Deutschsprachiges zwischen Euphorie und Kapitulation, zwischen Pathos und Befindlichkeit. Ausgewählt von Dominik Oswald. Die wichtigsten deutschsprachigen Neuerscheinungen im September 2025. Mit Hotel Rimini, Die Höchste Eisenbahn und mehr.

Die Höchste Eisenbahn – »Wenn wir uns wieder sehen schreien wir uns wieder an«

Hand aufs Herz aus Glas: Hättest du gedacht, dass das letzte Album der beliebten Gruppe Die Höchste Eisenbahn bereits sechs Jahre alt ist? Du auch nicht? Irgendwie kommt einem die Band rund um Francesco Wilking und Moritz Krämer so allgegenwärtig vor. Das liegt einerseits an der hohen Relistenability der bisherigen drei Alben und drei Extended Plays, aber vor allem natürlich an der durchaus hohen Beschäftigung der Bandmitglieder: Solo, mit anderen (Wilking etwa mit Christopher Annen oder Drummer Max Martin Schröder mit Olli Schulz) oder in anderen Gruppen (etwa Crucchi Gang), irgendwas war immer, für Fans war es natürlich trotzdem – man verzeihe – höchste Eisenbahn für Album Nummer vier. Umso erstaunlicher, dass das Album, dann natürlich wieder genau nach der Band klingt. Es reiht sich hervorragend in alle anderen Songs ein, man ist gleich direkt in der Comfort Zone, kann sich direkt an den sanften, leicht alternativen Yacht-Pop schmiegen. Die paar elektronischeren Frickeleien aus der ersten Single »Bürotage« fallen im Laufe des Albums wenig ins Gewicht, die Gemütlichkeit steht dafür an erster Stelle. Und – das ist schon ganz nett so.
»Wenn wir uns wieder sehen schreien wir uns wieder an« von Die Höchste Eisenbahn erscheint am 12. September 2025 via Mila Records. Live Termine: 4. Oktober 2025, Wien, Flucc. Hier kaufen.
Hotel Rimini – »Gefährdete Arten«

Dass die Leipziger Supergroup Hotel Rimini – unter anderem ja mit Paul Pötsch von Trümmer und vielen Schauspieler*innen und Theatermusiker*innen bestückt – eine ziemlich gute Gruppe ist, war schon mit der ersten Veröffentlichung, der EP »Die Zeit schlägt mich tot, aber ich schlag zurück« zumindest bekannt und mit dem Debütalbum »Allein unter Möbeln« (erst 2023 erschienen) dann noch bekannter. Auch mit dem zweiten Album verliert die Gruppe ihre Trademark gewordenen Klangbilder nicht: eine ausgesprochene Ausgegorenheit dichter, meist eher sanfter Soundteppiche – die mit »Gefährdete Arten« sogar noch an Komplexität gewinnt: Bläser, Streicher, Fender Rhodes, was weiß ich, chanson-esker Kammerpop eben. Lyrisch ist man wieder einmal viel zu alt für das eigene Alter (eigentlich: Anfang 30), was (im bislang besten Song) »Hapag & Lloyd« angedeutet wurde. Das Spiel mit den Erwartungen an ein eigenes Leben und daran, was jetzt gut sein muss, zieht sich auch durch das Album wie ein roter Faden. Vor allem aber ist die Frage präsent: Wer bestimmt eigentlich, wie ein Leben zu sein hat? Wer sich Antworten darauf selbst noch nicht ganz klar ist, dürfte diese vielleicht bei Hotel Rimini finden. Oder zumindest Gleichgesinnte auf der Suche nach ihnen.
»Gefährdete Arten« von Hotel Rimini erscheint am 26. September 2025. Live-Termin: 6. November, Wien, Reigen Live. Hier kaufen.
Swiss + Die Andern – »Punk ist tot«

Swiss und seine Compadres haben immer den Finger an der Wahrheit. Mit dem Titel ihres bereits siebten Albums sind sie vermutlich so nah dran wie nie, wenn Faschos schon das »deutsch« bei Neue neue deutsche Welle großschreiben – fast hättet ihr mich gehabt, Deutsche Vita und Spotify-Algorithmus (das merk ich mir!). Andererseits ist Punk musikalischer Jesus, nur mit viel mehr Auferstehungen und wenn Punk 1.1312 eben dieses Mal im Gewand von Swiss + und die Andern kommt, dann ist das auch so und dann ist das auch gut so und auch sehr wandelbar: Crossover (»Bock auf Stress«), Offbeat-Ska-Punk (»Punk ist tot«), Pop-Punk (»Nett werden«), Ruski-Punk (»Tetris«), das könnte auch eine Bravo-Hits sein, jeder Song bisschen was Anderes. Musikalisch also höchst vielfältig, ist textlich natürlich die Mär des Dualismus’ von Privatem und Politischem tonangebend, immer auch gegen Neoliberalismus und Imperialismus, tanzen kann man dazu auch. Und wenn die Faschos kommen, dann tanzt eben auch mal mit den Ellbogen und der Faust voraus.
»Punk ist tot« von Swiss + Die Andern erscheint am 5. September 2025 via Missglückte Welt. Keine Live-Termine in Österreich. Hier Album kaufen.
Parc de Triomphe – » Parc de Triomphe«

Väter am Kinderspielplatz: Im Normalfall Panik, an guten Tagen zarte Anbahnungen an Smalltalk mit anderen Vätern, an den besten Tagen: Bandgründung. Letzteres ist der Gruppe Parc de Triomphe im Alois-Drasche-Park in Wien-Wieden passiert – zwei Deutsche mittleren Alters, da kommt man schnell zusammen. In dieser Konstellation immer ein gern diskutiertes Thema: Die so genannte »Wende« von 1989, die noch weite Teile der ersten EP »Harte Zeiten« inhaltlich bestimmte und natürlich auch am Debütalbum diskutiert wird, auch wenn durchaus andere, gegenwärtigere und dringendere Themen am Lyrik-Bogen stehen, gegen ein Konzept ist ja grundsätzlich nichts einzuwenden. Vor allem, wenn sich das auch musikalisch weiterspinnt, freuen wir uns noch mehr, denn das bedeutet ja in den meisten Fällen: Wave-Rock mit eher zurückhaltenden Gitarren, aber umso präsenteren Synthie-Flächen, recht monotonem Gesang und der wohligen Kälte von schönendem Elektro-Pop.
»Parc de Triomphe« von Parc de Triomphe erscheint am 26. September 2025 via Voller Sound. Release-Show: 26. September, Wien, Rhiz. Album hier kaufen.
Braunkohlebagger – »Angstapparat«

Wer motivierende Wandposter erfunden hat, besonders jenes, auf denen die Magie außerhalb der Comfort Zone stattfindet, darf sich schämen gehen. Wer dies jedoch ernst nimmt, nicht unbedingt. Ganz ehrlich: Hip-Hop oder Indiepop kann jede*r machen, umso schöner sind Ausbrüche, sind Gruppen, die sich etwas trauen. Wie etwa die Essener Braunkohlebagger, die sieben Jahre nach ihrer EP »Abbruch« ihr erstes Album »Angstapparat« veröffentlichen. Darauf gibt es harte Gitarrenmusik zu hören, wer Genres braucht, bitte: Post-Grunge, Prog-Rock, Stonerrock, Mathcore, denk einfach an die kalifornische Wüste in den Neunzigern – nur eben im Ruhrgebiet. Textlich ist das alles natürlich höchst stimmig, der Titel fast schon Programm, Zwänge, Einschüchterung, Angst. Das Album wird vorerst nur digital veröffentlicht, die Gruppe hat jedoch ein Crowdfunding gestartet, um doch noch Vinyl pressen zu können – aber eben nur nach Bedarf und nicht zur langfristigen Lagerung. Da soll einer noch sagen, Braunkohlebagger wären nicht nachhaltig.
»Angstapparat« von Braunkohlebagger erscheint am 12. September 2025 via Rookie Records. Keine Termine in Österreich. Hier kaufen.
Außerdem erwähnenswert:
Alles Exhausted – »Alles Exhausted«
(VÖ: 5. September 2025)
Die Wiener Shoegaze-Supergroup Alles Exhausted ist zurecht eher erschöpft, findet trotz all dem Unbill dieser Tage (und den anderen Bands, in denen das Sextett spielt wie Culk, Jansky, Pauls Jets, Fuzzybrains) die Zeit und Kraft, ein superbes Shoegaze-Album in deutscher Sprache (Seltenheitswert 11/10) in die Rillen zu pressen, auch wenn es nur sieben Songs und 23 Minuten sind. Aber, die lohnen sich. Bitte die gesamte Story hier lesen. Bitte alle Konzerte besuchen und das Album hier kaufen.
Die bisherigen Veröffentlichungen von Dominik Oswalds Reihe »Muttersprachenpop« finden sich unter diesem Link.