Deutschsprachiges zwischen Euphorie und Kapitulation, zwischen Pathos und Befindlichkeit. Ausgewählt von Dominik Oswald.
Black Heino – »Menschen und Maschinen«
»Dass ich kalkulieren kann / unterscheidet mich vom Affenmann«. Was Mensch und Maschine unterscheidet, ist – noch – das kreative Potenzial beziehungsweise das Fehlen von ebensolchem. An Kreativität mangelt es der Berliner Rockband – Rock im besten Sinne! – Black Heino keinesfalls. Ihr zweites Album – das erste namens »Heldentum und Idiotie« aus dem 16er- sowie die EP »Fear of Black Heino« aus dem 18er-Jahr wurden hier und andernorts gar fantastisch gefunden – setzt sich im Großen und Ganzen mit dem Begriffspaar aus seinem Titel auseinander. Während sich etwa andere an der Symbiose und Maschinwerdung des Menschlichseins abrackerten, setzen sich die Kreuzberger kritisch mit dem Sujet auseinander, mit dem »Algorithmus, bei dem ein jeder mitmuss« (Zitat aus: »Social Bots vs. King Ludd«) und erinnern etwa frühere Bewegungen der Anti-Maschinisierung (wie eben dem Luddismus). Dazu kracht und zackt der treibende Indie-Schweinerock in jedem der zehn Stücke, dass Beatsteaks-Trommler Thomas Götz am Mixer saß, hört man in jeder Faser.
»Menschen und Maschinen« von Black Heino erscheint am 25.09.2020 via Tapete Records. Aktuell keine Termine.
Erregung Öffentlicher Erregung – »EÖE«
Manchmal dauert’s halt doch länger als man denkt: Bereits 2017 war die Gruppe mit dem fetzigen Namen in aller Munde: Schließlich war man auf der zweiten Ausgabe des als mittlerweile legendär geltenden »Keine Bewegung«-Sampler vertreten. Immerhin gab’s in der Zwischenzeit zwei knallige EPs zu bestaunen – »Sonnenuntergang über den Ruinen von Klatsch« (2017) und »TNG« (2018). Aber: Das Warten hat sich mehr als gelohnt. Schließlich gelingt Erregung Öffentlicher Erregung aus Hamburg und Berlin auf »EÖE« wahnsinnig hinreißender Post-Punk, subversiv-eingängige Gitarrenmusik bis zum Anschlag, hell leuchtende Hymnen auf die verlorene Jugend und die damit verbundene Selbstentfremdung im Spätkapitalismus, sämtliche Nummern sind sichere Floorfiller für die ganz coolen Feten in den Kennerkreisen. Treibendes Schlagwerk, hypnotische Gitarren, die manchmal aus dem sonst strengen Korsett auszubrechen drohen, eine Stimme, die den großen NDW-Röhren in nichts nachsteht und sich auch einmal zurückzunehmen traut. Ein Songwriting, das sich zwar seines Erbes bewusst ist, aber stets eigenständig und unverwechselbar bleibt. Also alles super stark. Mit Sicherheit ein Album des Jahres!
»EÖE« von Erregung öffentlicher Erregung erscheint am 4.9.2020 via Schlappvogel/Euphorie Records. Keine Österreich-Termine.
Martin Klein – »Nachtlieder«
Der in Innsbruck aufgewachsene und in Wien lebende Martin Klein ist ein Mann der Varianz: Im lyrischen Spannungsfeld von deutschen und englischen Texten – sein letztes Album »Das Leben hat’s doch gut gemeint« aus 2015 steht der englischen »Lost Songs« EP aus 2018 entgegen –, im musikalischen Spannungsfeld von einsamen Klavier-Balladen der angelsächsischen Pop-Schule und dem Aufgehen in kollektiven Band-Strukturen. Textlich bleibt es auf »Nachtlieder« einheitlich, die Stücke der beiden Seiten der LP-Version wurden musikalisch different ins Vinyl geritzt. Auf der A-Seite finden sich gar zauberhafte Klavierballaden für einsame Rotwein-Stunden ohne Angst vor dem Kater, wohlig warme Balladen für das leise Stillen tieftrauriger Gedanken. Kompositorisch anspruchsvoll, lyrisch ohne Angst vor dem Kitsch. Die Band-Versionen – die es auf der CD auch akustisch gibt – sind nicht bloße Verstärkungen der Klavierstücke, sondern jeweils zum Sujet passend abgestimmt: Sie lassen das Tempo anziehen (»Und du bist frei«), bringen bassige Tiefe (»Ich will gar nichts«) oder gestalten das Klangbild einfach deutlich atmosphärischer (»Es ist gut«). Und das Gute ist: Egal, welcher Martin Klein nun das eigene kleine Herz zu verzaubern vermag, auf »Nachtlieder« wird jeder fündig.
»Nachtlieder« von Martin Klein erscheint am 11.09.2020 via Medienmanufaktur. Release-Konzert: 17. September 2020 im RKH Wien.
Elsa – » Elsa«
Dass auf den musikalischen Wegen schon so ziemlich alle Pfade sehr breit ausgetreten sind, ist kein Geheimnis. Vor allem in Österreich, wo sich recht schnell recht viel recht gleich angehört. Hier bislang ungekannte und vor allem auch unerwartete Nuancen zu setzen, darf alle schon als große kreative Leistung gelten: Dass die Wiener und niederösterreichische Gruppe Elsa dies bereits auf ihrem Debüt schafft, zeugt vom innovativen Moment des Vierers. Alternative Rock ist hierorts ja ohnehin eher selten gehört, ein röhrender Gesang, der vielleicht noch entfernt aus der kalifornischen Wüste nachklingt, sowieso. Dass dieser untypische Sound auch noch mit Elementen des so genannten neuen Wienerlieds (wir berichteten, Anm. der Red.) angereichert wird, zeugt zusätzlich noch von einer gehörigen Portion Mut. Dass es auch noch gut klingt, dann eben auch von musikalischem Verständnis und Know-How. Ganze zwei Jahre lang dauerte die Produktion, übrig geblieben ist ein monolithisches Rock-Album über die eher nicht so guten Seiten des Lebens. Sollte man sich anhören.
»Elsa« von Elsa erscheint am 11.9.2020 via Assim Records. Release-Party am selben Tag bei der Gürtel Nightweek in Wien.
Panda Lux – »Fun Fun Fun«
Es ist nicht Absicht, aber: Schweizer Bands sind an dieser Stelle stets unterrepräsentiert. Aber, und das muss man auch sagen: Panda Lux sind eines der spannendsten Pop-Projekte des deutschsprachigen Raums. Ihr fiebriger und hibbeliger Indie-Pop, der selbst die strikten Trinker an den hintersten Ecken der Konzerträume zu manischen Hampelmännern macht, ist nämlich derart ekstatisch, dass sämtliche Interessierte an Pop-Musik zumindest dem neuen Album »Fun Fun Fun«, das ziemlich viel inhaltlich hält, was es außen verspricht, mehrere Chancen geben. Wobei, das muss man meistens gar nicht. So schnell fügen sich die Hits wie etwa das zauberhaft-verrückte »Karambolage« oder das verspielt-hippe »Staub« voller Handclaps in die Hörgänge der Pop-Aficionados. Auch wenn Panda Lux jetzt zumindest nicht viel neu erfinden, der mitunter an Afro-Beat erinnernde Sound bleibt jederzeit gar unwiderstehlich spannend. Und viel mehr kann man von einem Album auch gar nicht erwarten. Stark!
»Fun Fun Fun« von Panda Lux erscheint am 25.09.2020 via Panda Lux. Keine Österreich-Termine bis dato.
Außerdem erwähnenswert:
Deutsche Laichen – »Team Scheiße« (EP)
(VÖ: 3.9.2020)
Das selbstbetitelte Debüt war ein Schlag in die Fresse aller: Ein Rundumschlag gegen sämtliche Beschissenheiten der Welt, die selbst vor der »eigenen« »Blase« kaum halt gemacht hat. Wenn sogar das eher konservative Visions dein Album in die Top 25 Jahrescharts gibt, scheint die Botschaft überall angekommen zu sein. Nur: Deutschland – und, wie immer und noch schlimmer gilt es auch für Österreich – ist eben immer noch ein Unrechtsstaat für so viele. Folgerichtig stellen Deutsche Laichen mit ihrer neuen EP Forderungen, auch an sich selbst und vor allem an die linke Szene. Und frag auch du dich: Wofür setzt du deine Privilegien ein? Übrigens: Sämtliche Einnahmen der EP gehen an migrantische Selbstorganisation. (Video vom Album 2019.)
Carsten & Carsten – »Ich mag Leute« (Single)
(VÖ: 18.9.2020)
Die beiden legendärsten Carstens der deutschen Geschichte – sowohl Carsten »Erobique« Meyer und Carsten »Superpunk« / »Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen« Friedrichs benötigen keine weiteren Vorstellung – machen gemeinsame Sache und das ist eine sehr gute Sache: Ihre gemeinsame Single bietet zuckerfeinsten Mid-Tempo-Beach-70s-Pop allerfeinster Güte, die sich sogar nahtlos in die eigentlichen Œuvre ihrer Hauptunternehmungen einbetten lassen. Wer da nicht schwelgt, wer da nicht tanzt, ist… also dafür gäbe es keine Worte, das wäre ungeheuerlich!
Soeckers – »Kopfkarussell«
(VÖ: 18.9.2020)
Das Schwelgerische ist dem deutschsprachigen Indie-Pop ja nur allzu selten fern, auch die große Geste gehört zum Repertoire einer jeden Band, die auf eine ebenso große Zielgruppe schielt. Dass Soeckers aus Münster im Vorprogramm von Madsen, AnnenMayKantereit oder auch Wanda und Granada durch die Mehrzweckhallen tourten und dabei einiges in Hinblick auf übergroße Pop-Momente gelernt haben, hört man dem Debüt-Album »Kopfkarussell« an allen Ecken an: Solide Pop-Musik, die aber nie aneckt.