Deutschsprachiges zwischen Euphorie und Kapitulation, zwischen Pathos und Befindlichkeit. Ausgewählt von Dominik Oswald. Die wichtigsten deutschsprachigen Neuerscheinungen im Februar 2025. Mit Tocotronic, Albrecht Schrader, Andreas Dorau, Die Expressionisten und mehr.
![Tocotronic (Bild: Noel Richter)](https://thegap.at/wp-content/uploads/2025/02/01_240926-tocotronic-pressefotos-387-hires_NOELRICHTER-1024x731.jpg)
Andreas Dorau – »Wien«
![Andreas Dorau (Bild: Tapete Records)](https://thegap.at/wp-content/uploads/2025/02/A_D_Hendl_Tapete_Records-1024x742.jpg)
Dass der Legende nach Pop-Ikone Andreas Dorau beim Gestalten einer kartografischen Skizze der Stadt Lübeck den Gedanken gefasst haben soll, ein Album über Wien zu machen, sagt eigentlich schon alles über alles aus: über die Denk- und Arbeitsweise eines Andreas Dorau und dessen x-tes Album – zuletzt erschien im Vorjahr »Im Gebüsch«. Aber vor allem über die Sogwirkung der Hauptstadt, dass du selbst weit oberhalb des Weißwurstäquators nicht darum herumkommst, von Wien zu fantasieren. Aber, weil es geht hier ja immer noch um quirky Culture, ist das natürlich kein Wien-Album, wie du es dir vorstellst, erhältlich im Souvenirshop auf der Kärntnerstraße neben Sissi-Fetzen und Mozartkugeln. Kein Album, dass du dir reinballerst, während du für eine staubtrockene Entschuldigung eines Kuchens anstehst. Dorau geht’s da viel mehr um einen persönlichen Bezug zur Stadt, betrachtet von einem unvoreingenommenen touristischen Außen, als klischee- aber schon gar nicht friktionsfreie Auseinandersetzung mit »der Stadt mit dem wahrscheinlich schönsten Namen«. Musikalisch ist das natürlich Dorau pur, mehr Popmomente als eine so spießig-schmiere Stadt eigentlich verdient.
»Wien« von Andreas Dorau erscheint am 14. Februar 2025 via Tapete. (Noch) keine Termine in Österreich – come on! Hier kaufen.
Albrecht Schrader – »Albrecht Schrader«
![Albrecht Schrader (Bild: Tim Bruening)](https://thegap.at/wp-content/uploads/2025/02/01_albrecht-schrader_credit_tim-bruening-scaled-1-1024x684.jpg)
Der Schrader ist ein guter Mann. Der macht nämlich nicht nur aus großartigen Talenten Stars in Amerika – siehe natürlich vor allem Resi Reiner –, sondern seit gefühlt immer schon sehr tolle Musik unter seinem eigenen Namen. Selbigen trägt auch das fünfte Studioalbum von Albrecht Schrader, das ausgesprochen sanft-poppig daher kommt. War auf »Soft« aus 2023 mitunter durchaus auch Disco dabei, gibt’s nun wieder durchwegs klassisches Popsongwriting: Klavier, leichtes Schlagzeug, warme Klänge, Musik zum Sich-dabei-Verlieben. Selbst wenn es an der richtigen Person mangelt, dürfte selbiges zumindest für die Texte im Bereich des Möglichen sein. »Ich bin nicht sicher, ob das an Hamburg liegt / oder an der letzten Zeit / in der sich alles beim Alten versammelt hat / auf dem Thron der Vergangenheit«, ist etwa eine der schönen Zeilen im Highlight-Track »Ich bin nicht sicher ob das an Hamburg liegt«. Auch sehr gut: Der Meta-Song »Ist Musik noch unser Ding«, wo etwa Stars wie Resi Reiner, Rocko Schamoni oder Dierk von Lowtzow am Start sind und die Titelfrage wohl bejahen dürften. Das dürftest auch du, wenn du das Album hörst. Könnte dein Ding sein.
»Albrecht Schrader« von Albrecht Schrader erscheint am 28. Februar 2025 via Krokant. Keine Österreich-Termine. Hier kaufen.
Tocotronic – »Golden Years«
![Tocotronic (Bild: Noel Richter)](https://thegap.at/wp-content/uploads/2025/02/01_240926-tocotronic-pressefotos-387-hires_NOELRICHTER-1024x731.jpg)
Wenn die Silver Surfer der Gruppe Tocotronic ihr bereits vierzehntes Studioalbum »Golden Years« nennen, darf man, muss man davon ausgehen, dass das nicht ganz so ernst zu nehmen ist. Und fürwahr, da sind Doppeldeutungen pure Untertreibung, das ist mehr eine Zeitreise. Einerseits: Die Vergangenheit, die Erfolge auf »L’age d’or«, dem Label auf dem die ersten sieben Alben erschienen. Andererseits: Die Gegenwart, quasi die ironische Ebene, weil so ganz golden sind die Years zurzeit ja nicht unbedingt, vor allem wegen der Menschen, die »wissen, was sie tun« – danke noch einmal an die Wähler*innen an dieser Stelle. Drittens: Die Future respektive eher die Hoffnung darauf, dass irgendwann wieder alles besser wird, weißt eh, wenn die Hoffnung zuletzt stirbt, kann sie keiner begraben (Zitat von Wolfgang Müller). Viertens: Vom Songwriting kannst du durchaus einen Case für »Golden Years« machen – weil nie klangen Tocotronic textlich so forsch, so fordernd, so politisch und gleichermaßen intim, selten waren sie musikalisch so vielseitig und wandelbar. Es sind wahrhaftig »Golden Years« für Fans von Tocotronic. Für alle anderen – mal schauen.
»Golden Years« von Tocotronic erscheint am 14. Februar 2025 via Epic. Am 22. März spielt die Gruppe im Wiener Konzerthaus, leider ohne Rick McPhail. Album hier kaufen.
Christopher Annen & Francesco Wilking – »Alles was ich je werden wollte«
![Christopher Annen & Francesco Wilking (Bild: Lenny Rothenberg)](https://thegap.at/wp-content/uploads/2025/02/Main-PR-Pic1_lennyrothenberg-1970_Freigabe-1024x683.jpg)
Der eine von Annen May Kantereit und der eine von Die Höchste Eisenbahn (u. a.) haben im Vorjahr die wohl traurigste aller Zeilen veröffentlicht. Ganz am Ende ihres Songs »Gut so allein« hieß es nämlich: »Ich nehm den Nachtzug nach Rom / Aber er fährt nur bis München«. Ganz so enttäuschend wie es diese eine Zeile zu verheißen mag, ist das Debüt dieser Supergroup – auf Tour sind auch noch etwa Max Schröder und Stefanie Schrank dabei – dann doch nicht, ganz im Gegenteil. Klar, den Mitgliedern entsprechend ist das nicht gerade eckig und kantig, sondern – Achtung, Retrowort! – geschmeidig, wie ein samtener Fluss aus wolkig-softpoppigen Melodien und sexy Saxofonsoli, Musik fürs Nachmittagstief im Co-Working-Space, Musik, die wenig wehtut, aber vielleicht trotzdem gerade manchmal so richtig gut tut. Quasi wie so ein Sofa im Community Room, bisschen weich, aber immer noch besser als das harte Leben da draußen. Für den Reality Check gibt’s andere.
»Alles was ich je werden wollte« von Christopher Annen & Francesco Wilking erscheint am 7. Februar 2025 via Annen & Wilking Records. Keine Termine in Österreich. Hier kaufen.
Die Expressionisten – »Gefangene der freien Welt«
![Die Expressionisten (Bild: Rookie Records)](https://thegap.at/wp-content/uploads/2025/02/Die_Expressionisten_3000px.jpg)
Es gibt Dinge, die sind per se schon einmal gut. Supergroups gehören zwar nicht unbedingt zu der Sorte, wenn da aber – wie im Fall der brandneuen Gruppe Die Expressionisten – Leute von Black Heino oder Dackelblut oder auch Bikini Jesus dabei sind, dann darfst du schon einmal mit den Ohren schlackern und ihnen ungeteilte Aufmerksamkeit schenken. Selbiges dürftest du auch beim Hören der Mucke des Trios machen, sie nennen es Jangle Punk, sprich: melodischer Sixties-Pop mit coolen Anleihen an US-Punk, Ostblock-Postpunk, Collegerock und was deine coole große Schwester noch so früher gehört hat. Approval gibt’s auch für die Texte, über die dümmsten Schafe und ihre Schlächter, postmoderne Arbeitsbedingungen und Konsumzwang, also so ziemlich alles, was gerade angekotzt. Auch sehr interessant: Durch die namentliche Nähe zu Kunsthistorischem bietet sich der Berliner Kombo eine visuell interessante Bildfläche für coole Looks – was da bislang an Covers und Plakaten um die Ecke kam – schon ziemlich nice. Und ein guter Look ist per se schon einmal gut.
»Gefangene der freien Welt« von Die Expressionisten erscheint am 7. Februar 2025 via Rookie Records. Keine Termine in Österreich. Hier kaufen.
Außerdem erwähnenswert:
5/8erl in Ehr’n – »Burn On!«
(VÖ: 28. Februar 2025)
Achtung vor Zahlendrehern: Auf dem 7. Album der 5/8erl haben sie den Zeitgeist des 2025er-Jahres gut getroffen: Für Burnout ist schon lange kein Platz mehr, hackeln bis zum Umfallen, »Burn on!« eben. Während es textlich also doch recht stressig zugeht, schraubt man den Beifahrersitz musikalisch wieder ganz nach hinten, so laid back, dass es nimmer ärger geht, ganz klassisch 5/8erl. Stressig wird’s dafür dann wieder auf Tour von Mattersburg bis Bozen, also sicher in deiner Nähe. Album hier kaufen.
Die bisherigen Veröffentlichungen von Dominik Oswalds Reihe »Muttersprachenpop« finden sich unter diesem Link.