Muttersprachenpop – die wichtigsten Veröffentlichungen im Januar 2017

Deutschsprachiges zwischen Euphorie und Kapitulation, zwischen Pathos und Befindlichkeit. Ausgewählt von Dominik Oswald.

Aus rechtlichen Gründen werden Artikel aus unserem Archiv zum Teil ohne Bilder angezeigt.
© Marc Schwarz

Schrottgrenze – »Glitzer auf Beton«

Schrottgrenze © Chantal Weber

Totgeglaubte leben nicht immer länger. Dort, wo »Indie« darüber steht schon gar nicht. Schrottgrenze aber schon. Eigentlich Anfang des Jahrzehnts aufgelöst, 2015 gab’s dann das Comeback auf LP, das Best Of »Fotolabor 1995-2015« ist eine Werkschau im besten Sinne. 2017 wird also so richtig zurückgekommen, das neue Album »Glitzer auf Beton«, eine Tour, alles, was es als Band so braucht. Das sind gute Nachrichten. Auch gut: Die Hamburger haben nichts von ihrer Relevanz eingebüßt, sind weiterhin bissig – lyrisch und musikalisch – und haben genug zu sagen. Schon aufgrund persönlicher Belange, geben sie dem »Indie« sträflichst vernachlässigte Thema Transgender, das sogar schon Pop (Conchita) und Gainesville-Punkrock (Laura Jane Grace) ins kollektive Bewusstsein holte, eine Bühne. »Weil Geschlechter konstruiert sind und ich nicht an sie glaub’, weil Ignoranz Gewalt ist und weil es immer noch Schutzräume braucht«, heißt es da im ersten Video »Sterne«, auch: »Weil Liebe so schön bunt ist und Sex noch sehr.« Natürlich dient »Glitzer auf Beton« der Darstellung verschiedener Gefühlswelten abseits von Rollenklischees, begleitet von eher klassischem Indie-Rock, Hamburg eben. Neben dem durchaus gefälligem Hörvergnügen ist insbesondere der gesellschaftspolitische Aspekt Kaufanreiz genug.

»Glitzer auf Beton« von Schrottgrenze erscheint am 20. Jänner 2017 bei Tapete Records.

 

Turbobier – »Das neue Festament«

Turbobier © Marc Schwarz

Turbobier nun wieder. Im Zuge des Debütalbums »Irokesentango« an dieser Stelle noch als »Eskimo Callboy des Humor-Deutsch-Punks« bezeichnet, haben es die berühmtesten und prototypischsten Simmeringer nach Maxl von »Wir leben im Gemeindebau« doch schon weit gebracht. Marco Pogo und Konsorten verkaufen Hallen aus, knacken ohne Unterlass 100.000er-YouTube-Grenzen, haben neben der Bierdosensammlung den Amadeus stehen und erspielten sich den Königsplatz in ihrer Nische, sind mittlerweile das Novarock unter den österreichischen Saufkapellen, ihre Bierpartei hätte, wenn sie denn anerkannt wäre, mehr Wähler als die ÖVP – deren inhaltlich passender Nachfolger sie dann aber schon auch wäre. Mit dem Gratis-Mixtape »Drangla Hits 77« ging’s Welthits wie Koteletts. Es schmeckt nur gut, wenn man Bier darüber schüttet. Mit dem neuen Album »Das neue Festament« geht natürlich alles gleich weiter, die Kunst ist nicht Innovation, sondern neue Themenfindungen. Vorrangig stammt ja des Simmeringers Muskelkraft vom Gerstensaft, Hymnen wie »Fettsein ist ein Menschenrecht«, »Die heilige Bierbel« und »Feuerwehrfestl« zeugen von der abgöttischen Verehrung des gelben Saftes – oben rein und unten raus. Und ja, das ist mitunter auch gut gereimt und am popkulturellen Puls. Musikalisch ist das nicht aufregend, im Unterschied zum Vorgänger schreibt sich die erste Silbe von Punkrock etwas kleiner, die zweite etwas Größer. Stadionrock für das Festivalgelände, ACAB für Angepasste. Aber schon auch gut, muss man anerkennen.

»Das neue Festament« von Turbobier erscheint am 27. Jänner 2017 bei Pogo’s Empire.

 

Rantanplan – »Licht und Schatten«

Rantanplan © Chris Born

Schluss mit lustig. Rantanplan, die letzten Schlachtrösser des klassischen deutschen Ska-Punks, haben die Schnauze voll. Früher noch wären Ironie und Augenzwinkern Begleiter von immerwährender Sozialkritik gewesen, heute ist man realistisch-ernüchtert. In einer deutschen Punk-Realität, wo Authentizität immer auch mit Hass buchstabiert wird, durchaus nachvollziehbar. Wo Captain Planet, Adam Angst und die noch enger verwandten Pascow Anti-Haltung ohne Kompromisse versprühen, ist es nur konsequent, dass Blechblas-Punk nachzieht, ohne anbiedernd zu werden. Überhaupt wird das ja einst so jugendliche Genre – man denke nur an unzähligen Dorf-Ska-Bands mit bescheidener Qualität – von Rantanplan ein wenig entjugendisiert, Erwachsensein ist kein Schimpfwort mehr, zwanghaftes Jugendsein wird an die Kollegen von Audiolith abgeschoben. Etwas, was auch den amerikanischen Ska-Punk-Bands nicht schaden würde. Rantanplan machen keinen 1-2-3-Punk mehr, das ist Ska für Zuhause, ohne Bierseligkeit und Pogo.
Es ist also tatsächlich ein zweischneidiges Schwert, mit dem Rantanplan auf »Licht und Schatten« hantieren: Weniger Ironie und Humor, dafür auch weniger In-die-Fresse-Ska. Es ist der moderne Entwurf eines Genres, das mit den Jahren nicht gut reift.

»Licht und Schatten« von Rantanplan erscheint am 13. Jänner 2017 bei Drakkar Records.

 

Spandau – »20 Jahre – Für Momente wie den einen«

Spandau © Bakraufarfita Records

Ein Nachtrag: Dem, der die Hamburger Gruppe Spandau noch nicht kennt, sei verziehen. Wer sich einer intensiveren Beschäftigung verwährt, dem sei nicht mehr zu helfen. Seit 20 Jahren gibt es die Gruppe, bislang steht ein Album von vor zwölf Jahren zu Buche, ein paar EPs gibt es außerdem. Nun eine Werkschau, ein Best-Of, das die Gruppe zumindest teilweise in das Bewusstsein der deutschen Indie-Welt spülen sollte. Kluger Indiepoprock durchaus gefälliger Machart untermalt hier melancholisch-verspielt-verträumte Texte, die sich von neuen Stücken wie dem starken »Lyon« bis hin zu ersten Demoversionen aus den 1990er Jahren ziehen. Es scheint tatsächlich eines dieser großen Rätsel der Musikhistorie sein, warum diese Gruppe nie größere Bekanntheit erreicht hat, ist sie doch durchaus mit anderen großen Bands des Genres, etwa Klez.e, Junges Glueck und vor allem Herrenmagazin – deren Sänger Deniz Jaspersen bei Spandau getrommelt hat – vergleichbar, was Klangbild und textlichen Ausdruck angelangt. Allein das genügt schon für nostalgisch-melancholisches Hörerlebnis, Stücke wie »Rückbank« tragen weiterhin dazu bei, dass man »20 Jahre – für Momente wie den einen« für Großes hält.

»20 Jahre – für Momente wie den einen« von Spandau ist am 16. Dezember 2016 bei Bakraufarfita Records erschienen.

 

Pascow – »Lost Heimweh«

Pascow © kayoezdemir.de

Pascow zählt mittlerweile nicht nur zu den relevantesten Punk-Kapellen Deutschlands, auch Interessenten abseits der Codices der Kapuzenpolizei würden die Rheinländer als »mit die beste Punkband« ihres Landes bezeichnen. Nicht zu Unrecht. Auch wenn Pascow ein bisschen in den Mainstream gespült wurden – man kann auch sagen, endlich zahlen sich entbehrungsreiche Jahre aus –, in der Szene kommt man an ihnen nicht vorbei. Nun auch filmisch, denn mit der Tour-Dokumentation »Lost Heimweh« wird den Pionieren des Hassgesangs ein Denkmal gesetzt. Natürlich steht dabei die Band, die anderthalb Jahre begleitet wurde, im Vordergrund, vielmehr ist es aber ein Film über Punk geworden, ein Film, der der gesamten DIY-Kultur zwischen Jugendzentren und Clubkultur huldigt, mit Leben am Existenzminimum und veganem Catering, wo man auch als anerkannte Punkband noch schauen muss, ob sich eh alles ausgeht. Und man muss die Band nicht mögen, um den Film zu mögen. Wenn man das Paket kauft, bekommt man nicht nur die DVD, Fotobücher und Streaming-Zugang, man bekommt auch die 10“ Soundtrack Vinyl, auf der befreundete Bands insgesamt acht Pascow-Songs neu vertonen, darunter auch Größen wie Love A, Duesenjaeger oder Blut Hirn Schranke, letztere intonieren den vielleicht größten Pascow-Hit »The Strongest of the Strange«.

»Lost Heimweh« von Pascow erscheint am 27. Jänner 2017 bei Kidnap Music.

 

Außerdem erwähnenswert:

Klez.e – »Desintegration« (VÖ: 13. Jänner 2017)

Es ist eigentlich das beste deutschsprachige Album des Monats, in der aktuellen Ausgabe von The Gap wurde »Desintegration« sogar mit der Höchstnote bewertet. Detaillierte Informationen finden sich sowohl dort, als auch demnächst auf thegap.at.

Der Ringer – »Soft Kill« (VÖ: 27. Jänner 2017)

Auch über diese Band wird an Ort und Stelle ausführlicher gesprochen werden müssen. Schließlich werden die Sunnyboys des guten Geschmacks in den Blasen seit jeher gefeiert und verehrt, die erste wirkliche Hipster-Pflichtplatte des Jahres trägt ihren Namen »Soft Kill« zu recht, ein treibender wattiger Sog zieht Hörer in den Bann und spuckt sie schlauer, weiser und zeitgemäßer wieder aus.

Schnipo Schranke – »Rare« (VÖ: 27. Jänner 2017)

Es ist aber auch verhext. Zu viele Releases in diesem Monat werden dem kleinen Format dieser Empfehlungsstrecke nicht gerecht. Auch Schnipo Schranke, die sich mit ihrem Debüt »Satt« in Herzen und Gehörgänge genistet haben, werden auf thegap.at mit größerem Artikel ausgezeichnet. Das ist nur würdig und recht.

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