Wien

In unserer Reihe "Mein liebster Feind" fragen wir LiteratInnen, MusikerInnen und kreative Menschen im Allgemeinen, wen sie mit einer gewissen Zärtlichkeit verachten. Das können Institutionen, Menschen aber auch Tiere sein. Im Fall von Elias Hirschl, Musiker, Schrifsteller und Poetry Slammer ist das Wien.

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Ich hasse Wien. Das liegt daran, dass ich seit Geburt unter einer gar furchtbaren Konstitution leide, die meine Sicht auf mein Leben und die Dinge darin drastisch einschränkt und positive Gefühle und Gedanken gar nicht erst zulässt: Ich bin nämlich Wiener. Noch dazu ein genuiner, also ein geborener, Wiener. (Wohlgemerkt: Nicht alle Wiener sind geboren!) Die geborenen Wiener bringen naturgemäß eine angeborene Wien-Abneigung mit sich, die sie von ihren zugereisten Eltern vererbt bekommen haben. Das Trauma des Nach-Wien-Kommens hat sich so tief ins Gehirn der Eltern gefressen, dass es bis ins Erbgut hinein erhalten bleibt und so an die Nachkommen weitergereicht wird. Der geborene Wiener hasst Wien somit von Geburt an ohne jeglichen Grund. Es liegt schlicht in seiner Natur, Wien zu hassen. Der einzige Grund warum der genuine Wiener nicht aus dem ihm verhassten Wien fortgeht, ist, dass er den Rest der Welt noch ein kleines Stückchen mehr hasst. Das liegt daran, dass der genuine Wiener ja selbst einen Teil des ihm verhassten Wiens darstellt, somit Wien mitkonstituiert und also selbst Wien ist, wodurch er sich unvermeidlich auch selbst, als einen Teil des verhassten Wiens, hasst. Geht der Wiener nun aus Wien fort, so fallen all die hassenswerten Wien-Elemente um ihn herum weg und nur der Wiener selbst bleibt als einziges Stück verhasstes Wien in der absoluten Leere des Außer-Wienerischen zurück und ist dadurch gezwungen, seinen gesamten Hass auf sich selbst zu fokussieren, da kein anderes Stück Wien mehr zum Hassen übrig ist. Im Ausland erkennt der Wiener seine eigene Hassenswertigkeit. Und weil er das nicht mag, bleibt er daheim.

Elias Hirschl, Jahrgang ‘94, ist Slam Poet, Musiker und Schriftsteller mit einem Hang zu langen Buchtiteln. Zuletzt erschien von ihm »Meine Freunde haben Adolf Hitler getötet und alles was sie mir mitgebracht haben, ist dieses lausige T-Shirt« im Milena Verlag. Wer von Hass noch nicht genug bekommen kann, der kann lesen, welche Liebingsfeinde Lisa Eckhart oder Stefan Apfl haben.

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