Muttersprachenpop – die wichtigsten Veröffentlichungen im April 2018

Deutschsprachiges zwischen Euphorie und Kapitulation, zwischen Pathos und Befindlichkeit. Ausgewählt von Dominik Oswald.

© © Alfred Jansen

Wolfgang Müller – »Die sicherste Art zu reisen«

© Hans Starck

Entspannter, poetischer Songwriter-Indie-Pop der Krämers, zu Knpyhausens und haste nicht Gesehens ist trotz der so häufig kolportierten Überschreitung des Ablaufdatums doch immer wieder etwas ganz feines und wird seinem Ruf zum Glück nicht gerecht. Ein Genre voll ehemaliger Geheimtipps, die den ganz großen Wurf in die Heavy Rotation der WG-Diskussionsabende endlich einmal schaffen sollten. Wolfgang Müller ist so einer, der bislang völlig ungerecht unter der Wahrnehmungsgrenze der Bobo-Schickeria lief. Wolfgang Müller – nicht der Namensvetter von Die tödliche Doris – kommt – fast schon naturgemäß – aus Hamburg, zaubert auf seinem mittlerweile bereits sechsten Langspielalbum allerhand identitätsstiftende Zeilen auf Papier und hervorragende Arrangements in die Rillen. Müller muss sich dabei keinesfalls hinter den großen Namen verstecken, hält einen auf der guten halben Stunde Albumlänge jederzeit ganz nah bei sich, lässt einen verträumt-vergnügt schweben und spätestens bei seiner Turbostaat-Reminiszenz (»Vormann Leiss«) hat er alle restlos überzeugt.

»Die sicherste Art zu reisen« von Wolfgang Müller erscheint am 6.4.2018 via Fressmann (Indigo). Nachdem er im Januar als Vorband von Gisbert zu Knyphausen in Österreich war, gibt es keine aktuellen Österreich-Termine.

 

International Music – »Die besten Jahre«

© Alfred Jansen

Das kann und darf man gar nicht nicht gut finden: Ungooglebarer Bandname, zusätzlich auch als »unseriösere« Band The Düsseldorf Düsterboys unterwegs – spätestens beim Super-Smasher »Teneriffa« sollte es da klingeln –, gleich das Debütalbum (als International Music) ist ein doppeltes mit deutlich über eine Stunde Spielzeit. Der Hit und das erste dicke Lebenszeichen »Mama, warum?« war gleich mal auf dem zweiten »Keine Bewegung«-Sampler platziert. Hypetechnisch ist das quasi das Äquivalent zu einem NME-Cover – Satan habe ihn selig – in den Nullerjahren. Das Label dahinter – Staatsakt – passt auch, die haben sich in den letzten Jahren auch semikommerziell wenig zu Schulden kommen lassen. Auch super: International Music deklinierten alles, was sich grob unter avantgardistischen Pop subsumieren ließe, in erstaunlicher Konsequenz durch, das Gemisch lässt sich am ehesten noch als elaborierter Dark Pop umschreiben, der aber durchaus nicht ganz so dark daherkommt. Die individuellen Merkmale der drei Musiker – der Schlagzeuger ist eigentlich Kunstmaler, der Gitarrist studierter klassischer Komponist, der Basser Rock’n’Roller – schlagen sich im Klangbild vortrefflich wieder: Hier wird kein Post-Whatever geknüppelt, hier werden akzentuierte Kunstwerke vollführt.

»Die besten Jahren« von International Music erscheint am 27.4. via Staatsakt. Noch keine Österreich-Termine.

 

Jo Strauss – »Der blinde Fleck«

© Kevin Rieseneder

Jo Strauss, amtsbekannt für sein unendlich tiefes im oberösterreichisch geprägten Dialekt vorgetragenes Timbre, ist ein Mann des Prinzips. Einer, der besonders bedacht ist, sein Bild nach Außen hegt und pflegt. Auch bei seinem dritten Album »Der blinde Fleck« ist das Cover von seinem Konterfei gefüllt, selbstverständlich rauchend, selbstverständlich im Anzug, selbstverständlich mit Cravat. Einer wie er muss tschicken, sonst kriegst du diese Stimme einfach nicht hin. Einer wie er braucht die optische Sprezzatura, sonst kaufst du ihm seine Stimme nicht ab. All das ist schon mal wahnsinnig sympathisch. Etwas hat er aber doch geändert. Während die musikalische Darbietung im letzten Album – das damals an selber Stelle ausführlich besprochen wurde – noch dezenter ausgeprägt war – es fielen die Stichworte Folk, Jazz, Pianopop –, zeigen sich Strauss und seine sechsköpfige Partie deutlich ausgeladener. Auch wenn natürlich weite Strecken der Dreiviertelstunde reduziert daherkommen, ist man sich für Stadionpop mit Crescendi keinesfalls zu schade. Besonders intim wird der Kabarettist – keine Sorge, es gibt keine Schmähs am Album – natürlich bei den sanften Stücken, insbesondere »Liegen wiar a Staa« oder »Der blinde Fleck« – tolle Zeile: »Du kånnst no so guad schmier’n und no so guad schrauf’n, aber ålles geht irgendwånn in Oasch« – tun sich da hervor. Ein Album zum Genauhinhören, das hat es sich aber auch redlich verdient. Top!

»Der blinde Fleck« von Jo Strauss erscheint am 6.4.2018 via Donnerwetter. Termine: 20.4.: U-Hof Ulrichsberg, 21.4.: Central Linz, 26.4.: Radiokulturhaus Wien, 13.10.: Schlachthof Wels.

 

C-60 – »Fröhlich und unverwüstlich«

© C-60 / Las Vegas Records

Entschleunigung und Beeilung, nur selten sind die beiden Pole so nah beisammen wie bei den oberösterreichischen Elektropoppern C-60. Bereits seit 1999 bestehend, gab es bislang nur zwei Alben –»Mutters kleine Helfer (2006)« und »Problemfaktor Mensch« –, angesichts dessen sind die vier Jahre Anlaufphase für »Fröhlich und unverwüstlich« gar rasant. Rasant geht es aber definitiv auf musikalischer Ebene zur Sache, hämmernde Drum-Pattern, die gar an verschwitze Abende in den Neonclubs der frühen, mittleren und späten Achtzigern erinnert, ziehen das Tempo verschärft an. Auch der bisweilen repetitive Gesang gibt den zehn Stücken etwas ungewohnt tranciges. Ja, was C-60 präsentieren, ist äußerst stringend, geradlinig und scheut keine Konflikte. Textlich ist das mitunter ein Abgesang auf das Modern Living. »Fröhlich und unverwüstlich« ist Clubmusik für lange Nächte, für verschwitzes Aufgeilen, für Reduktion auf Trieb. C-60 kann man gleich direkt für die Afterhour am Popfest buchen. Das taugt den Leuten sicher.

»Fröhlich und unverwüstlich« von C-60 erscheint am 6.4.2018 via Las Vegas Records. Keine Termine bekannt.

 

Tom Liwa – »Ganz normale Songs«

© Saskia Lippold

Läuft für Liwa. Gerade im Dezember wurde mit »Red’ nicht von Straßen, nicht von Zügen« sein bestrezipiertes Album, das er 1994 mit den anderen Flowerpornoes aufgenommen hatte, von Grand Hotel van Cleef erstmalig auf Vinyl aufgelegt, damit die besonders Distinktionsgeilen auch das post-authentische Feeling haben. Nun erscheint das bereits 25. Album. Zuletzt vor allem mit der scheinbar spielerisch leichten Verbandelung von Kosmologischem mit Alltäglichem aufgefallen, ist das absichtlich falsch benannte »Ganz normale Songs« natürlich bewusst eben das nicht. Das Jubiläum begehrt er mit ungewohnter Nähe und Nonchalance, ist geradezu intim trotz heftig angeschlagener Gitarrensaiten, aus denen höchst unterschiedliche Spielarten entspringen: Da ist akustisches Geschrammel, da sind Licks, das ist Pop, das ist Rock, das ist Barjazz, manchmal hört man Banjos und Bongos, die auch mitunter mit alten Kollegen und Bekannten von Zucker oder Golden Disko Ship geschlagen wurden. Produziert hat Superproduzent Tobias Levin. Kurz: »Ganz normale Songs« liefert erwachsenen Gitarrenpop für die Grand Hotel van Cleef Zielgruppe.

»Ganz normale Songs« von Tom Liwa erscheint am 13.4.2018 via Grand Hotel van Cleef. Keine Österreich-Termine.

 

AUSSERDEM ERWÄHNENSWERT:

VIECH – »Heute Nacht nach Budapest« (VÖ: 6. April 2018)

Der Vorgänger »Yeah« war formidabel, insbesondere »Oh Elise« hat sich ins kollektive Gedächtnis der österreichischen Pop-Aficionados getutet. Mit einigen Mitgliederwechseln und dem Welt-Album vom nun alleinigen Sänger und Songschreiber Paul Plut hat sich auch musikalisch einiges getan. Die Geschichten von Außenseitern werden nun deutlich weniger poppig, aber erdiger und geradliniger erzählt. Wer mehr wissen möchte, möge diesem Link folgen.

Die Nerven – »Fake« (VÖ: 20. April 2018)

Das Must-Have des Monats präsentiert erneut die immer noch fantastische Gruppe Die Nerven, die sich auch auf ihrem vierten Album gegen die Beschissenheiten dieser Welten auflehnen und wie schon am Vorgänger »Fun« den Titel ad absurdum führen und mit besonderer Realness ihr bislang »härtestes« Werk auf die Matte schicken. Selbstverständlich wird es zu »Fake« auch einen längeren Artikel an selber Ort und Stelle zu lesen geben.

Drangsal – »Zores« (VÖ: 27. April 2018)

Nach der Supertop-EP mit Stella Sommer – siehe hier – und einigen Features der uncooleren Sorte kehrt Sexsymbol Max Gruber ins Albumformat zurück und wird zunehmend zum Gefangenen seiner selbstauferlegten Darstellung und zergeht sich etwas in kitschiger Angewandten-Insta-Ästhetik, womit er auch seinem musikalischen Anspruch nicht unbedingt gerecht wird. Nach dem gewaltigen und ebenso inszenierten »Harieschaim« ist »Zores« ein Eingeständnis. Nur fragt sich, an wen.

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