Mit dem Begriff "Alibi-Moslems" hat Rapper Nazar ins Schwarze getroffen. In seinem neuen Box-Set ist außerdem ein Falco-Feature, ein überfälliger H.C. Strache-Diss und eine Nachricht an all die Heuchler da draußen versteckt. Auch im Interview macht er klar: Sich beugen, wozu?
Nazar hat so ziemlich alles erreicht. Respekt, Auszeichnungen und äh, auch ein The Gap-Cover. Sein neues Album wird jetzt noch größer. Major-Label, Plakatwände, Ö3, der ganze Wahnsinn. Von Wien aus ist er in den deutschen Charts mindestens so erfolgreich. Trotzdem bleibt er hier. Gut so, denn hier hat er eine Aufgabe zu erfüllen. Nazar ist ein Sprachrohr für, na ja, er würde wohl sagen, all die Kanaken hier. Er selbst kam in jungen Jahren als Kriegsflüchtling nach Wien, kombiniert seine Erfahrungen mit seinem Talent und reißt vor allem in Interviews die Klappe weiter auf als alle anderen.
Letztens sogar gegen "Alibi-Moslems" auf Facebook, was für ziemlichen Wirbel gesorgt hat, dazu mehr im Interview. Spätestens auch seit seinem Diss-Track "Rapbeef" gegen den Rechtspopulisten H.C. Strache sind die Fronten also klar. HipHop kann soziale Probleme aufmachen und den Zeigefinger stecken lassen, das ist heute natürlich sehr selten geworden. Nazars Stil balanciert dabei elegant zwischen Straße und Ballade. Mal aggressiv, mal nachdenklich, aber immer technisch versiert. Er teilte sich das Mic mit Chakuza, RAF, Sido und nun sogar Falco posthum. Sein Filmstudio Nazar Films produzierte Videos für Kollegah, Farid Bang, RAF und natürlich ihn selbst. Dafür gab’s 2013 den Amadeus Award. Und jetzt? Nummer 1, das fehlt noch.
Du wirkst eigentlich so, als wärst du schwer aus dem Konzept zu bringen. Welche Frage zum neuen Album hat das dennoch geschafft?
Ich bin leichter aus dem Konzept zu bringen als du denkst. Weil ich oft nicht dran denke, was ich auslösen kann. Es gab da dieses Interview bei allgood.de, das einen riesigen Shitstorm verursacht hat.
Darin hast du einige Rapper als "Alibi-Moslems" bezeichnet. Farid Bang hat ja auf Facebook zurückgeschossen. Er hat selbst bald ein Album draußen. Habt ihr telefoniert?
Nein. Ich habe ja keinen einzigen Namen erwähnt bei den Interviews. Mich daraufhin öffentlich zu beleidigen war also schon sehr dumm, weil es zeigt, dass er sich angesprochen fühlt. Es ist natürlich seine Berechtigung, das zu tun. Denn ich habe mir dieses Recht ja auch herausgenommen. Ich hab öfter mit ihm über Beef geredet. Seinen Sido-Diss hat er damals für das Video rausgenommen, weil ich gut mit Sido befreundet bin und das sonst nicht gemacht hätte. Er hat mich noch vor ein paar Tagen angerufen, ob ich nicht sein neues Video in Düsseldorf drehen möchte … Ich geh mal davon aus, daraus wird nichts mehr (lacht).
Du würdest das wieder so sagen oder doch anders?
Nein, genau so, weil es sonst verlogen wäre. Farid ist einer der größten Rapper in Deutschland und Meinungsmacher. Dass dann aber so extrem viele Leute mit ihren Kommentaren hinter mir gestanden sind, war nur möglich, weil es endlich mal gesagt werden musste.
Woher kommt es, dass so viele den "Alibi-Moslem" raushängen lassen? Hat das mit Israel-Gaza zu tun?
Kuck mal. Dieses Israel-Gaza-Thema ist eine Dauerschleifen-Scheiße, die alle fünf Jahre mal wieder passiert. Ich find’s krass, dass viele Rapper es gerade jetzt auf Facebook so extrem öffentlich machen. Ich wurde da angerufen, dass sie nicht mehr wissen, wie sie ihr Album promoten sollen. Ich kann aber doch nicht reinen Gewissens etwas pushen, wovon ich zu wenig Ahnung habe. Du bist ein krasser Heuchler, wenn du auf Facebook zum Moschee-Gang aufrufst, dann im nächsten Track wieder Mütter fickst und dann mit irgendwelchen Gewaltvideos aus Palästina den Hass schürst. Juden zu beleidigen ist immer das Einfachste der Welt gewesen.
Natürlich, wer bin ich, jemandem zu sagen: "Hör auf, über deinen Glauben zu posten"? Ich bin ja selber Moslem. Ich find es aber gefährlich, wenn du anfängst, über Themen wie Religion und Kriege zu sprechen, und dann vulgäre, Gewalt verherrlichende Musik machst. Und manche Rapper tun das eben, um bei Jugendlichen im Gespräch zu bleiben.
Oder dieses ZiB-Interview. Was für ein überkrasser Volltrottel war das eigentlich? Der hat dort kindischen Schwachsinn geredet, geht aus dem Studio und ich dachte mir nur, was für ein Opfer. Du kannst aber schon mal nicht ernsthaft als Türke über den Palästina-Konflikt reden, das ist ein anderes Land. Leute reden viel zu oft über Dinge, von denen sie keine Ahnung haben.
Die Textzeile "Blutrausch wie im Gaza" in "Freundlicher Diktator" hast du davor getextet?
Ja, davor. Du siehst dort einen Kanaken mit Schnauzer und Goldkette in einem Sinti-Dorf in der Nähe von Florenz. Du nimmst diese Vergleiche mit der Nato, Gaddafi, Hussein, um ein Bild zu erschaffen. Das verbinde ich mit Diktaturen, und natürlich nicht, dass ich ein Blutbad geil finde.
War "Snatch" von Guy Ritchie beim Video ein Vorbild? Und wen gibt’s da noch? Du meintest auch mal, dass eines deiner ganz großen Vorbilder "Antichrist" von Lars von Trier ist …
Ja, definitiv. Es ist unmöglich, mit dem Budget auch nur ansatzweise an "Snatch" ranzukommen. Aber Guy Ritchie, Lars von Trier, Christopher Nolan, Martin Scorsese, das sind so meine Väter. Ich liebe düstere Filme, ich kann bei einer Komödie nicht lachen, ich weiß nicht, warum.
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