Muttersprachenpop – die wichtigsten Veröffentlichungen im Juli 2019

Deutschsprachiges zwischen Euphorie und Kapitulation, zwischen Pathos und Befindlichkeit. Ausgewählt von Dominik Oswald.

Deutsche Laichen © Sophia Roßberg
© Sophia Roßberg

Stereo Total – »Ah! Quel Cinéma!«

Stereo Total © Paul Cabine
© Paul Cabine

Was für ein Theater! Dem guten Wortwitz niemals abgeneigt, hält auch das mittlerweile bereits – je nach Sichtweise – fünfzehnte Album der Berliner was der Titel verspricht: Eklektizismus als höchste Maxime: Eine Revue voller Musiken und Anti-Musiken, auf Deutsch, Englisch und Französisch. Zusammengehalten durch den roten Faden der Eigenheiten von Stereo Total und einer theatralischen Auffassung von Musik, exerzieren Françoise Cactus und Brezel Göring die Bandbreite des Menschlichen – von Suizid und Katzen auf Dächern bis hin zu Drogenmissbrauch und der eigenen, wohl ironischen Coolness. Genau jene bildet das Sujet im ersten Kernstück, dem äußerst tanzbaren »Ich bin cool«, das vor coolen Sätzen wie »Hinter cooler Arroganz verstecke ich meine Larmoyanz« nur so glitzert. Auch das thematisch zentrale Stück »Cinemascope«, das den dramatischen Approach des Albums auf den Punkt bringt, ist ein Sammelsurium an schlauen Ideen: »Das Leben in Cinemascope ist all meine Ambition« oder »Die ganze Woche tu ich nichts, am Wochenende erhol ich mich«. Sehr charmant, sehr smart, sehr tanzbar.

»Ah! Quel Cinéma!« von Stereo Total erscheint am 12.7.2019 via Tapete. Termin in Österreich: 6.10. Fluc Wien.

Jetzt! – »Wie es war«

Jetzt! © Frank Wierke
© Frank Wierke

Aufmerksame Leserinnen und Leser kennen natürlich die Gruppe Jetzt!: Die Gruppe rund um Michael Girke, die so wesentlich für die Entwicklung des deutschen Indierocks war, die lange noch vor dem, was man schließlich die Hamburger Schule nannte, in Bad Salzuflen, rund um Begemann, La Hengst und wie sie alle hießen, bereits Mitte der 80er Jahre im »Fast Weltweit«-Label-Kollektiv fast die ganze Welt beeinflussen sollte. Erst vor rund zwei Jahren erschien mit der mittlerweile auf Vinyl ausverkauften Werkschau »Liebe in großen Städten (1984-1988)« das erste eigene »Album«. Dass jetzt tatsächlich das erste richtige Album erscheint, ist dabei gleichzeitig überraschend als auch sehr gut: Mit feingeistigem Indiepop, brillant betextet und gar zauberhaft intoniert. Das Klangbild bestimmen akustische Gitarren, ab und an eine Orgel, Klavierbegleitung und eben diese samtweiche Stimme, die trotz teilweise schwerer Texte gar sommerliche Stimmungsmuster in den Köpfen der Rezipierenden zum Blühen bringen.

»Wie es war«von Jetzt! erscheint am 26.7.2019 via Tapete. Keine Österreich-Termine.

Deutsche Laichen – »Deutsche Laichen«

Deutsche Laichen © Sophia Roßberg
© Sophia Roßberg

»Emanzenlesbenschlampe«: Gleich das erste Stück der Gruppe Deutsche Laichen bringt in anderthalb Minuten so ziemlich auf den Punkt, warum es sie und noch Millionen weiterer Gruppen mit queer-feministischem Ansatz benötigt – wobei natürlich die Überwindung der Notwendigkeit für Kritik an der hegemonialen Männlichkeit durch die Auflösung ebensolcher das Etappenziel wäre, aber das wissen Sie hoffentlich längst. Im Musik-»geschäft« und auch innerhalb der ach so aufgeklärten Punk-Gesellschaften ist Sexismus noch immer an der Tagesordnung, toxische Männlichkeiten terrorisieren auch im Punk jene Personen, die weder dem typischen cis-boy noch den Klischees der Binarität entsprechen. Abseits aller Politik: Das Debütalbum, das konsequenterweise bei Zeitstrafe erscheint – Deutschlands erster Anlaufstelle für zeitgenössischen Dagegen-Punk –, haut in elf Stücken so ziemlich alles raus, in wüst-wütendem Duktus pöbelt die Gruppe aus Göttingen mit Eins-a-1-2-3-Punk gegen Macker und Bullen. Wenn Sie heuer – aus welchen Gründen auch immer – nur ein Punk-Album kaufen, sollten Sie womöglich dieses kaufen. Sie werden es nicht bereuen.

»Deutsche Laichen« von Deutsche Laichen erscheint am 12.7.2019 via Zeitstrafe. Keine Österreich-Termine geplant. 

Rainald Grebe & die Kapelle der Versöhnung – »Albanien«

Rainald Grebe © Gesa Simons
© Gesa Simons

Wenn Rainald Grebe auf Tour geht, so hat er einiges zu erzählen: Die meisten Solo-Alben und auch jene mit Band sind Live-Mitschnitte seines »Musikkabaretts« – wobei: Grebe ist darüber seit Alben hinaus und spielt längst in der Liga der allergeistreichsten SongschreiberInnen. Und sowieso: »Albanien« ist ein Studioalbum, bestehend aus unveröffentlichten Kompositionen der letzten sieben Jahren, erstanden im Rahmen der Aufnahmen für Alben und Theaterstücke. Natürlich geizt der Meister der pointierten Formulierung und der Subtilität nicht mit Facettenreichtum, kombiniert auf den insgesamt 17 Stücken – plus einem Hidden Track, einer Live-Version von »Massenkompatibel« – sämtliche Genres, die auf den Erfolgs-Langspieler wie »1968«, »Das Hongkong-Konzert« oder »Zurück zur Natur« schon ihr Gehör fanden: Neben Trademark-Piano-Balladen labt man sich an ironischem Country, Dance, harter Gitarrenmusik und allem ohne Scheuklappen. Thematisch geht’s natürlich wieder um alles, was den gemeinen Mitteleuropäer so schrullig sein lässt: Nahrungsaufnahme, Urlaub, Sinnkrisen und mehr. 

»Albanien« von Rainald Grebe & die Kapelle der Versöhnung erscheint am 19.7.2019 via Versöhnungsrecords. Keine Ö-Termine derzeit.

Fliehende Stürme – »Neun Leben«

© Fliehende Stürme / Alice in... / Major Label
© Fliehende Stürme / Alice in… / Major Label

Kann man sich auch irgendwie nur schwer vorstellen: Das Leben mit Helden-Status. Dass es da auch einmal acht Jahre zwischen zwei Alben dauert – geschenkt. Dass die Gruppe ihre Fans noch einmal mit neuer Musik beschenkt, ist quasi schon Ehre genug. Für jene, die es nicht wissen: Fliehende Stürme sind sozusagen die Vorreiter des Dark Wave im deutschsprachigen Raum, Nachfolge-Band der noch legendäreren Stuttgarter Punk-Kombi Chaos Z, die in ihrer Existenz von 1980 bis 1983 zum Vorreiter für deutschsprachigen Hardcore-Punk mit D-Beat wurde –, die Gruppe ist also ganz schön geschichtsträchtig. Die Band hat stets weiterveröffentlicht und lässt mit den acht Jahren, die seit dem Vorgänger »Warten auf Raketen« vergangen sind, die Lücke an Veröffentlichungen von neuen Stücken ihrer Karriere klaffen: Das Warten hat sich aber nicht nur für die Fans gelohnt: Die neun Lieder – wieder im klaren Dualismus von beklemmender Poesie und dissonanter Destruktion – sind unverwechselbar Fliehende Stürme, der Gesang sonor wie immer, als hätte es die Zeit gar nicht gegeben. Zeitlos, sozusagen.

»Neun Leben« von Fliehende Stürme erscheint am 5.7.2019 via Alice in…/ Major Label. Keine Ö-Termine.

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