Deutschsprachiges zwischen Euphorie und Kapitulation, zwischen Pathos und Befindlichkeit. Ausgewählt von Dominik Oswald.
Drangsal – »Exit Strategy«
»Ich weiß doch gar nicht, wer ich bin« – Max Gruber alias Drangsal ist bereits im ersten Stück »Escape Fantasy« stilbildend für das, was auf seinem nun dritten Album, folgen sollte: Nach seinem frühen Szeneerfolg »Harieschaim« (2016) und dem endgültigen Wechsel ins Deutsche mit »Zores« (2018) ist der Künstler auf der Suche nach sich selbst, in Liedern wie »Mädchen sind die schönsten Jungs« – tolle Zeile: »komm’ zeig dich frei von X and Y sein« – , »Ich bin nicht so schön wie Du« oder »Urlaub von mir« steht Identitätspolitisches am Tableau. Aber vor allem auch musikalisch ist Drangsal ein Zerrissener, er fühlt sich aber erstmals wirklich wohl in seiner Rolle zwischen fast kitschigem Pop und dem Synthrock seiner Anfangstage, gar grenzenlos ist sein Ausflug in die große Geste. Die Besetzung unterstreicht beide Welten, so saß etwa Rosenstolz-Produzent Patrik Mejer an den Regeln, man hört Mia Morgan, aber eben auch Ilgen-Nur und das Gitarren-Feedback von Max Rieger. Grenzenlos und ohne Scheuklappen: Musik, passend zu den Themen. Stark!
»Exit Strategy« von Drangsal erscheint am 27. August 2021 via Virgin/ Universal. Noch keine Österreich-Termine.
Akne Kid Joe – »Die Jungs von AKJ«
Richtig gut: Das letzte Album der vielleicht wohl besten deutschsprachigen Punkband – harte Ansage, Alter! – namens »Die große Palmöllüge«, das erst 2020 erschien, war ein ziemlicher Abriss mit vielen sehr starken Songs wie etwa dem zum modernen Klassiker gewordenen »What AfD thinks we do…« oder dem Anti-Urlaubsflirt »Pizza Napoletana« – definitiv ein Album des Jahres.
Nicht so gut: Die Platte erscheint direkt vor dem Ausbruch der Pandemie, Livespielen: schwierig. Weil sich den richtigen Dingen im Leben auch schlechte Zeiten Gutes bringen, legen die Nürnberger bereits jetzt Album Nummer 3 vor, zwei Monate nach dem alten Release begannen die Arbeiten am neuen: Lustig betitelt – weil Akne Kid Joe ist im Unterschied zu den meisten anderen keine All-Male-Gruppe, sollte dir zu denken geben – bietet auch der neue Langspieler die gleiche textliche Marschroute wie bislang, musikalisch sowieso: Es geht einfach um Alles. Ob ehemalige Helden, die zu »Querdenker« werden (»Wieso?!«), eintönige Festival für die Mülltonne (»RiP/RaR«) und die obligatorische Abwesenheit von Bock, der spätkapitalistischen Verwertungsmaschinerie anheim zu fallen (»Nein danke!«). Kann man nicht anders sagen: Das ist und bleibt die Band der Stunde! Zu gut.
»Die Jungs von AKJ« von Akne Kid Joe erscheint am 27. August 2021 via Kidnap Music. Österreich-Termin (Pflichttermin): 20. November im B72, Wien.
Maffai – »Shiver«
Ebenfalls aus dem Hause Kidnap Music, das übrigens heuer sein 20-jähriges Bestehen feiert – herzlichen Glückwunsch! –, ebenfalls aus Nürnberg, ebenfalls bockstark (mit Betonung auf der ersten Silbe), ebenfalls ein Top-Tipp für alle, die auf moderne, kluge und gleichzeitig tanzbare Gitarrenmusik stehen. Bei Maffai sind seit jeher die Eckpunkte klassischer Indie-Rock, Punk und vereinzelte Anleihen an Hip-Hop, der aber glücklicherweise nur im Sprechgesang von Frontmann Mike Illig aufpoppt, mit dem zweiten Album – das erste »Zen« erschien 2019 – wird der ohnehin recht einzigartige Mix noch mit einem Mehr an Synths, Zugänglichkeit und Dark Wave zugespitzt, also noch viel individueller kann eine eigentliche Punk-Band 2021 auch wirklich nicht mehr klingen, gleichzeitig treibend und doch auch irgendwie picksüß. Dazu noch Songs wie »Cornerkids«, »Schieflage« oder das synthieverliebte »Down«, die das richtige Gespür für den großen Hit offenbaren. Sollte man sich zulegen, dringende Kaufempfehlung!
»Shiver« von Maffai erscheint am 6. August 2021 via Kidnap Music. Termin: 21.5.22, Rhiz, Wien.
Love-Songs & U. Schütte – »[Spannende Musik]«
Die Hamburger Gruppe Love-Songs, die auch schon an Ort und Stelle für ihren Vorgänger »Nicht Nicht« ausführlich gelobt wurde, macht für den neuesten Wurf gemeinsame Sache mit dem Tausendsassa der Avantgarde, namentlich Ulf Schütte, den man am ehesten noch von Projekten wie Datashock, Dandeleon oder zuletzt auch Phantom Horse kennen sollte. Neben dem sehr spannend betitelten Kollaborations-Album halten auch die Titel der sieben präsentierten Post-Krautrock-Stücke – Krautrock, im besten Sinne! – keinen Abstand zu Deskription: So heißen sie »Surren steigert sich«, »Dumpfes hämmerndes Dröhnen« oder »Langgezogener hoher Ton«, alle benannt nach real existierenden Untertitelspuren in Filmen. Einladender und zugänglich als gedacht ist dabei etwa die vorab ausgekoppelte Nummer «Unregelmäßiges Klicken«, die dem auch den dem Experimentellen eher skeptisch gegenüberstehenden Hörenden anerkennende Bewegungen abtrotzen. Immer gut, wenn ein Albumtitel sein Versprechen einlöst.
»[Spannende Musik]« von Love-Songs & U. Schütte erscheint am 27. August 2021 via Bureau B. Keine Österreich-Termine.
AUSSERDEM ERWÄHNENSWERT:
Kurt Prödel – »Wie kann man mit sich selbst so zufrieden sein«
(VÖ: 6. August 2021)
Wenn man es noch sagen würde, würde man hier jetzt sagen: »Richtig gutes Zeug«. Nicht zuletzt seit seiner besten Band des Internets, The Screenshots, ist Kurt Prödel auch in aller Munde der Musikbegeisterten, mit seiner ersten Solo-EP holt er wieder einmal die Kohlen aus dem erlöschenden Feuer der deutschen Popmusik. Auf fünf Stücken tobt sich der Meister aus, darunter sind allermindestens zwei Hits: »Jeder Mensch ist faszinierend«, gemeinsam mit – na klar! – Fritzi Ernst sowie das ebenso supere »Wie kann man mit selbst so zufrieden sein?«.
Die Supererbin – »How To Ruin Your Life«
(VÖ: 13. August 2021)
Die Supererbin beschreibt ihren Genre-Mix selbst als »Emo-Electro-Pop«. Für Connaisseure des gepflegten Trash, dessen, was andere Future-Pop zu nennen vermögen, bietet die Berlinerin zwölf Stücke mit deutschen oder englischen Texten, die sich rund um den Alltag eines typischen Großstadtmenschen drehen, vom Clubben über die vermeintliche Liebe in all ihren wünschenswerten und verabscheuungswürdigen Ausprägungen bis hin zur Stadt selbst.