Parteien entern

Die Geschichte des Umgangs der Politik mit IT ist in Österreich eine Geschichte voll des Missverstehens und der Versäumnisse. Piratenpartei braucht es dennoch keine. Viel wichtiger: ein offenes Bekenntnis zur Technologie.

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Man würde diesem Mann zwar keinen gebrauchten Gendarmerie-Golf abkaufen. Aber eines kann man Ernst Strasser keinesfalls vorwerfen: dass er nicht technologisch interessiert und auch selbst aktiver Eigennutzer gewesen wäre. Als ehemaliger Innenminister verantwortet er nicht nur die (hinterfragenswürdige) Vergabe des Blaulichtfunks. Als Regierungsmitglied war er berüchtigt für seinen eifrigen E-Mail-Verkehr zugunsten von Parteifreunden – und das zu einer Zeit, als sich sein Kanzler Schüssel noch auf kollektivem Kollisionskurs mit der „Internet-Generation“ glaubte. Auch war Ernst Strasser bekannt für seinen Notebook-Verschleiß. So manche davon soll der Gadget-Liebhaber, in Rage geraten, auf ihre aerodynamischen Eigenschaften hin geprüft haben. Ein richtiger Heavy User halt, mit dem Hang zum ultimativen mobilen Endgerät.

Skandalös ist aber nicht nur, dass der moralisch defekte Spitzenpolitiker immer noch Mitglied einer christlich-sozialen Volkspartei ist. Wir erinnern uns: Der Kerl war unverschämt und gleichzeitig dämlich genug, sich als EU-Abgeordneter von britischen Undercover-Journalisten als käuflicher „Lobbyist“ in eigener Sache zu produzieren und dabei aufzeichnen zu lassen. Skandalös ist auch – und da trifft Strasser selbst keinerlei Schuld – dass er bis dato immer noch der einzige Spitzenpolitiker ist, der sich hierzulande öffentlich als Technologienutzer gezeigt hat.

Ein Blackberry, ein, zwei Handys tragen sie mittlerweile fast alle mit sich herum und auch Stefan Petzner kann offensichtlich mehr als bloß sein Solarium einschalten. Zumindest twittern. Aber ein ernstzunehmender Spitzenpolitiker mit demonstrativer technologischer Alltagsnutzung und glaubhaftem Verständnis für Netzpolitik ist weit und breit keiner in Sicht.

Dabei wäre diese Rolle nicht nur frei, sondern auch eine dankbare. Nämlich dann, wenn diese nicht von Parteimitarbeitern oder Praktikanten gefüllt wird, sondern Entscheidungsprozesse transparent, nachvollziehbar und kommentierbar macht.

Natürlich gibt es auf regionaler Ebene, vor allem bei den Grünen, seit Langem ein paar brave Anwender (Christoph Chorherr etwa), engagierte und besorgte Datenschützer. Doch mindestens so groß ist in ihren Reihen die Zahl derer, die sich vor Handymasten fürchten und am liebsten gleich auch auf den Festnetzanschluss verzichten würden. Eines der unrühmlichen Kapitel in der jüngeren Geschichte der Grünen ist nicht zufällig das Versagen bei den öffentlichen Vorwahlen im Vorfeld der Landtagswahlen in Wien 2010. Darin manifestiert: die Unfähigkeit mit Öffnung und Partizipation 2.0 umzugehen. Doch mit Klaus Werner-Lobo hat ihnen selbige immerhin einen Aktivisten mit nennenswerter Netzpräsenz beschert, der zu genannte Themen zumindest eine Meinung hat.

Gekaufte Wahrheit vs. Transparenz

Nichtsdestotrotz: Wie sollen solche Parteien kompetent auf globale Entwicklungen und Notwendigkeiten wie Open Data und Government, Transparenz und Überwachung reagieren oder sich glaubhaft in Sachen Digital Literacy engagieren können, wenn es sich bei ihren Mitgliedern mehrheitlich um digitale Analphabeten handelt? Wenn sich ein Bundeskanzler offensichtlich davor fürchtet, den Kommunikationskanal Twitter zu öffnen und sich lieber auf die gekaufte Wahrheit geschönter Selbstdarstellung in Boulevardblättern verlässt?

Nicht wenige unter den digitalen Vordenkern meinen deshalb, es müsse – wie in Deutschland – dringend eine Piratenpartei her. Doch sie übersehen dabei, dass diese Partei auch in Österreich längst existiert. Dass es dieser aber nicht nur an Schlagkraft, sondern auch an Wähler- und Mobilisierungsbasis fehlt. Bislang beschränkt sich der Erfolg der Piraten nämlich auch in Deutschland auf Berlin – eine Stadt mit dreieinhalb Millionen Einwohnern. Ohne urbane Ballungsräume aber, und die sind in Österreich bekanntlich überschaubar, scheint eine digitale Bewusstseinsbildungsbewegung chancenlos.

Weitaus vielversprechender könnte es da sein, die Grünen ihren Statuten als partizipative Bürgerbewegung gemäß als Open-Source-Baukasten zu nutzen. Die Strukturen sind da, sie ließen sich für brennende Themen instrumentalisieren. In einem „friendly takeover“ wäre es möglich, die Partei noch stärker für Transparenz und Datenpolitik zu öffnen. Und irgendwann, das haben die Umweltthemen gezeigt, werden sich dann auch schwarze Minister und rote Stadträtinnen bemühen als „grün“ durchzugehen. Denn er ist dringend fällig: der rasche Marsch einer Idee durch die – parteiübergreifenden – Institutionen.

Thomas Weber, Herausgeber

weber@thegap.at

Twitter: @th_weber

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