Von ungeschriebenen Gesetzen und der ernüchternden Einsicht, vielleicht doch ein typischer Österreicher zu sein. Ein paar lustlose Gedanken zum Gesetzesbruch.
Regeln? – Gehören gebrochen. Die Freiheit? – Endlich unendlich. Grenzen? – Die existieren doch bloß im Kopf der armseligen Kreatur, die nicht an sich selbst und ihre Fähigkeiten glaubt, diese aus eigener Kraft hinter sich zu lassen. Gesetze? – Für Obrigkeitshörige, die zu feig sind, sich bei vollem Bewusstsein auf Ungewisses einzulassen. Wir Draufgänger! Was für ein wildes, lasterhaftes Leben!
Tatsächlich, glaube ich, breche ich kaum einmal Gesetze. Genau kann ich es nicht sagen, weil ich – wie die meisten – die wenigsten Gesetze wirklich kenne. Dennoch überrascht mich diese Einsicht. Gefühlsmäßig hätte ich gedacht, den Pfad des Gesetzes jeden Tag mehrmals um ein paar Handbreit zu verlassen. Doch beim gedanklichen Durchgehen eines durchschnittlichen Tages ist da wenig geblieben, das gegen geltendes Gesetz verstoßen könnte, seit ich vor Jahren das Kiffen eingestellt (verjährt!) und beschlossen habe, in eine U-Bahn-Jahreskarte zu investieren. Auch fad irgendwie. Wobei sich natürlich schon die Frage aufdrängt, warum man plötzlich vor sich selbst als fad und spießig dasteht, wenn man draufkommt, eher keine Gesetze zu brechen.
Alles Verbrecher!
Sind das Reste eines nicht oder nur halbherzig überwundenen Rock’n’Roll-Gehabes? Ist gar Hollywood schuld, weil es Gauner und Diebesgesindel mag und Cops nur dann cool ausschauen lässt, wenn sie sich brutal über (sinnlose) Regeln und (starre) Hierarchien hinwegsetzen? Immerhin: Zumindest als Einzelkämpfer gehe ich durch. Denn meine These, dass sich auch die Kollegen selbst – wie ich – unreflektiert als mittelgroße Verbrecher sehen, ist bei einer Blitzumfrage in sich zusammengebrochen. Maximal Kavaliersdelikte. Der eine telefoniert beim Autofahren ohne Freisprecheinrichtung, Frau Nebenerwerbs-DJ lässt sich ihre abendlichen Auftritte statt gegen Honorarnoten schon einmal in Naturalien auszahlen, sonst: Schwarzfahren, Downloaden, Partydrogen. Aber allesamt nichts Großartiges – und das immerhin bei einem Sample von vierzehn Befragten. Offensichtlich habe nur ich mich bislang als Gesetzesbrecher gesehen. Das muss, wie so vieles, seine Wurzeln in der Kindheit haben.
Noch als Jugendlicher war ich davon überzeugt, fast alles würde irgendwie wahrgenommen, aufgezeichnet und überwacht. Vielleicht war das die letzte Ahnung einer Gottespräsenz, vielleicht aber auch bloß zutiefst österreichisch, denn die Beamtenmentalität dieses Landes baute lange auf geschützten Räumen, geregelten Abläufen und falschen Sicherheiten. Beunruhigt hat mich das nicht. Es war ein langer Prozess, der mir das ultimative Big Brother Watching Me-Bewusstsein ausgetrieben hat: Lesen, Kultur und die Beschäftigung mit Wirtschaft haben zur Erkenntnis beigetragen, dass es okay ist, Dinge einfach zu tun, zu unternehmen, auszuprobieren. Dass nichts gottgegeben ist und Gesetze abänderbar und Auslegungssache sind und dazu da, dem Menschen zu dienen (siehe der Wortwechsel zum Thema).
Heute, wo ich weiß, dass tatsächlich fast alles irgendwie wahrgenommen (auf Kameras), aufgezeichnet (auf Servern) und registriert (in sozialen Netzwerken) wird, macht mir das manchmal Angst. Weil unser Leben dadurch zwar bequemer und einfacher wird. Es dabei letztlich aber kaum einmal um uns als Bürger geht, sondern stets um mich als Nutzer und Konsument. Ich werde vereinzelt verwertet.
Meine kriminelle Energie mehrt das auch nicht, lediglich die Lust, das eine oder andere „Service“ vielleicht auszutricksen. Wobei das Wissen, dass dies letztlich dazu beitragen wird, dieses Service zu verbessern, die Lust gleich wieder ein wenig mindert. Wegklicken, ja. Ausklinken, nein. Wäre wohl auch sinnlos.
Was also bleibt von der Einsicht, doch kein geborener Gesetzesbrecher zu sein? Hm.
Wieder mal eine Lebenslüge beseitigt. Auch nicht nix.