUTION!“ Bist du deppert, da wird sich China aber zweimal überlegen ob sie nochmal einmarschieren wollen. Das Publikum geht indes ur ab. Ein Moshpit bildet sich. Oida, wie die erst drauf sein werden, wenn wir ihnen dann ordentlich deutschsprachige Poesie hinknallen. Jimmy ist recht entspannt. Ich hingegen kipp ein BAR nach dem nächsten, um die Nervorsität zu bändigen. BAR ist das Festivalbier, das umgerechnet etwa 1 Euro pro Dose kostet (hier wohlgemerkt, im Supermarkt eher so 40 Cent). Der Slogan von BAR ist: „Live for fun! Work for fun! Don’t forget fun! Everytime you have a BAR, the world will be full of fun.“ Ich habe so viel Fun.
Als wir im Endeffekt auftreten, hat sich das Publikum bis auf drei betrunkene Studenten aus Tainan gelichtet. Je länger wir spielen, desto mehr betrunkene Studenten aus den USA kommen hinzu. Im Endeffekt kommt sogar spontan ein Beatboxer auf die Bühne und ich rappe auf Deutsch dazu, was ich de facto nicht kann. Dem harten Kern, der bis zum Schluss bleibt, gefällt unsere Show überraschend gut. Am Ende kommt Axel zu uns, sagt er hat unsere Show leider nicht mitgekriegt, weil er schon viel zu dicht ist. Er verabschiedet sich mit den Worten: „Ich muss jetzt meine Freundin suchen, die hab ich seit drei Stunden nicht mehr gesehen.“