Deutschsprachiges zwischen Euphorie und Kapitulation, zwischen Pathos und Befindlichkeit. Ausgewählt von Dominik Oswald. Die wichtigsten deutschsprachigen Neuerscheinungen im Februar 2024. Mit Klez.e, Olli Schulz, Grossstadtgeflüster, Von Flocken und mehr.
Olli Schulz – »Vom Rand der Zeit«
Die sagenhafte Kulturtechnik des Vergessens ist für informationsüberflutete Gehirne mit 1,7 Sekunden Aufmerksamkeitsspanne geübtes und unterbewusstes Tun, wobei natürlich gegen gewisses Vergessen berechtigte Einsprüche erhoben werden müssen: Denn neben all den Blödeleien, all den Fernsehauftritten, all den Podcasts, all den Fisimatenten darf man einfach nicht vergessen, wie verdammt gute Lieder dieser Oliver Marc Schulz schreiben kann. Wobei so oft sieht man ihn eh nicht mehr, weniger Bildschirmzeit quasi, auch gehört hat man ihn zumindest auf Platte schon länger nicht mehr, 2018 das letzte Album »Scheiß Leben, gut erzählt«. Auf dem fünften Solo-Album nur unter seinem Namen entdeckt Schulz auf seine alten Tage – schon über 50 der Mann! – die Langsamkeit und Traurigkeit wieder für sich, die er zwar bereits auf vielen seiner früheren Album aufblitzen lies – und es waren immer die Highlights –, aber selten waren die Stücke von so atmosphärischer und inhaltlicher Dichte. Voller Kneipengeschichten (»Am Rand der Zeit«), der Hoffnung auf Ausbruch aus dem Alltag (»Einfach so«) oder Vorverurteilungen (»Falsch erzählt«) oder oder oder. Also bitte, auch in Zukunft nie wieder vergessen: Der Mann kann’s. Dringende Empfehlung.
»Vom Rand der Zeit« von Olli Schulz erscheint am 9. Februar via Runde Hunde. Keine Termine in Österreich. Hier kaufen.
Klez.e – »Erregung«
Sie werden sich noch daran erinnern, als ob es gestern gewesen wäre, war es zwar nicht, es ist schon sieben Jahre her, aber die Erinnerung wird frisch sein, so gut und erfrischend und überwältigend war das damals: Das letzte und beste und sowieso supere Album der Gruppe Klez.e namens »Desintegration« ist eines der besten Alben der gesamten Zehnerjahre. Inwieweit wir ähnliches über das überfällige neue Album sagen können, hängt natürlich von mehreren Faktoren in der gesamtgeschichtlichen Einordnung ab. Aber was wir schon sagen können: Es ist wieder verdammt super geworden. Waviger, düsterer Post-Punk ist ja sowieso gerade so en vogue wie eigentlich nicht einmal in den 80ern – und das auch völlig zurecht. Was aber Klez.e rund um »Superproduzent« Tobias Siebert, der mittlerweile auch schon frisurentechnisch Robert Smith ziemlich ähnlich sieht, gelingt, ist auf einem ganz anderen Niveau: Textlich sowieso, politisch, aktuell, dabei so herrlich vage und beklemmend, aber irgendwie auch immer so präzise. Nagelschläge auf den Sarg der ureigenen Momente der Unsicherheit. Im Gegensatz dazu die Musik, die – anders als bei den meisten – nicht voll von Pathos oder gespielter Coolness ist, sondern einfach todessouverän und selbstbestimmt. Und das ist echt eine Seltenheit. Must-have der Saison!
»Erregung« von Klez.e erscheint am 23. Februar via Windig. Keine Termine in Österreich (Skandal!). Hier kaufen.
Grossstadtgeflüster – »Das Über-Icke«
»Ich muss gar nix«, »Fickt-Euch-Allee«, »Feierabend« und jetzt: »Ich kündige«. Also man kann über Grossstadtgeflüster wirklich einiges sagen – hier einfügen – aber eines können sie definitiv: Richtige Banger rausschmeißen, vor allem für all jene, die keinen Bock mehr haben auf Vorschriften, Hamsterrad und all den Scheiß, der damit zusammen hängt. Und sie können damit auch richtig erfolgreich sein – Viewzahlen und Chartplatzierungen on fleek, wie man sagt. Auf ihrem siebten Album sieht das Trio also berechtigterweise nur wenig Anlass, etwas zu ändern: Jedem Song wohnt wieder die gewohnte Mischung aus Rave, Pop, Hip-Hop, Punk und allem Artverwandtem inne. Mit plakativen Texten, die dieses Mal tatsächlich noch ein bisschen mehr berlinern als bisher. Die Mucke ist also auch auf »Das Über-Icke« wieder pure Exzess-Optimierung für einen langen Open-Air-Sommer, ab Mai machen Grossstadtgeflüster auch wieder Station in Österreich.
»Das Über-Icke« von Grossstadtgeflüster erscheint am 9. Februar via BMG. Termine in Österreich: 2. Mai Szene Salzburg, 3. Mai Arena Wien, 4. Mai Orpheum Graz und 29. Juni Lido Nights Linz. Hier kaufen.
Sperling – »Menschen wie mir verzeiht man die Welt oder hasst sie«
Wenn man feuchtfröhlich Genres durchmischt, kann man sich leicht in die Nesseln setzen. Wenn’s dann auch noch welche sind, die nicht gerade für musikalisch-inklusives Mindset bekannt sind, wie etwa jenes des ansonsten ja durchaus geschätzten Post-Hardcores, können es durchaus auch Brennnesseln sein, in die man sich setzt. Damit gerade die Verknüpfung ebenjenes Post-HC mit Rap durchaus auch auf Gegenliebe bei Publikum und Kritik stoßen kann, dafür benötigt es dann halt vor allem gute Songs, die weder gegenüber dem einen noch dem anderen anbiedernd wirken. Und die haben – so viel sei schon verraten – Sperling definitiv. Bereits das 21er Debüt »Zweifel« war recht spannend, das neue Album mit dem schönen Titel »Menschen wie mir verzeiht man die Welt oder hasst sie«, schließt nahtlos daran an und offenbart neben reichlich Indie-Gitarren auch kathartische Poesie sowie Features etwa von der amerikanischen Kapelle Being as an Ocean. Und wenn einmal die Szenengrößen mitmachen, weiß man: Es geht sich schon gut aus, dieser Clash of Kulturen.
»Menschen wie mir verzeiht man die Welt oder hasst sie« von Sperling erscheint am 23. Februar via Uncle M. Keine Termine in Österreich. Hier kaufen.
Von Flocken – »Palmen von Cannes«
Gewagte These: Das Beste am Sommer ist die Vorfreude. Auch im Winter regelt sich mancher Vitamin-D-Mangel durch die bloße Vorstellung. Die Zellen erneuern sich durch den Gedanken. Wer’s noch ein bisschen süßer braucht oder wem die Vorstellungskraft an nasskalten Tagen ausgeht, dem sei das Debütalbum der Berliner Indiepopper Von Flocken ans Herz gelegt: Die reisen im Karmann-Ghia an die Côte d’Azur und nehmen uns auf ihrem Roadtrip auf der Strada del Sole mit zuckersüßem schlagerhaftem Sehnsuchtspop voller Anspielungen, Sprezzatura und einer frischen Brise – natürlich! – 80er Vibes mit. Ohne letzterem brauchst du ja gar nicht mehr das Haus verlassen. Dass da manchmal kritische Fragen gestellt werden, etwa, ob’s die ganze Hitze wirklich braucht, ist dabei nur bloße Selbstversicherung, tauchen die Berliner doch direkt in die Sonnenstrahlen an und zeigen, dass der große Traum vom Süden auch 2024 nicht ausgeträumt ist.
»Palmen von Cannes« von Von Flocken erscheint am 23. Februar unter der Katalognummer VFR001. Keine Termine in Österreich. Kaufen kannst du die Platte vermutlich am besten über die Band selbst.
Außerdem erwähnenswert:
Ja, Panik – »Don’t play with the rich kids«
(VÖ: 2. Februar)
Die Gruppe Ja, Panik erlebt ihren »full circle moment« und wird, nachdem sie ja in der Vergangenheit so ziemlich alles abgerissen hat, wieder zur Rockband. Das ist vor allem eines – unerwartet. Und tatsächlich recht ambivalent. Etwas, woran sich hohe und niedrige Geister scheiden. Also eigentlich wieder recht Ja, Panik. Mehr darüber weiß Sarah Wetzlmayr in der aktuellen Ausgabe von The Gap zu berichten. Hier lesen. Album hier kaufen.
Zinn – »Chthuluzän«
(VÖ: 9. Februar)
Auf ihrem zweiten Album machen Zinn, die mit ihrem Debüt viele Türen aufgestoßen haben, mit so ziemlich allem Schluss: Österreichischen Labels – wie so viele in letzter Zeit –, mit dem Patriarchat und dem Kapitalismus sowieso, aber vor allem auch mit der Popmusik. Warum das eigentlich ziemlich konsequent ist, können Sie in der kommenden Ausgabe von The Gap lesen. Oder online hier. Album hier kaufen.
Die Sterne – »Grandezza«
(VÖ: 9. Februar)
»Was hat dich bloß so ruiniert«, »Universal Tellerwäscher«, »Die Interessanten«, »Aber andererseits«, ich mein’, wie viel AAA-Hits kann eine Gruppe haben? Dessen sind sich auch Die Sterne, bekanntermaßen die Schöpfer selbiger, bewusst und veröffentlichen ein Best-Of-Vinyl mit einem sehr schönen Titel und noch besseren Songs. Wer schnell ist, bekommt es von Ikone und Oberstern Frank Spilker auch unterschrieben in den Postkasten. Hier kaufen. Im Mai spielt die Gruppe in Österreich.
Die bisherigen Veröffentlichungen aus Dominik Oswalds Reihe »Muttersprachenpop« finden sich unter diesem Link.