Wienpop: Erschreckend großartig

Auf den Wiener Schmäh dürfen wir uns weiterhin etwas einbilden. Musikalisch betrachtet hat sich das angeblich so verschlafene Wien aber angepasst. Vertreterinnen und Vertreter aller Genres haben Wien auf die wichtigste internationale Landkarte gesetzt: das Internet.

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Anmerkung: Zwei Gespräche wurden ineinander collagiert, die Auswahl der Gesprächspartner erfolgte nach längeren Vorgesprächen höchst subjektiv. Das Thema soll mit anderen Protagonisten fortgesetzt werden. Vielen Dank an Amira Ben Saoud für die Transkription.

Wie steht es um die Entwicklung von Wiener Musik in den letzten fünf Jahren?

Pulsinger: Es ist schwer zu sagen, was der Unterschied zwischen jetzt und 2008 ist. Ich bin in Moment extrem überrascht über die Qualität und die Vielfalt. Ich hatte Bedenken, ob ich – wenn ich das Popfest übernehme – noch Leute finde, ohne dass es ein Abklatsch von Roberts (Anm. Rotifer, Vorgänger als Popfest-Kurator) Booking ist. Ich war dann aber überrascht, dass ich bei Weitem nicht alles nehmen konnte. Was vielleicht deine Frage beantwortet, ob es gut steht um die Szene: Erschreckend großartig, die Qualität.

Aber was derzeit in Wien passiert, wurde großteils in den 90ern angelegt.

Trishes: Das ist aber nichts Österreich-Spezifisches.

Pulsinger: Es hat sich alles sehr internationalisiert. Die Musikstile kommen ja durch das Internet in allen Ländern gleichzeitig an. Stilistisch ist alles available für jeden, der gerne möchte.

The Gap: EDM, Trap, Chillwave ist in Österreich fast nicht passiert …

Trishes: … EDM ist eine Konstruktion. Das ist die Musik, die auf Ö3 und Radio Wien seit 1997 durchläuft.

Pulsinger: Der Grundstein für elektronische Tanzmusik ist nun mal in den späten 80ern, frühen 90ern in der Art und Weise gelegt worden. Nicht nur in Wien, sondern weltweit.

Es bilden sich also einzelne Nischen und Szenen, die sich eher an ein globales Publikum richten als an ein lokales?

Trishes: Das glaub ich auf jeden Fall. Durch das Internet kann man eh alles hören. Je nachdem, wie die Blase heißt, gibt es eben in Wien auch ein paar Leute, die das ausprobieren und einen Tumblr drüber machen. Musikalisch herrscht eine totale Globalisierung, wo es völlig irrelevant wird, ob die Person in Bukarest, Wien oder L.A. sitzt.

Cid Rim: Um das zu unterstreichen: Im letzten Jahr war ich relativ viel unterwegs; dabei ist mir aufgefallen, dass vor und nach meinen Gigs – egal ob in Krakau, Paris oder Graz – eigentlich dieselben fünf Nummern laufen, wo vier davon von TNGHT sind. Man kann dann mit einer völlig fremden Person in einen anderen Stadt genau über die Musik reden, die einen auch interessiert, weil man eben in der selben Nische ist – das ist schon flashig. Früher war das anders.

Pulsinger: Wenn alles angeboten wird, finden sich eben gewisse Gruppen, die sich dann durch Namen oder Genres oder Kleidung abkapseln. Dann kommt es zu Mikrogenres. Es wird globaler, aber die Fangemeinden werden immer kleinteiliger. Es ist wichtig als Künstler zu wissen, an wen du dich wendest. Dieses Wissen und die damit einhergehende Professionalität hat sich in Wien erst in den letzten zehn Jahren entwickelt.

Es hat im Laufe der Zeit ein paar Spezifika gegeben, die man zumindest von außen mit Wien verbunden hat. Man hat z.B. versucht, einen Songwriterinnen-Boom zu konstruieren …

Pulsinger: Der war auch da.

… manchmal hat man versucht, Affine Records zum Sound der Stadt zu stilisieren.

Cid Rim: Es gibt zu viele verschiedene Genres, die nie miteinander zusammengehen werden. Was mir in den letzten Jahren generell aufgefallen ist: Die Leute legen es viel durchdachter und größer an – das schaut alles was gleich.

Seit Qualtinger, Drahdiwaberl, Falco und Ilsa Gold zieht sich bis heute in Wien ein gewisser Schmäh durch – und eine aktionistische Ader.

Pulsinger: Ich habe das Gefühl, dass diese beiden Dinge den einzig wirklich legitimen rote Faden bilden, den man Wien zusprechen kann. Diese Selbstironie und wie sich die Leute präsentieren. Du wirst in Wien nie DJs oder Bands finden, die sich nur annähernd so wichtig nehmen wie vergleichbare Acts in Deutschland. Da ist das todernst.

Vera Kropf: Schmäh klingt für mich nach Wien Tourismus. Aber es hat natürlich was für sich, es wird von außerhalb an Wien geliebt und in Wien gepflegt.

Cid Rim: Ein Beispiel, das das gut auf den Punkt bringt, ist das ursprüngliche Kollektiv von Whizz & Kamp, Versager ohne Zukunft.

Pulsinger: Pop war in Wien eben auch nie so ein Battle-Ground. In Österreich ging’s über weite Strecken um gar nichts. Du musstest deinen Claim nicht so abstecken, wie das auf größeren Märkten der Fall ist.

Ist die von außen empfundene Zurückgelehntheit heute noch aktuell?

Pulsinger: Die Haltung: ja. Der Sound nicht. Das hat sich aufgehört.

Cid Rim: Wo man von „Gmiatlichkeit“ noch reden kann, ist, wenn Text ins Spiel kommt. Bei HipHop, bei Singer/Songwriter-Sachen. Wenns nur um den Sound geht, kann man das nicht sagen. Ich sitz dann zu Hause, bin urgmiatlich drauf und mach‘ eine voll schnelle, stressige Nummer.

Gibt es eine Tradition literarischer Bezüge, sich von Thomas Bernhard und Elfriede Jelinek aufwärts inspirieren zu lassen?

Vera Kropf: Das stimmt sicher, ja.

Eine überdurchschnittliche hohe, musikalische Grundausbildung, oder einfach nur viele Songs, in denen Bläser- und Streichersätze zu hören sind?

Vera Kropf: Ich tu mir damit schwer. Aber es gibt Leute, die zwischen den Stilen wandeln. Lukas Lauermann ist Cellist bei A Life, A Song A Cigarette, spielt bei Soap & Skin im Ensemble, macht aber auch experimentelle Sachen.

Cid Rim: Viele Leute wachsen am Land mit Blasmusik auf, die gehen dann zum Studieren nach Wien oder Graz. Es gibt hier einfach enorm viel Platz, um Musik zu machen. Da nimmt man sich eine andere Band und kauft sich zu acht einen Proberaum. Das kenn ich von nirgendwo anders. Das ist ein herausragendes Lebensqualitätsmerkmal. Das könnte etwas sein, wo Wien ziemlich gut positioniert ist. In anderen Städten, ist es härter zu überleben.

Pulsinger: Du musst hier nicht der Beste sein und schaffst es trotzdem zu überleben. Es muss nicht jeder Schuss ein Treffer sein, das spornt die Leute an, auch einmal etwas auszuprobieren.

Bild(er) © 1: Kurt Prinz 2: Elsa Okazaki 3: Jasmin Baumgartner 4: Jasmin Baumgartner 5: Alexi Emanuel Pelekanos
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