Globale Avantgarde

Vor zehn Jahren regierte in Wien das Getöse um die avantgardistischen Elektroniker. Heute bleiben von der Szene nur Fragmente. Ein Rückblick und ein Statusbericht – inklusive neuer Alben von Radian, Lokai und Kabelbrand.

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Radian waren damals dabei. Und auch wieder nicht. 1999 hatte sich das Trio gegründet. Eine einheitliche Szene avantgardistischer Elektronik, meinen sie, hat es vor zehn Jahren in Wien genauso wenig gegeben wie heute. Radian hatte ohnehin laufend mit Fehleinschätzungen zu kämpfen. Damit, dass sie immer schon vergleichsweise wenig Laptop verwendeten, dass sie etwa als Improvisationsband wahrgenommen wurden oder – noch schlimmer – im Kontext von Postrock und Jazz. Vor allem brachten sie vor gut zehn Jahren den Rhythmus zurück in das minimale und maximale Knistern der Laptops – ein absolutes Tabu, ging es damals für die meisten anderen doch strikt um rein digitale Klangräume.

Dritte Wiener Schule

Derlei Diskussionen um die wahre Lehre wirken heute mehr als nebensächlich. Radian haben jedenfalls auch stark von der internationalen Aufmerksamkeit profitiert, die Wien bekam. Es lag fast so etwas wie der Hauch einer dritten Wiener Schule in der Luft (in Anlehnung an die erste Wiener Schule von Mozart und Beethoven und die zweite, geprägt durch Schönberg, Webern und Berg). Techno hatte in den 90ern ganz viele musikalische Selbstverständlichkeiten erschüttert. In diesen Jahren war nicht nur der Vienna Lounge Sound en vogue, sondern ebenso der weit schwierigere Halbbruder Lärm in allen seinen Schattierungen. Noise, Drones, Ambient, Avantgarde-Elektronik, Psychoakustik, abstrakte Glitch-Sounds – das alles passte unter einen Hut und noch viel mehr. Selbst wenn es vor zehn Jahren keine echte Szene gab, die an einem Strang gezogen hätte, so war doch zumindest eine Aufbruchsstimmung zu spüren. Plötzlich gab es diese ganze komische Musik, die nicht benennbar war, die noch überhaupt nicht in Subgenres ausdifferenziert war, so die Mitglieder von Radian. Es gab ein wohlwollendes Interesse an schrägen Sachen und Leute mit jeweils unterschiedlichsten Hintergründen besuchten dieselben Abende. Das Rhiz war weit über Wien hinaus bekannt, ebenso das Phonotaktik-Festival. Und dann waren da natürlich noch die Bands, wechselnde Formationen und Solo-Künstler, die immer wieder über die Genres hinweg tätig waren.

The Sound Of Error

Die drei Personen hinter dem Label Moozak meinen, dass sich in Wien auch im Jahr 2009 viel bewegt. Die meisten Aktiven würden aber zuallererst ihr eigenes Netzwerk pflegen, ihr eigenes Süppchen kochen und sich ohnehin keiner Szene zugehörig fühlen. Moozak ist selbst aus einer Veranstaltungsreihe im Fluc hervorgegangen. 58 Artists aus 18 Ländern hat Moozak bisher nach Wien geholt und mit „Kabelbrand" erst kürzlich ihren zweiten Release veröffentlicht. Kabelbrand widmet sich dabei ausschließlich dem Max Brand Synthesizer. Ganz ohne irgendwelche Computer-Effekte stellt Kabelbrand den originalen Sound des niemals fertig gestellten Synthesizers in den Vordergrund. Allerdings nicht so, wie es die tragische Figur Max Brand, der 1937 ins US-amerikanische Exil emigrieren musste, selbst gewollt hätte. Denn als dieser 1957 in den USA Bob Moog mit dem Bau beauftragte, dachte er in den Kategorien atonaler Komposition und wollte damit eigentlich ein Orchester simulieren. Kabelbrand stellt hingegen die Fehler des halbfertigen Synth-Unikats in den Vordergrund, die instabilen Tonhöhen, die sich je nach Betriebstemperatur verändernden Klangfarben, die knackenden Regler, die Unschärfen im System. Deswegen klingt Kabelbrand auch so beeindruckend dreckig und direkt – es röhrt, knattert und dröhnt, dass es eine Freude ist. Der Ansatz ist dabei nicht so neu: Man nimmt ein Massenprodukt und verwendet es gegen seinen ursprünglichen Verwendungszweck. Product Hacking, Circuit Bending, digitale Overloads, erweiterte Spielweisen – all das hatte ursprünglich eine sehr politische Komponente und war mitunter als Auflehnung gegen die Industrie und vorgegebene Benutzung gedacht, so Clemens Hausch von Kabelbrand/ Moozak.


Radian haben solche Fehler-Verfahren ebenfalls in ihren Kosmos aufgenommen, wollten diese aber von Beginn an in einen popkulturellen Kontext stellen. Sound war für sie schon sehr früh erledigt – Knackser, Brummen und Bruzzeln funktionieren für Radian nur mehr als Geste und als Zitat. Stattdessen sind Aspekte der Performance viel wichtiger geworden. Radian legten in den letzten zwei Jahren eine lange Livepause ein, in der sie versuchten, die eigene Routine abzulegen. Die Band sah sich an der Kippe, teilweise passierte ein halbes Jahr lang gar nichts bis in einem anstrengenden Prozess neue Wege erkämpft wurden. Für „Chimeric“, der dritten Platte auf dem Chicagoer Traditionslabel Thrill Jockey, ließen Radian mehr Freiräume zu. Noch weniger Computer und weniger Konzeptzwang führten dazu, dass viel längere Aufnahmepassagen für die Restrukturierung am Rechner verwendet wurden. Die für Radian so typische Maßarbeit mit kleinen, thematischen Partikeln wurde durch offenere Spielweisen, durch Kontrollverlust und sehr laute Dynamik aufgebrochen. Radian nehmen auch mit „Chimeric“ einen Sonderstatus im erweiterten Graubereich abstrakter Elektronik ein. In Wien war das Trio dementsprechend nie Aushängeschild einer wie auch immer fragmentierten Szene. Radian knüpfte keine Netzwerke.

Dass nun aber das zweite Album von Lokai ebenfalls auf Thrill Jockey erscheint, dürfte unter anderem an Stefan Németh gelegen haben, der auch bei Radian entscheidend an den Sounds dreht. Lokai hat keinen konzeptuellen Überbau, dafür aber ein funktionierendes Grund-Setup. Die Gitarre ist Kern der neun Tracks, Florian Kmet (außer Lokai noch bei Trio Exklusiv, Fatima Spar) und Stefan Németh erweitern ihren musikalischen Kosmos außerdem um Ideen aus außereuropäischer Musik – Rhythmus, Handarbeit, Melodie, rituelle Aspekte. So wie bei Kabelbrand und Radian dient der Computer dabei nur noch als fortgeschrittene Arrangiermaschine. Den Laptop als Klangerzeuger haben zumindest diese drei Alben entfernt.

Status Quo Vadis

Zehn Jahre nach dem Hype stellen Radian, Kabelbrand und Lokai großartige Projekte dar, die allerdings in parallelen Welten arbeiten. So wie auch viele andere. Allen voran war 2009 das Jahr von Christian Fennesz. Sein Album „Black Sea“ wurde vor allem in Übersee verschwenderisch besprochen, das Album „Endless Summer“ von 2001 setzte Pitchfork überhaupt auf Platz 26 der besten Alben der Nuller Jahre (aus nicht-englischsprachigen Ländern kamen vor ihm nur noch Daft Punk, Sigur Rós und The Knife). Ganz großes Ausrufezeichen! Radians „Chimeric“ wiederum wurde fast wie selbstverständlich in der i>New York Times. Mego genießt international einen hervorragenden Ruf, Florian Hecker stellt gerade zweimal in Wien aus, Quehenberger, Projekte in Galerien, Wien Modern, Ars Electronica in Linz, noch immer Rhiz, Klingt Org, die monatliche V’Elak Gala, der Central Garden im Sommer, Pomassl an der Akademie, das Kremser Kontraste Festival, die Amann Studio Sessions, der Echoraum in Wien, 15, temporäre Projekte, die Sendung Zeitton auf Ö1 und natürlich Blogs, Blogs, Blogs.

Das alles sind eindeutige, laute, manchmal unüberhörbare Signale einer äußerst fruchtbaren Szene avancierter Elektronik. Nur – und das muss sich ändern – hat diese Szene noch kein Bewusstsein von sich selbst. Kreisky, Ja, Panik und Gustav mögen derzeit in Österreich medial den Ton angeben und als Gipfelpunkt von Diskurs, Kunst und Musik angesehen werden. Künstlerisch bis an die Grenzen anspruchvoll und wirklich international sind derzeit allerdings nur die Abstrakten. Und das haben bisher eindeutig noch zu wenige Köpfe geschnallt. Wiener Elektronik lebt, anders als früher, und dennoch mehr denn je.

Die Alben von Radian „Chimeric“ (Thrill Jockey), Lokai „Transition“ (Thrill Jockey) und Kabelbrand (Moozak) sind soeben erschienen.

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