Harte Sprüche, schnelle Schüsse. Der Roman „ The Nazi Island Mystery” lässt das Groschenromangenre wieder auferstehen. Was als Internetfortsetzungsroman begann, ist jetzt in Buchform erhältlich. Hart und vulgär geht eine britische Geheimagentin aufs Ganze.
Von der Vorstellung, hier ein Buch in den Händen zu halten, wie es in den Buchhandlungen seines Vertrauens zu finden ist, sollte man sich lösen. Denn das im vorliegenden Thriller aufgegriffene Genre ist tot, oder so gut wie tot. Der Höhepunkt der Popularität der Groschenromane, der Pulp Magazine und der Hard Boiled Detectives, denen in „The Nazi Island Mystery“ ausgiebig gehuldigt wird, ist schon sehr lange vorbei. Was nicht heißt, dass es sie nicht mehr gibt: Groschenromane wie „Der Landser“, ein kleines Heftchen voll mit kriegsverherrlichendem, blauäugigem Nazischrott, die Geschichten des FBI-Agenten Jerry Cotton oder diverse Ärzteromane gibt es nach wie vor in Zeitschriftenläden. Pulp Magazine (wie das amerikanische „Weird Tales“, das mit Unterbrechungen seit 1923 erscheint), die sich vorwiegend mit Science Fiction, Horror und Krimi beschäftigen, sind auch nie hundertprozentig von der Bildfläche verschwunden. Kultstatus für ein breiteres Publikum hingegen hat der Hard Boiled Detective, der coole Sprüche klopfende, Schnaps und Waffe stets parat habende Typ, erlangt. Wohl populärster Vertreter dieses Genres ist Philip Marlowe, eine Figur des Autors Raymond Chandler, dessen Werke sich auch über 50 Jahre nach seinem Tod großer Beliebtheit erfreuen.
r.evolver scheint ein großer Fan dieser literarischen Gattungen zu sein – er beherrscht den Stil seiner Vorbilder perfekt. Wobei er erwähnte Genres alle irgendwie vermischt, mit Splatter-Elementen und James Bond Anleihen ergänzt und ins Extreme verzerrt. Auch das Format und die billig wirkende Covergestaltung orientieren sich an den Vorlagen aus der Schundliteratur. Aber so ganz genau lässt sich der vorliegende Heavy Trash Krimi eigentlich nicht einordnen und das ist auch gar nicht notwendig.
Mit „The Nazi Island Mystery“ legt r.evolver sein Quasi-Debüt vor. Quasi deswegen, weil die Geschichte schon 1999 als Fortsetzungsgeschichte auf evolver.at erschienen ist und jetzt in überarbeiteter Version als Buch vorliegt. Zwischenzeitlich gelang es dem Autor sich eine Zeit lang als Kopf der Retro Rock’n’Roller The Danes und zuvor als Sänger und Gitarrist der Beautiful Kantine Band in Szene zu setzen.
Zur Handlung: die britische Geheimagentin Kay Blanchard, Ich-Erzählerin und Hauptperson des Werkes, bekommt von ihrem Vorgesetzten den Auftrag, in Europa nach einem verschollenen Agenten zu suchen und herauszufinden, was dessen letzte chiffrierte Nachricht „Victoria geht es schlecht“ für das Empire zu bedeuten hat. Auf dieser Schnitzeljagd gibt es, wie das bei einem Agententhriller üblich ist, viele amouröse Abenteuer, Action, Tote, wechselnde Allianzen und undurchsichtige Charaktere.
Das war’s dann aber auch schon mit der konventionellen Seite des Buches. Denn die Story spielt in der Zukunft, und die sieht düster aus. Ein Teil Kontinentaleuropas ist als „Nationalsozialistische Europäische Konföderation/Viertes Reich“ unter nationalsozialistischer Herrschaft. Auf höherer Ebene – im Weltall – tobt ein Propagandakrieg zwischen den imperialistischen, zur „germanischen Herrenrasse“ zählenden Bewohnern von Latin-Disco 3 und den Kommunisten von Zombia999, die entweder als Zwerge, Werwölfe oder in einer beliebig annehmbaren Menschengestalt ins Geschehen eingreifen. Die Nazis wiederum sind Meister im Klonen und züchten allerlei bekannte Stars und ehemalige Nazigrößen nach. In diesem Panoptikum, in dem Logik keine Rolle spielt, löst die Agentin ihren Fall Schritt für Schritt. Vielleicht sollte noch erwähnt werden, dass Kay Blanchard eine ständig Drogen einwerfende, sexsüchtige und abgebrühte, mit einem Stilett tötende Killerin ist.
Das ist recht haarsträubend, das ist eben Pulp. Richtig aufmerken lassen allerdings kleine Details: Die Kommerzialisierung des täglichen Lebens ist perfektioniert. Rund um die Wiener City zieht sich ein gigantisches Einkaufszentrum, mit Elefantenfriedhof und einem Fun-Park, in dem lebensgroße Figuren den Leidensweg Adolf Hitlers nachstellen. Die Überwachung des Internets ist endlich auf eine befriedigende Basis gestellt worden. Um auf „ReichSSsearch“ bestimmte Daten zu finden, muss man via Gesichts-Scan biometrische Daten bekannt geben. In Wien sind auch Autos des Feindes, z.B. der Marke „Lincoln“, unterwegs. Der Kapitalismus übertrumpft somit selbst die Ideologie des Nationalsozialismus.
Flotte Sprüche („Ich spürte den kalten Lauf der Waffe an den Schläfen. Vielleicht würde er bald nicht mehr kalt sein, dafür aber ich“) ziehen sich durch das Buch, Kampfszenen werden wie im Comic mit „Whoump“, „Smmmack“ und „Kuff“ unterlegt,
Für jedes Kapitel gibt es eine „Soundtrackempfehlung“ in Form eines einzelnen Liedes.
r.evolvers Sprache ist unglaublich vulgär und pornografisch („Was lutschen Sie eigentlich lieber? Schwänze oder Mösen? Weder noch (…) Am liebsten mag ich Rosetten nach dem Morgenschiss. Ich liebe diesen herben Geschmack“), der Text politisch völlig unkorrekt und manche Szenen nähern sich bedenklich den Grenzen des guten Geschmacks. Die Frage, ob man über Nazis lachen soll oder darf, muss jeder für sich selbst entscheiden. Angesprochen auf mögliche moralische Bedenken weist der Autor auf seine Rolle als Chronist hin: Denn nicht er erfinde diese Story, sondern eine Frauenstimme diktiere sie ihm. Dennoch hält man hier was in den Händen, was man in ähnlicher „Qualität“ so schnell nicht wieder finden wird. Nennt es Abklatsch, Karikatur oder Weiterentwicklung eines Genres – das Buch verdient es, gelesen zu werden!
Übrigens: Der Verlag Evolver Books wurde extra für dieses Buch gegründet und wird in Zukunft für weitere Veröffentlichungen in ähnliche Richtungen sorgen. Im normalen Handel sind diese Titel nicht erhältlich. Behaltet die Homepage www.evolver-books.at im Auge.
r.evolver – The Nazi Island Mystery. Ein Fall für Kay Blanchard erscheint bei Evolver Books.