Muttersprachenpop – die wichtigsten Veröffentlichungen im November 2023

Deutschsprachiges zwischen Euphorie und Kapitulation, zwischen Pathos und Befindlichkeit. Ausgewählt von Dominik Oswald. Die wichtigsten deutschsprachigen Neuerscheinungen im November 2023. Mit Tränen, Dagobert, Euroteuro, Culk, Buntspecht und mehr.

Tränen © Selana Hamers
© Selana Hamers

Dagobert – »Schwarz«

Dagobert © Fritz Fechner
Dagobert (Foto: Fritz Fechner)

Dagobert ist zurück. »Naja«, werdet ihr jetzt sagen, »hat er nicht erst im Vorjahr ›Bonn Park‹ und erst vor zwei Jahren ›Jäger‹ veröffentlicht? Wo war der weg? Vermisstenanzeige ist nicht raus.« Aber, falsch verstanden, er ist nämlich so richtig zurück. Also so richtig. Während sich nämlich die letzten beiden Alben eher in Richtung gepflegten Bumms orientierten mit ordentlich Stampf, der häufig zulasten der lyrischen Qualität ging, die ihn ja so bekannt und berüchtigt machte und aus den ersten beiden Studioalben »Dagobert« und »Afrika« (2013 bzw. 2015) Wunderwerke der deutschsprachigen Liedkunst machte, ist das neue Album, das ganz selbstverständlich den Namen »Schwarz« trägt, wieder Dagobert pur. Atmosphärische Streicher, Harfen, Flöten, Klaviermusik, Stimme. Kein Beat, dafür süße, zarte Todesmelodien und textliche Offenbarungen, die den Schweizer so nahbar wie selten zeigen – und das heißt bei Dagobert etwas. Beispielsweise im famosen Titeltrack mit der Zeile (»Ich leg mich hin und lös mich auf in nichts«), aber vor allem im Killer-Song »Todessehnsucht« (alleine der Titel!). Ja, es ist etwas düster, und ja, wie immer bei Dagobert muss man es mögen. Aber wenn man es mag, dann so richtig. 

»Schwarz« von Dagobert erscheint am 24.11.2023 via Dagobert. Derzeit (noch) keine Termine ind Österreich angekündigt. Überall erhältlich. 

Euroteuro – »Volume III«

Euroteuro © Jan Hasenauer
Euroteuro (Foto: Jan Hasenauer)

Dass Euroteuro, die Gruppe rund um (vor allem) Florian und Katharina Trenk, mehr als ein One- (»Autogrill«) oder Two-Hit-Wonder (»Kündigung«) sind, das darf an dieser Stelle schon als bekannt vorausgesetzt werden. Zu klug, zu durchdacht, zu weit weg von Dada war bereits das zweite Album »Volume II«. Dass das dritte – angekündigt als letztes innerhalb dieser Nomenklatur – da den Weg konsequent weiter geht, ist daher, nun ja, konsequent. Die für sich geclaimte Nische als kopflastige New-Wave-Kraut-Kapelle, die wie immer mit fritzelnder Elektronik, Lo-Fi-Beats sowie spitzzüngiger und gleichzeitig weniger verklausulierter Lyrik daher kommt, braucht schließlich Nachschub. Als wären sie pinke prekäre Fahrräder liefern selbigen die zwölf neuen Stücke, die sich thematisch natürlich dem großen zeitgenössisch relevantesten Thema der Kapitalismusschelte widmet. Besonders eindrucksvoll passiert das etwa im Inflationstango »Teuer«, der das Recht auf günstigen Wohnraum, ärztliche Grundversorgung und leistbaren Rausch fordert. Auf die Barrikaden!

»Volume III« von Euroteuro erscheint am 10. November 2023 via Siluh. Tourdaten: 17. November im Tagada Wien (ehemals Au, RRR) und ab 7. Dezember begleiten Euroteuro Voodoo Jürgens. 7. Dezember in der Stadthalle Ternitz, 8. Dezember im Kulturquartier Leoben, 9. Dezember im Schlachthof Wels, 10. Dezember im Forum Kloster Gleisdorf, 16. Dezember im Kaisersaal St. Johann, 18 Jänner in der Arge Salzburg, 19. Jänner im Nexus Saalfelden und 20. Jänner im Kikas Aigen. Album hier kaufen.

Tränen – »Haare eines Hundes«

Tränen © Selana Hamers
Tränen (Foto: Selana Hamers)

Wer sich in den relevanten Playlisten des grünen Streamingriesen verirrt hat, muss diese ersten Zeilen gehört haben: »Als ich gesagt hab ‚einen Kick‘, meint’ ich nicht in den Bauch« – und dürfte sich instantan in »Stures dummes Herz« und auch gleich in die Gruppe Tränen aus Leipzig verliebt haben. Dass die am Anfang ein recht großes Geheimnis um ihr Wesen gemacht hat, dürfte spätestens beim Lüften desselben, nämlich dass auch Steffen Israel von Kraftklub dabei ist, Sinn ergeben haben. Ein Industry-Plant ist schon ein bisschen ein Downer und auch das Debüt erscheint bei Eklat Tonträger von K.I.Z.- und Kraftklub-Manager Beat Gottwald. Wenn man aber darüber hinweg sehen kann und schon aufgehört hat, an das Unschuldige, Grassrootige in der so genannten Neuen Neuen Deutschen Welle zu glauben, entpuppt sich dieses Erstlingswerk als kleiner Schatz der Retrophilie. Die von meist leichten, aber gerne auch schweren Synths getragenen Schwofer mit spitzfindiger Lyrik sind zwar zugegeben nicht super unique, machen aber Spaß. Und im Endeffekt zählt genau das. 

»Haare eines Hundes« von Tränen erscheint am 3. November 2023 via Eklat Tonträger. Termin in Österreich: 24. Februar im B72, Wien. Hier kaufen.

Komplizen der Spielregeln – »Workout«

Komplizen der Spielregeln © Anke Börgerding
Komplizen der Spielregeln (Foto: Anke Börgerding)

Dass es an Ort und Stelle einen kleinen Crush auf die Kölner Gruppe Komplizen der Spielregeln gibt, ist spätestens seit ihrem doch überraschenden Comeback aus dem Jahr 2019 bekannt. Dass es nun nach vier Jahren gleich ein weiteres gibt, ist gleich noch schöner. Die Gruppe an der Schnittstelle von Kunst, Ironie, Pop, Krautrock, Exzess und Überforderung lässt auch im 23er-Jahr nicht locker – steigt gleich mit »Ein SUV umarmt meine Stirn / dieser Kopfschuss sitzt richtig tief« ein und signalisiert auf den zehn Stücken, dass es dann doch nicht um einen Kopfschuss, sondern gleich um einen -fick geht. Ein ganz besonderes Klangbild, mit teilweise kaum zuordenbaren Versatzstücken, elektronisch-krachenden Beats, krautigen Mustern und atonalen Flächen. Wer sich an der Dekonstruktion dessen bemüßigt fühlt: viel Spaß! Auch die größtenteils nonlineare Lyrik, die selten Geschichten, aber immer Parolen hervorbringt (etwa: »Diese Überheblichkeit brauch ich / damit ich beim Kacken gut aussehe«), trägt nicht gerade dazu bei, die Gruppe greifbar zu machen. Aber – wer will schon greifbar sein? Komplizen der Spielregeln sicher nicht.

»Workout« von Komplizen der Spielregeln erscheint am 17. November 2023 via Barhill Records. Derzeit keine Termine in Österreich angekündigt. Hier shoppable.

Die Quittung – »Einfrieren«

Die Quittung © Die Quitting/Staatsakt
Die Quittung (Foto: Die Quitting/Staatsakt)

Wenn ein Label – noch dazu das sagenhafte Staatsakt! – sein neuestes Signing mit Randy Newman, Schnipo Schranke, Barbara Morgenstern und Rio Reiser vergleicht, dann müssen Ohren gespitzter sein als frisch geschlüpfte Buntstifte. Wer bislang noch nichts von der tollen und toll benannten Gruppe Die Quittung gehört hat – Schande über unser Haupt –, vermutet Newcomer:innen und wird überrascht, weil: Es gibt bereits ein Album! »Einfrieren« ist das zweite, also quasi gleich doppelte Freude, denn man kann doppelt nachhören. Auf dem neuen wird selbstredend geboten, was die Vergleiche versprechen, die kommen doch selten von ungefähr. Schunkelnder Chanson-Pop, gerne auch mit Gitarrensoli, aber vor allem mit einer fettigen Klavier-Unterlage für häufig bierselig anmutende Texte, die sich aber immer wieder als Symphonien des Scheiterns in einer durchkapitalisierten Welt herausstellen. Josen Bach, eigentlich solo und auf Tour dann als Band, gelingt da wirklich etwas sehr schönes.  

»Einfrieren« von Die Quittung erscheint am 24. November 2023 via Staatsakt. Derzeit keine Termine in Österreich angekündigt. Hier kaufen.


Außerdem erwähnenswert:

Buntspecht – »An das Gestern, das nie Morgen wurde darfte. Ich warte«

(VÖ: 10. November)

Konzertabende mit der Gruppe Buntspecht gehören wohl zu den in jeglicher Hinsicht offensten in heimischen Gefilden. Szene(n), Großeltern und Kleinkinder, Traumtänzer:innen und Traumfänger:innen, auf Buntspecht können sich alle einigen, auch in den Charts ist Erfolg da. Und jetzt? Für das fünfte Album in fünf Jahren ging’s rock-n-roll-romantisch in die einsame Waldhütte, um an der Corporate Identity zu feilen, natürlich klingt auch 2023 jede Silbe und jeder Saitenanschlag nach Trademark Buntspecht. Weitere Infos finden Sie in der aktuellen Ausgabe von The Gap sowie hier. Album hier kaufen.

Culk – »Generation Maximum«

(VÖ: 17. November)

Nach hegemonialem Patriarchat im Zweitling »Zerstreuen über Euch« geht es im neuen Album der wunderbaren Gruppe Culk um den Widerspruch einer Generation, die zwar im Wohlstand des Nordens lebt, aber dabei zusehen muss, wie ihr Habitat und die gesamte Welt zerstört wird. Culk zeigen dabei jedoch immer wieder jene, dem Shoegaze eigentlich fehlende, Hoffnung, was das Album erneut zu einem generational Record macht. Mehr weiß Sarah Wetzlmayr in einer sehr schönen Besprechung in der aktuellen Ausgabe von The Gap. Album hier kaufen.

Leftovers – »Müde«

(VÖ: 3. November)

Wir haben jetzt nicht alle in der Zielgruppe gefragt, aber zumindest werden Leftovers als die wichtigste Punkband für die österreichische Gen Z inszeniert. Der Hype mit dem ersten Album »Krach« war schon so laut, dass bereits ein Jahr später das zweite Werk veröffentlicht wird. Das ist schon konsistent. Ebenso wie Sound sowie vor allem auch die inhaltlichen Themen zwischen Unruhe und Überforderung, gerne mit aufgestelltem Mittelfinger. Hier kaufen.

Die bisherigen Veröffentlichungen aus Dominik Oswalds Reihe »Muttersprachenpop« finden sich unter diesem Link.

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