No Copyright

Das Sample, Melodie, Sätze, Filmkader sind geschützt. Sie gehören ihrem Erfinder, oder einem Stellvertreter. Wer damit etwas anstellen will, muss zahlen. Aber, Moment, vielleicht muss das ja nicht so sein.

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Zwei niederländische Akademiker nehmen das Copyright unter der Lupe, sezieren es und häuten es ab. Viel bleibt davon am Ende nicht übrig – es war ja ohnehin zu kaum etwas gut. Die Thesen sind tendenziell sehr radikal. Schwere Zeiten brauchen schwere Einschnitte. Deshalb soll das Urheberrecht abgeschafft werden. Im Detail bleiben dann eben ein paar Brösel und Menschen auf der Strecke. Vor allem aber gibt das dünne und manchmal dumme Buch viel Zündstoff um zu diskutieren und ein paar lieb gewonnene Gewissheiten zu hinterfragen.

Was kost’ die Kunst?

Was da unter anderem wäre: Wie viel brauchen Künstler zum Leben? Soll man andere zitieren dürfen? Oder wie lange sollen Schutzfristen laufen? Mittlerweile liegen Letztere bei stolzen 70 Jahren – was mehr als absurd ist. Sie dienen wirklich nur noch dazu, den Erben von Disney und Lennon eine Pension zu sichern und möglichst viele Dollars aus hohlen Paragraphen zu schütteln. Immer dann, wenn Mickey Maus frei verwendbar geworden wäre, wurde in den USA die Schutzfrist verlängert. Und wer sollte da denn bitteschön versuchen, Disney zwei oder drei Prozent ihres 26 Milliarden Dollar schweren Umsatzes für ein sinnvolles Urheberrecht wegzunehmen, nur damit ein paar Millionen Songs am anderen Ende wieder auf der Datenhalde des Kulturerbes landen? Schutzfristen radikal verkürzen, klar, das macht niemand. Zumindest niemand in Washington.

Dabei wäre es überaus notwendig und richtig. Genau das führt dieses Buch vor Augen. Die Kulturkonzerne – wie sie das Buch im Untertitel nennt – haben über die Jahre ein bisschen zu gut für ihre Interessen lobbyiert. Dabei könnten deutlich kürzere Fristen nicht nur dafür sorgen, dass Kultur insgesamt wieder viel lebendiger und bunter wird, sondern über Umwege könnte das sogar finanziell Sinn machen, wenn nämlich dadurch viele, kleinere Akteure gestärkt werden. Dann wären verwaiste Werke wie etwa die großartigen Alben von Chuzpe und von Medienkünstler Peter Weibel ohne alles Rechtewirrwarr ab heute einfach wieder verfügbar, auf Streaming-Plattformen, auf Blogs, auf Youtube und Websites. Wem das nicht reicht, kann beide Alben auch auf schwerem Vinyl kaufen. Naja, hätte, könnte, wäre halt.

Allein die Diskussion über solche eingeschliffenen Rechte und Verbote wieder zu öffnen, hilft. Das schmale Buch zwingt sich selbst die Frage zu stellen, ob man nun 400 Jahre Urheberrecht will und auch die immer stärkere Reglementierung im letzten Jahrhundert genau so will, vielleicht doch nur so etwas ähnlich; oder gar ein ganz anderes System.

Pro Sampling Pro

Das Copyright muss wieder Dialog, Parodie und Zitate erlauben – das sagen auch die Autoren. Derzeit ist das etwa beim Sampling nur nach aufwendiger Klärung der Rechte möglich. Ohne dieser mühsamen Prozedur wäre Left Boy mit seinen Pop-Hit-Verdrehungen vielleicht schon ein Star; international. Bei Patenten, Medikamenten-Generika und Designplänen hätte eine solche Änderung natürlich schwerwiegende Folgen. Und hier wird auch eine der Schwächen des Buchs deutlich. Manchmal gefällt es sich zu sehr in seinem kämpferischen, radikalen Ton. Die Frage von Fair Use zu einer Frage der Zensur, der Meinungsfreiheit, Macht und Demokratie zu machen, ist schlicht übertrieben. Daraus folgen dann Sätze wie: „Wie schädlich die Unantastbarkeit künstlerischer Werke für die Kommunikation in einer demokratischen Gesellschaft ist, haben wir bereits dargelegt.“ Bereits behauptet trifft es eher. Wenn die beiden Akademiker eine Spur mehr auf Umsetzbarkeit und Konsequenzen der eigenen Forderungen eingehen würden, Zweifel und Schwächen eingestehen, könnte das die Streitschrift umso überzeugender machen.


Als Streitschrift nehmen sich die beiden niederländischen Wissenschaftler das Recht heraus, Zusammenhänge zu verkürzen oder hin und wieder nur ein schnelles Indiz für ihre eigenen Thesen zu liefern. Aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte wird mal eben der dort so formulierte „Schutz der geistigen und materiellen Interessen“ für Urheber so interpretiert, als würde das nur für Volltrottel ein Verbot rechtfertigen (s.59). Interessant auch, dass zwar Künstler und Verlage ihr Wissen ohne Gegenleistung überlassen sollen, nicht aber indigene und lokale Gemeinschaften (s.66). Dann sind gleich alle Aktiengesellschaften too big to fail, statt nur die Großbanken (s.88). Oder Rufschädigung soll Konkurrenten in einer Zeit ohne Copyright in Schach halten (s.105). Das Buch ist voll von diesen kleinen Widersprüchen – was in Summe allerdings keinen großen Widerspruch ergibt.

Im letzten Drittel wird die Zeit nach dem Urheberrecht skizziert, teilweise ganz arg spekulativ, andrerseits mit reichlich Vorschlägen für ganz unterschiedliche Bereiche, von Musik, Buch, Film bis zu Design und Kunst – immer den möglichst ungeschützten Verkehr von Ideen vorm Auge; und wie sich dieser Virus frei verbreiten kann. So ganz ohne jede Kontrolle kommen die Autoren dabei auch nicht aus, erstes im Bereich Film, aber vor allem geht all das nicht ohne fairen Wettbewerb. Um Marktversagen zu verhindern, bräuchte es strenge Regeln und Wächter. Und wie gut die derzeit arbeiten, kann man im jahrzehntelangen Streit zwischen EU und Google oder Microsoft sehen.

„Das macht doch für Künstler wirklich keinen Unterschied“

Ein ganz großes Missverständnis findet sich auch in diesem Buch wieder: selbst wenn die Einnahmen aus dem Urheberrecht für Künstler grob gesprochen „nicht signifikant“ sind, weil der Großteil bei den Kulturkonzernen landet, sind 200 oder 300 Euro monatlich mehr oder weniger für den einzelnen Künstler sehr wohl entscheidend, dafür, ob man nämlich weitermacht oder nicht. Um es noch konkreter zu machen: Für Bilderbuch, Violetta Parisini oder Kamp sind diese paar Tantiemengroschen wichtig. Wo anderswo Stipendien über die bitteren Lehrjahre hinweghelfen, fehlen Musikern mitunter genau diese wichtigen Überbrückungseinkommen – was auch ein paar Euros aus dem Urheberrecht sein könnten. Die Autoren dagegen: „Ohnehin hat es [das Urheberrecht, Anm.] nicht gerade vielen Künstlern zu einem redlichen Einkommen verholfen.“ (S.58) Ja, oft reicht es nur zum Überleben, ohne dem reicht es nicht einmal dafür. Wenn dann Youtube, Spotify und Co in ein paar Jahren nur ein wenig mehr zahlen würden, könnte es sogar zu mehr als Überleben reichen.

Um genau diese Diskussionen zu führen, ist „No Copyright“ ein wichtiges Buch. Könnte ja sein, dass die Piraten in Österreich doch noch neugegründet und aktiv werden.

„No Copyright – Vom Machtkampf der Kulturkonzerne um das Urheberrecht “ von Joost Smiers und Marieke van Schijndel ist bereits im Alexander Verlag Berlin erschienen.

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