Muttersprachenpop – die wichtigsten Veröffentlichungen im Februar 2021

Deutschsprachiges zwischen Euphorie und Kapitulation, zwischen Pathos und Befindlichkeit. Ausgewählt von Dominik Oswald.

© Christoph Voy
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Die Regierung – »Da«

© Christoph Voy
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Dreiundzwanzig Jahre nix und dann geht’s auf einmal so richtig rund: Innerhalb von vier Jahren veröffentlicht die Gruppe mit dem Google-unfreundlichen Namen – das gab’s ja damals alles nicht! – nun das dritte Album nach der Reunion. Nach dem fulminanten Comeback »Raus« aus dem Jahr 2017, das mit einer Vielzahl an Hits tatsächlich ein ernsthafter Kandidat für die Diskussion zum Album des Jahrzehnts war, erschien 2019 mit »Was« ein würdiger Nachfolger. Während man im Titel des neuen Albums »Da« erneut einen Buchstaben eingespart hat, lies man es an anderer Stelle ausufern: Schrammelmusik könnte man es nennen, Krautrock und Dub klingen dabei ebenso durch wie der typische Sound von Die Regierung: Mäandernde Klangkonstruktionen zwischen Bequemlichkeitspop und Dringlichkeitsrock, es geht einfach so dahin, man erwischt sich beim Dazuschweigen und sanften Mitwippen, man erkennt den klanglichen Soft-Relaunch sofort, stört sich aber keineswegs daran – und das ist ja schon im Allgemeinen einfach sehr gut. Typisch Die Regierung eben.

»Da« von Die Regierung erscheint am 5. Februar 2021 via Staatsakt. Derweil keine Österreich-Termine geplant.

Milliarden – »Schuldig«

© Christoph Voy
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Die Frage »Rockstar ja/nein« spaltet jede musikalische Seele sowieso, bei Milliarden spaltet sie vielleicht Nationen, weil: das ist ganz schön schwer zu sagen. Manche sagen: »Chartserfolge!« und ja, die hat die Berliner Gruppe zuhauf: Das Debüt »Betrüger« steigt 2016 bis auf Platz 25 in Deutschland, das zweite Album »Berlin« 2018 bis auf Platz 44. Manche sagen: »Einen Rockstar, den erkenne ich auf der Straße!«. Und das tut man eben bei Milliarden nicht, kennt halt nicht jede Sau. Aber, und jetzt pass auf: Milliarden haben das Zeug, den Bandnamen auch am Konto zu tragen, denn – und das finale Argument sticht, wer das letzte Wort hat, gewinnt –: Milliarden haben die Attitüde, den Look und – das ist das wichtigste – die Songs, um zum fettesten Namen auf den Festival-Plakaten zu werden: Treibender, aber gleichzeitig poppiger Indie-Rock’n’Roll, der mit allen relevanten Subgenres spielt und – bei der Generation YouTube mittlerweile fast das wichtigste –unglaublich relatable Texte. Bestes Beispiel: »Himmelblick«, jetzt schon ein Klassiker. Zusammengefasst also: Auf »Schuldig« werden endlich Rockstars geboren. Die Rockstars, die wir alle verdienen. (Also positiv gemeint.)

»Schuldig« von Milliarden erscheint am 5. Februar 2021 via Zuckerplatte / The Orchard. Österreich-Termin (zumindest anberaumt): 19.3., Arena Wien.

Masha Qrella – »Woanders«

© Claudia Rorarius
© Claudia Rorarius

Der gesangliche Wechsel von einer Fremdsprache zu einer Muttersprache kann theoretisch viele Gründe haben – bei vielen Simultanten des so genannten österreichischen Popwunders war es aber häufig nur der finanzielle Anreiz, das Mitschwimmen auf der Welle sozusagen. Bei der Berliner Songwriterin Masha Qrella, die seit 2002 insgesamt fünf englischsprachige Alben veröffentlicht hat und es auch bis zu »Grey’s Anatomy« geschafft hat – Songs für den Soundtrack von US-Serien zu liefern ist immer das beste, was einem passieren kann –, sieht es ein klein wenig anders aus: Sie vertont nun auf Deutsch nämlich nicht irgendeinem Trend folgend eigene Texte, sondern jene des 1976 in den kapitalistischen Westen geflüchteten Lyrikers Thomas Brasch. Ein Roman der Schwester Brasch’ hatte Qrella dazu inspiriert. Für die Vertonung der 17 Stücke hat sie sich neben der eigenen Stimme auch äußerst prominente Wegbegleiter angeschafft: Chris Imler hört man genauso wie Dirk von Lowtzow oder Andreas Spechtl. Herausgekommen ist ein ambitioniertes Werk von elektronisch verliebter Popmusik zwischen New Wave und Postrock – für einsame Nächte in der Großstadt.

»Woanders« von Masha Qrella erscheint am 19. Februar 2021 bei Staatsakt. Keine Österreich-Termine.

Rainald Grebe – »Popmusik«

© Christoph Busse
© Christoph Busse

Dass Rainald Grebe einer der großartigsten deutschen Humorkünstler ist, dürfte wohl unbestritten sein. Dass vor allem seine langsamen und melancholischen Stücke – [hier eine Liste einsetzen, die in etwa so viel Platz einnähme wie, äh, na wie eben eine Liste von hunderten Stücken] – überall geliebt und gefeiert werden, ist ebenso bekannt. Dass sich Rainald Grebe zwischen dem Millionenpublikum in den Quatschsendungen des Öffentlich-Rechtlichen genauso gut macht wie im kleinsten Theater der Welt, hat man auch schon mal gehört. Was man aber noch nicht über Grebe weiß: Er ist ein Freund der Popmusik, er gönnt sich mit seinem neuen Album – erst 2019 erschien das starke »Albanien« mit tollem Titelsong – auch eine große Dosis für sich selbst. Geschliffen, tanzbar, elektronisch verstärkt, Refrains zum Mitsingen und auch Tanzen. Dass da trotzdem ordentlich viel Klamauk dabei ist – etwa in »Klick« – liegt in der Natur der Sache, dennoch kommen auch die Liebhaber der ruhigen Stücke auf ihre Kosten, aber eben ein klein bisschen anders. Beweis: »Meganice Zeit«, tolle Zeile: »Schalt das Radio ein / Und die Sonne scheint wie Billie Eilish«.

»Popmusik« von Rainald Grebe erscheint am 5. Februar 2021 via Tonproduktion. Österreich-Termine: 9.10., Posthof, Linz. 11.10., Stadtsaal, Wien.

Olympya – »Auto«

© Lena Allgeier
© Lena Allgeier

Das Hamburger Label Audiolith ist zwar nicht nur exklusiv, aber hauptsächlich bekannt durch die Lieder wie das mit den schönen großen Buchstaben. Dass sich mit der Gruppe Olympya um den Rapper Pierre Sonality nun einer dieser Hybride aus NDW, Post-Punk und Hip-Hop findet, ist dennoch eine Weiterentwicklung und passt sowohl zum Label als auch zum Künstler prima: Diese Art von Befindlichkeitsrap – ganz wertfrei gemeint – lässt sich mit halligen Gitarren und Neon-Atmosphäre besser transportieren als mit billigen Beats aus der Konserve. Das haben ja auch schon andere bewiesen. Der Sound war übrigens nicht immer ganz klar – ein fertig produziertes Album wurde schon gekübelt, einige Videos auch –, klassisches Debüt eben. Wie sich aber »Auto« nun anhört, ist feine Seide: Euphorischer Gesang, durchwegs das große Wort P-O-P im Sinne, aber keinesfalls beliebig oder langweilig. Und das muss man erst einmal schaffen, also so als eigentlicher Hip-Hopper (sagt man das noch so?).

»Auto« von Olympya erscheint am 26. Februar 2021 via Audiolith Records. Keine Österreich-Termine.

AUSSERDEM ERWÄHNENSWERT:

Erik Cohen – »Northern Soul«

(VÖ: 26.2.2021)

Entwarnung für die Mods mit Schnappatmung: Erik Cohen – ein Stammgast in dieser Kategorie – legt mit seinem nun fünften Solo-Album keine LP voller Soul-Hawks vor, sondern besingt tatsächlich die »nordische Seele«: Mit seinem Trademark-Schweinerock klopft er themengerechte Hymnen wie »Schleswig-Holstein« auf die Trommelfelle. Oder wie ein YouTube-Kommentar anspielte: Erik Cohen ist quasi der Herbert Grönemeyer von Kiel. Oder so.

Der Feine Herr Soundso – »Wann, wenn nicht irgendwann«

(VÖ: 19.2.2021)

Die melodieverliebten Hamburger Der Feine Herr Soundso, die bereits mit ihrer Debüt-EP »Beweisstück A« den Szenekundigen aufgefallen sind, legen nun mit Verzögerung – aus bekannten Gründen – ihr Debüt-Album nach: Klassischer politisch-kritischer Punkrock, der sich nicht nur mit den Rechten anlegt, sondern auch den weiterhin grassierenden Sexismus in einer ach-so-aufgeschlossenen Szene pointiert kritisiert. Wichtig und gut!

Tom Taschenmesser – »Verstehst du nein gut«

(VÖ: 17.2.2021)

Der Wuppertaler Tom Taschenmesser, der musikalisch im sehr spannenden Spannungsfeld zwischen Die Nerven und Messer agiert, erzählt auf seiner Debüt-EP – ein paar Singles mit äußerst positiver Resonanz gab es schon – die Geschichten der Vergessenen und Abgehängten. Da er dies mit äußerster Dringlichkeit umsetzt, muss man auf jeden Fall einen »To Watch«-Stempel mit Sternchen ins Noise-Klassenbuch eintragen. Stark!

Illegale Farben –»Unbedeutend ungenau«

(VÖ: 12.2.2021)

Dort, wo die Stilgrenzen von Postpunk und Wave aufbrechen, lokalisiert man gerne Spannendes: Die Kölner Gruppe Illegale Farben, die bereits mit ihrem namenlosen 2016er Debüt sowie mit dem zweiten Album »Grau« (2017), gut rezipierte Großtaten fabrizierter, setzt beim sonst so schwierigen Dritten erstmals auf Hilfe von außen: Produziert von Björn Sonnenberg, gibt man sich auf »Unbedeutend ungenau« betont düsterer, experimenteller und ja – auch sperriger. 

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