Von minimaler Struktur zu maximalem Output: Mynth und ihr Debütalbum „Plaat II“. Oder: wie man sich ins Bett kriegen lässt.
Sich in ein neues Album einzuhören– egal, welches Genre – ist immer ein bisschen wie der Beginn einer Romanze. Man kennt sich zuerst nicht, das erste Date ist meist sperrig. Es muss da schon mal längere Zeit der Hof gemacht werden.
Ein verzogener Schrei, die Gänsehaut ist bereit. So verhuscht, so düster fließend beginnt „Plaat II“, dieses seltsam betitelte erste Album von Mynth. Das Zwillingspärchen Giovanna und Mario, die nach einigen vorangegangenen Bandprojekten beschlossen haben, sie möchten ganz in minimalistischer Downtempo-Attitüde doch lieber einfach zu zweit weiterarbeiten, waren schon seit ihrem ersten Video "Nightlight" vor etwas mehr als einem Jahr hochgelobtes Gesprächsthema. Ein erster wichtiger Schritt im Elektrodschungel, wo die Kombi Mann-Frau-Duo keinen Überraschungseffekt mehr birgt.
Kennenlernen
Zurück aber zum Hof machen: Auf Play gedrückt, der erste verstörende, bereits erwähnte Eröffnungsschrei ist verdaut. „Lola“ entwickelt sich in Archive-Manier zu einem Tränenauslöser, der den klopfenden Beat im Rücken und die fragile Stimme als Krone trägt. Kennenlernen go: Hölzerne Intonation, ja beinahe wie das Klopfen schon vergessener Percussion-Devices klingend leitet „Vain“ in trippelnd-hibbeligem Habitus über zu „Urge“. Das erste Mal – positiver – Overload.
Mario hat in einem Interview erzählt, dass er grundsätzlich eher der minimalistische Typ ist. Er geht beim Komponieren von einer Bassline, von einer einfachen Grundmelodie aus. Auch wenn man diese sonst nirgends hören wird – beim Designen der Stücke darf sogar mal Gitarre gezupft werden. „Urge“ jedenfalls pfeift dann aber auf Minimal. Man sitzt da in der Mitte vierer Klangvorhänge, die alle eine andere Richtung vorgeben. Wenn man das dann mal überwältigt ist und diesen Teil verdaut hat, wird auch noch gerappt. C-Black genießt sein Gastspiel.
Einwort-Titel
Nach der kurz beiseite geschobenen Reduktion holt uns „Nightlight“, die eh schon sehr bekannte Ohrwurmsingle, mit einem schwarzen Oldtimer-Zweisitzercabrio ab. Betörend-verrucht zischelt die Stimme um die Beats, die dröhnenden Synths. Das pocht, dröhnt, fordert. Wieder eher zurückhaltend zieht der Sog des Albums weiter, am liebsten Einwort-Titel: Woods, Turbid, Paradise. Kompositionen, die mit schweren Beats, mit sphärischen Soundflächen experimentieren. Immer getragen von starker Basslinie, von einer einhüllenden Schwere, das einzig Liebliche bleibt die Stimme. Doch auch die klingt spannenderweise – und zum Vorteil der Songs – so, wie die Gottesanbeterin arbeitet: Einmal bezirzt, in die Falle getappt.
Am Ende Morgensonne
Wir reden hier nicht von plätschernder, elektronischer Musik. Schließlich kommt das Dessert, es heißt „I’m Good“. Sag sie schon, die blöde Phrase: das Beste kommt zum Schluss. War das Album bisher von einer abgeschatteten, diffusen, nächtlichen Melancholie besessen, blinzelt hier die Morgensonne durch. Empathie, lustvoller Optimismus, die Temperatur um sechs Grad hinaufgeschraubt.
Mynth haben ein starkes, und trotz teils ausufernder Parts komplett dem Fingerspitzengefühl überlassenes Album geschrieben. Dem man die schlichte Grundstruktur trotz teils episch-großflächig angelegter Produktion heraushört. Es ist sehr gut. Und ja, Eroberung gelungen: Im Bett gelandet.
"Plaat II" erscheint hier erstmals offiziell im Stream. Das Album ist ab 5. Feber via Seayou Records im Handel und auf den bekannten Plattformen streambar.