Online im Kino – Was nach der Online-Version der Vienna Shorts für die Zukunft zu erwarten ist

Die letzten drei Monate waren neben vielem anderen von einer Verlegung von Großveranstaltungen ins Internet gezeichnet – darunter auch Filmfestivals. Als Zwischenlösung akzeptabel, aber wie sehr wird sich diese bequeme, dennoch wenig interaktive Form etablieren? Eingebettet in ein hervorragend kuratiertes Programm war dies eine der Fragen, der sich die Filmschaffenden bei den 17. Vienna Shorts heuer stellten.

© Spring Break (Total Refusal) – Vienna Shorts Trailer

Ein Klick und ich bin im Kino. Ist weniger futuristisch als es klingt und seit ein paar Monaten Realität. Zwar hatte ich als Journalistin schon mehrmals die Möglichkeit, aufgrund von ungünstiger Zeitplanung und physischer Distanz bei Festivals laufende Filme online zu sehen. Aber das ganze Event einfach nur über den Rechner zu erleben, das war neu.

Nachdem ich mir also mit meinem Freund ein gemütliches Wochenende auf der Couch gemacht hatte – mehrere Tassen Tee, ein paar Snacks, eine stockende Internetverbindung und das gelegentliche Nickerchen inklusive – war diese Erfahrung ein Upgrade für mich? Haben sich hier Gemütlichkeit und Liebe zum Film zu einer Symbiose vereint, die ich nicht mehr missen möchte?

Eine gewisse Annehmlichkeit ist sicher da. So wie Streaming, Fitness-Apps oder Online-Sprachkurse den Menschen in seiner individuellen Zeitplanung abholen, so konnte ich nach Lust und Laune, sowie beliebiger Tageszeit die verschiedenen Programmschienen in der Reihenfolge aufrufen, die mich ansprach. Eingeschränkt rein durch Veröffentlichungsdatum und die darauffolgenden 48 Stunden an Verfügbarkeit. Aber so richtig dasselbe war es dann doch nicht.

Das Anstellen in den Warteschlange, das Stück Papier in der Hand, das einem die KontrolleurInnen abreißen, die stimmigen Intros und Q&As mit den Gästen, das kollektive Lachen und Mitfiebern im dunklen Saal, das Bier mit FreundInnen und neuen Bekanntschaften nach dem Screening, der kreative Austausch im Gespräch – ein Festival ist ohne all diese Komponenten dann doch weniger als die Summe seiner Teile. Doch die Vienna Shorts waren nicht die ersten, die sich der Frage stellen mussten: So oder gar nicht.

Corona lässt Online-Kultur aufblühen

Wie viele Festivals seit Anfang März standen auch das Team um Doris Bauer und Daniel Ebner vor der Frage, ob man absagen oder online gehen sollte. Internationale Premieren- und Eventfestivals wie Cannes oder Locarno hatten notgedrungen gecanceled. Eine Online-Edition würde sich nicht mit ihrem Fokus und USP vereinen lassen. Karlovy Vary plant im Juli eine Wanderedition in tschechischen Kinos. In Österreich ist man bisher einen Online-Weg beschritten. Vorab hatten bereits Diagonale und Crossing Europe ihre Selektion auf verschiedenen Kanälen, so wie Flimmit oder FM4 zur Verfügung gestellt.

Die Vienna Shorts ist nun das letzte österreichische Festival, das noch in die Lockdown-Maßnahmen der Regierung gefallen ist. Kurzfilmfans hatten zwischen 28. Mai und 2. Juni die Möglichkeit im eigens eingerichteten Online-Festival-Hub, sowie bei den Streaming Partnern orf.at, fm4.orf.at, porgy.at, Youtube und twitch.tv die rund 280 Filme (davon rund 96 in vier Wettbewerbskategorien) anzusehen. Das Slash im September darf bereits wieder auf reduzierte, aber physische Präsenz setzen. Welche Version der Viennale uns erwarten wird, steht noch in den Sternen. 

Was bleibt also von diesem digitalen Festivalzeitalter? Zunächst hatte die Umstellung auf Online noch viele andere Entwicklungen in den Hintergrund gestellt, wie Co-Festivalleiterin Doris Bauer betonte. Das wären Neuerungen wie das neue graphische Design, die neue Website, die Anstrengungen für eine faire Festivalarbeit, das Öko-Event-Prädikat der Stadt Wien, die Mitgliedschaft beim Europäischen Filmpreis, bei den BAFTAS und die neue Programmstruktur. Dem Erfolg der Vienna Shorts hat dies aber heuer keinen Abbruch getan.

Digitaler Erfolg für die Vienna Shorts

Das Publikum, von dem Co-Festivalleiter Daniel Ebner zu Beginn noch gemeint hatte, dass man es vor den Bildschirmen nur erahnen könne, dankte der Veranstaltung mit 3.210 Unique Viewers und 36.709 Views allein auf dem Festival-Hub. Abgesehen vom österreichischen Publikum, das die Filme nur im Inland aufrufen konnte, kamen Zugriffe von Branchen- und Presse-Akkreditierten aus 54 Ländern dazu.

Diese Zahlen sind erfreulich, reihen sich aber nahtlos in die ungeklärte Frage nach der Zukunft von Festivals ein. Es lasse sich heute schwer abschätzen, so Ebner, wie es mit der Kultur in den kommenden Monaten und Jahren weitergehen wird, wie internationale Filmfestivals gedacht werden können und ob wir nach Monaten im Home-Office überhaupt noch sozial kompatibel sind.

March of the Thinking Machines – Gelbart (Adi Gelbart) © VIS

Dass die kleineren Festivals in Österreich leichter auf online umsteigen konnten liegt auch daran, dass sie weniger an Gästepower und Premieren gebunden sind wie andere Großveranstaltungen. Daraus ergibt sich noch kein neuer Status quo. Doch sie müssen auch auf die internationalen Entwicklungen schielen. Und gerade als kleines Festival könnte sich aus Online-Angeboten die eine oder andere Budgeterleichterung ergeben.

Will man nun rein online arbeiten? Gibt es da Vorteile, denen sich die Filmszene bisher verschlossen gehalten hat? Diese Fragen wurden in den letzten Monaten in zahlreichen Filmbranchen-Events aufgegriffen, auseinandergenommen und mit etwaigen Prognosen neu zusammengesetzt. Auch die Vienna Shorts widmeten ihre Industry-Events diesem Thema. In »Rules? What Rules? – How Festivals Deal With Films Online« trafen Sanne Jehoul vom Glasgow Shortfilm Festival, Jason Anderson vom Toronto International Film Festival und dem Aspen Shortfest, Enrico Vannucci von der Biennale und John Canciani von den Internationalen Kurzfilmtagen Winterthur unter der Moderation von Branchenverantwortlicher Marija Milovanovic aufeinander.

Mangel an zwischenmenschlichen Interaktionen

Prinzipiell einigten sich die TeilnehmerInnen, dass online zwar einige Vorteile in Sachen Zugänglichkeit geboten sind, aber letztendlich der so wichtige zwischenmenschliche Faktor zu kurz komme. Abgesehen davon stellt es die FestivalmitarbeiterInnen vor logistische Probleme. Die Herausforderung, so Anderson, sei es, das Festival bestmöglich am Laufen zu halten, aber auch die Filmschaffenden und ihre Werke zu schützen. Diese Probleme summieren sich ironischerweise in den Vorteilen von Digital: der universellen Verfügbarkeit. Wie stellt man einem Publikum die Filme online zur Verfügung, behaltet sich aber dennoch den Anspruch eines Festivals. »Wir sind nicht plötzlich eine Plattform«, resümierte Anderson die notwendige, von Netflix und Prime abweichende Präsentation der Filme.

Das bedeutet im Klartext, dass man das Festival für ZuseherInnen im Ausland weiterhin geo-blocken müsse, um den Wert der Filme und ihren internationalen Premierenstatus zu schützen. Wenn die Filme zu frei zirkulieren, könnten sie für folgende Festivals wertlos werden. Im Kurzfilmkontext ist es ebenfalls wichtig, sie als Einheit zu programmieren, und nicht als einzelne Videos. Das Arrangement einer Sektion habe immerhin einen künstlerischen Anspruch, die Filme stehen im Dialog zueinander.

Ebenso eine einschneidende Wirkung könnte die Online-Kultur auf die internationalen Gäste haben. Die Gefahr bestehe, dass man Gäste aus weniger zugänglichen Ecken der Welt einfach nicht mehr einfliegen lasse, ein eurozentrischer Festivalbetrieb wäre die Konsequenz. Doch nicht nur das Interagieren zwischen Gästen und Publikum in den Q&As, auch das One-on-One, das zufällige Aufeinandertreffen und Austauschen der TeilnehmerInnen untereinander wäre Vergangenheit.

Online-Festivals bieten mehr Möglichkeiten für alle, gibt Vannucci zu bedenken, andererseits treffe man so aber weniger Leute. Die Zugänglichkeit von überall auf der Welt verhindere eine organische Entwicklung und Vernetzung. Anderson fügt hinzu, dass Online-Festivals den ganzen Prozess rationalisieren würden. Die unmittelbaren, persönlichen Erfahrungen, der Wissensaustausch von FilmemacherIn zu FilmemacherIn, vor allem unter den jungen, wäre dahin.

Wo sich das Diskussionsplenum jedoch einig war, ist, dass die verbleibenden Festivals nach der ersten Welle und dem Lockdown vorerst mehr hybride Formen annehmen werden. Das bedeutet mehr Sicherheitsmaßnahmen und ein in erster Linie lokales Publikum. Ob sich diese Neuerungen und dann in welcher Form dauerhaft halten werden, wird sich erst danach zeigen. Für mich persönlich gilt: Die Festival-Termine im Herbst habe ich mir bereits im Kalender markiert. Dann hoffentlich wieder im Kino.

Das internationale Kurzfilmfestival Vienna Shorts fand von 28. Mai bis 2. Juni 2020 online statt. Zum Gewinner-Video des im Rahmen des Festivals vergebenen MUVI-Musikvideopreises geht es hier entlang.

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