Gruppenzugehörigkeit, Ausgrenzung und die gesellschaftliche Spaltung in »Wir« und »die Anderen« stehen im Fokus des Open Mind Festivals in Salzburg. Wir haben mit zwei Künstlergruppen über ihre Beiträge zum Festival und deren Relevanz vor dem Hintergrund der aktuelle gesellschaftspolitische Situation gesprochen.
Warum bildeten sich zivilgesellschaftliche Zusammenschlüsse während der sogenannten »Flüchtlingskrise» und warum haben Parteien, die Menschen in die Gruppen »Wir« und »die Anderen« teilen so großen Erfolg? Diesen Widersprüchen und Fragen widmet sich das Open Mind Festival und versucht Klarheit zu schaffen, getreu dem eigenen Anspruch »How To Make Sense Out Of The Troubles«.
Das Motto »Common People. Kollektive für Individuen« ist dabei zentral bietet jedoch gleichzeitig viel Gesprächsstoff: Was sind die Qualitätsmerkmale von Kollektiven? Wo besteht die Gefahr sich totalitären Mechanismen zu bedienen? Wo liegen die Vorteile des sozialen Zusammenschlusses?
Mindestens so facettenreich wie das Thema des Festivals ist auch das Programm. Von Kleinkunst über musikalische Auftritte bis hin zu filmischer Aufarbeitung und einem Stadtspaziergang zu den Salzburger Burschenschaften ist alles dabei. Ob ernste Inhalte oder humoristische und satirische Beiträge, das Open Mind Festival gibt sich wie bereits in den vergangenen Jahren gewohnt politisch und auch ein wenig provokativ.
Wir hatten die Möglichkeit mit zwei Künstlergruppen über ihre Beiträge zum Open Mind Festival und deren Relevanz vor dem Hintergrund der aktuellen gesellschaftspolitischen Situation zu sprechen:
God’s Entertainment »Chauvinismus Scanner«
God’s Entertainment ist eine österreichische, experimentell arbeitende Theatergruppe. Das Kollektiv arbeitet in den Bereichen Performance, Happening, Visual-Art und Sound. Der »Chauvinismus Scanner« testet seine Teilnehmer, inwieweit diese xenophob, also Chauvinisten oder eine Chauvinistinnen sind (9. & 10. November).
Wie genau funktioniert der »Chauvinismus Scanner«?
Chauvinismus Scanner (CS) ist auf das jeweilige Land, in dem es durchgeführt wird, spezifisch programmiert. Das Scannen findet im öffentlichen Raum statt und somit kann sich jeder freiwillig und anonym testen lassen. Es ist gratis. Der Prozess besteht aus mehreren Schritten, ähnlich wie bei einer Routine-Hospitaluntersuchung. Anhand vom speziell entworfenen Fragebogen können wir schnell feststellen ob der Bedarf für weitere Schritte des Scannens erforderlich ist. Sollten »Symptome« des Chauvinismus innerhalb der Beantwortung der Fragen entdeckt werden, laden wir die Person ein, weitere Schritte des Scannens zu absolvieren, diese bestehen aus drei Teilen: Fremdenscanner, Personal Indicator und Nationalblicktest. Alle drei Geräte wurden gemeinsam mit Studierenden der TU Wien entworfen. Ein weiteres ist zurzeit in der Testphase: der Synapsen Connector.
Nachdem die Testperson das gesamte Programm durchgelaufen ist, haben wir ein relativ präzises Ergebnis, wie es um die gescannte Person aussieht. Es ist bisher leider nicht selten passiert, dass die getesteten Menschen schockiert waren, wie viel Chauvinismus-Potenzial sie bewusst oder unbewusst mittragen und schließlich ausüben.
Wie lange dauert der Test?
GE: Es ist sehr individuell und von mehreren Faktoren abhängig. Je nachdem, welche Person sich testen lässt, was sie unter dem Begriff Chauvinismus versteht (man darf nicht vergessen, dass bei unserem »Chauvinismus Scanner« in Wien im Vergleich zu anderen Ländern oder Städten viele Menschen mit dem Begriff nichts anfangen konnten) und wie sie damit umgeht. Im Durchschnitt dauert der Test eine halbe Stunde, bei manchen auch länger.
Den »Chauvinismus Scanner« gibt es schon etwas länger. Wie wurde er von den Menschen angenommen und welche Ergebnisse kamen heraus?
Wir wollten mit dem »Chauvinismus Scanner« eine längere Forschungsreise unternehmen, um anschließend eine Studie zu publizieren. Für eine wissenschaftliche Auswertung sollten mindestens 10 EU Länder untersucht werden. In den letzten zwei Jahren waren wir mit dem CS in sechs EU-Ländern bzw. Städten. Es stellt sich nach wie vor die Frage, inwiefern diese Studie künftig helfen kann, denn der Chauvinismus liegt tief in jedem von uns, die Wissenschaft macht es nur sichtbar, aber bekämpft es nicht. Die geschätzte Kunst ist dabei, sich zuerst mit dem eigenen Chauvinismus auseinanderzusetzen, sich selbst ständig zu hinterfragen und von täglichen Beispielen der Alltagschauvinismen zu lernen. Aus diesem Grund ist auch diese Initiative entstanden, one to one, auf Augenhöhe, hemmungslos zu checken woran man ständig scheitert.
Wie bereits kurz erwähnt, viele Menschen werden von Ergebnissen geschockt, weil sie sich mit einer gewissen Selbstsicherheit (Ich bin sicher kein Chauvinist!) scannen, kommen aber verzweifelt, verunsichert raus. Wir werden zuhause, in der Schule, auf der Straße, durch die Medien, an jedem Eck, zu Chauvinisten gemacht. Das wieder zu verlernen, ist es ein langer Prozess und vor allem braucht es viel Mühe – so ähnlich wie auf den Geschmack zu kommen. Die Strategie des Performativen dient dazu, diesen Geschmack zu implizieren.
Welche Menschen sind besonders anfällig für Xenophobie?
Wenn man die Antwort auf diese Frage wüsste, wäre vieles einfacher. Aber aus unserer Erfahrungen könnten wir sagen: Menschen, die unter Existenzangst leiden oder die die mediale Projektion dieser Ängste leben bzw. zu ihrer Realität machen, so als würde ihnen der Boden unter den Füßen weggezogen werden. Alle Attribute, die wir bereits aus der Vergangenheit, den Medien und Rechtspopulismus kennen, sei das Migration, gescheiterte Integration, Religion, Identitätsverlust etc., schüren Unsicherheit in der Gesellschaft. Diese Menschen wollen schnelle Lösungen für ihre Ängste und diese Lösungen sind eine Projektion auf die Anderen, die Andersmachung der Anderen. Sowie Menschen, die das Fremde in jeglicher Form ablehnen und die Liebe zum Eigenen verteidigen wollen. Oder wie auch diejenigen, denen ihre eigenen Privilegien nicht bewusst sind. Auch solche Menschen sind gute Kandidaten, weil sie die Überlegenheit nicht verlieren wollen.
Angenommen das Land Österreich an sich würde sich als Person testen lassen: Was wäre das Ergebnis?
Die jüngsten Wahlergebnisse zeigen, in welcher Richtung sich Österreich gerade bewegt, vor allem wie schnell bestimmte Denkrichtungen anders verpackt werden können, dass sie als solche auch akzeptiert werden. Dementsprechend könnten wir sagen, dass Österreich ein, von sich aus behauptet, freundlicher Chauvinist ist. Wir können an dieser Stelle auch von Wohlstandchauvinismus reden. Oder wie es bereits jemand bei The Gap perfekt formuliert hat: Der einzige Unterschied zwischen FPÖ und ÖVP liegt darin, anstatt »Ausländer raus!«, »Ausländer raus bitte!« zu sagen. Der Rest lässt sich leicht vorstellen.
Die Rabtaldirndln »ABREISSEN«
Die Rabtaldirndln sind ein fünfköpfiges Kollektiv aus Graz, das seit 2003 besteht und Performances und Theaterproduktionen entwickelt, die sich inhaltlich mit dem Spannungsfeld Stadt–Land auseinandersetzen. In »ABREISSEN« geht es um Misstrauen, Entfremdung & einen zerbrechenden Konsens. Und wie wir unsere Haltungen vor uns hertragen. Produziert wurde das Stück, das beim Open Mind seine Uraufführung feiert, in Zusammenarbeit mit der ARGEkultur, dem Veranstalter des Festivals.
Bei der Nationalratswahl Mitte Oktober hat sich wieder einmal gezeigt, dass die Menschen in der Stadt anders wählen als die auf dem Land. Genau diesen Unterschied sprecht ihr ja immer wieder an. Warum ist das eurer Meinung nach so?
Wir können hier auch nur Vermutungen anstellen. Aber reflexartig fällt uns da ein: Stadt = mehr Durchmischung = mehr Toleranz, weil ja paradoxerweise der Vorbehalt gegen Fremde in Regionen am stärksten ist, wo es gar keine Fremden gibt. In unserer aktuellen Produktion »Abreißen« stellen wir uns dieser Problematik und suchen Antworten auf die mit diesem Phänomen verbundenen Fragen. Mit welchen Mitteln werden die Menschen beeinflusst? Welche Vorurteile haben die Menschen vom Land gegenüber den Menschen aus der Stadt und umgekehrt? Und wie nutzt die Politik diese Vorurteile aus und versucht die Menschen zu mobilisieren.
Inwiefern glaubt ihr könnt ihr mit euren Performances auch zur Verständigung zwischen »Stadt« und »Land« beitragen?
Wir Rabtaldirndln bewegen uns mit unseren Themen immer im Spannungsfeld Stadt-Land. Was unsere Theaterabende auszeichnet ist, dass sie sowohl in der Stadt und am Land auf Resonanz stoßen. Wir sehen uns daher quasi als performativer Pickgummi zwischen den Welten. Wir erzählen Geschichten, die immer gespeist sind von unseren eigenen Erfahrungen als Frauen, die am Land sozialisiert wurden. Wir sind weggegangen und haben unseren Horizont sprichwörtlich erweitert. Und deshalb können wir Geschichten auf die Bühne bringen die Aspekte beider Welten beinhalten. Die Berliner sehen uns ein Lamm ausbluten lassen und die Loferer sehen, wie wir uns den Katholizismus austreiben. Und umgekehrt funktioniert es natürlich auch.
Ihr versucht ländliches Idyll in die Stadt zu bringen. Würde das eurer Meinung nach andersrum ebenfalls funktionieren? Also das städtische Leben in das ländliche Idyll zu bringen?
Das ist jetzt eine Unterstellung! Wir beschäftigen uns selten mit Idyllen. Eher beschäftigen wir uns mit dem Gegenteil von Idyllen: Themen wie Landflucht, sterbende Dörfer oder noch immer chauvinistische Umgang mit Frauen inspirieren uns zu unseren Stücken. Wir zeigen selten Idyllen und wenn, um sie dann wieder zu entblößen oder, wie man so schön steirisch sagt, aufzuplatteln. Dass das Land nur Natur und Idyll ist, stimmt vielleicht für den Städter, der in seiner Freizeit ein schönes Wochenende am Land verbringt, für alle anderen, die dort zu Hause sind, muss das nicht zwangsläufig so sein. Ich glaube, dass hinter jedem vermeintlichen Idyll ein tiefer Graben verborgen ist. Dass wir umgekehrt das städtische Leben aufs Land bringen, passiert sicher immer dann, wenn wir ein regionales Gastspiel haben. Unsere Performances sind schließlich auch zeitgenössisch und urban. Und wir produzieren und leben in Graz. Dahingehend sind wir eigentlich Städterinnen die einen kritischen Blick auf das Land, das sie als junge Frauen verlassen haben werfen.
»ABREISSEN« ist unter anderem aus realen Erfahrungen entstanden. Welche waren das?
Ausgangspunkt war die Erfahrung von Bekannten, die am Land leben und im Rahmen der letzten Bundespräsidentenwahl auf ihrem privaten Grundstück Wahlwerbung für Van der Bellen gemacht haben. Sie haben mehrere Plakatständer auf ihrer Wiese aufgestellt und auf einer Hauswand ein Großflächenplakat aufgehängt. Das Ganze ist einen Tag lang gehangen und wurde in der Nacht abgerissen, die Hauswand wurde mit Eiern und Bananenschalen beschmiert. Anstatt der Van der Bellen Plakate hingen in der Früh Hofer Plakate auf den Plakatständern. Als meine Bekannten zur örtlichen Polizei gingen, um Anzeige zu erstatten, weigerte sich der diensthabende Polizist ins Protokoll zu nehmen, dass es einen kausalen Zusammenhang zwischen Hofer-Wählern und den beschmierten, abgerissenen Plakaten gäbe. Und dann ist da die reale Angst, Verwandte und Freunde nicht mehr nach ihrer politischen Einstellung zu fragen, weil man befürchtet, es könnte das genaue Gegenteil seiner eigenen sein. Und das sagt einiges über uns aus. Wenn man nämlich nicht mehr anderer Meinung sein kann, dann zerbricht was.
In »ABREISSEN« ist immer wieder die Rede vom zerbrechenden Konsens. Was meint ihr damit?
Das Auseinanderdriften von Stadt und Land. Dass es innerhalb eines Landes politische Färbungen gibt, die die Stadt eindeutig vom Land abspalten, oder eben das Land von der Stadt. Und dass die Fronten und Vorurteile so verhärtet sind, dass es scheinbar niemanden mehr gibt, der beide Seiten ansprechen kann, ohne für die einen als arrogant und für die anderen als Pater Rudi oder Wolf im Schafspelz abgestempelt zu werden. Es ist scheinbar schwierig noch Themen zu finden bei denen man sich einig ist.
Das Open Mind Festival Salzburg findet vom 9. bis zum 19. November in der ARGEkultur statt. Am 9. und 10. November habt ihr die Möglichkeit euch vom »Chauvinismus Scanner« durchchecken zu lassen. Die Rabtaldirndln treten jeweils am 9., 11. und 12. November auf. Informationen zum weiteren Programm, Tickets und dem Festival selbst findet ihr hier oder im Flyer.