Auf Instagram blüht das Biedermeier auf. Millennials und Junggebliebene, die sich pandemiebedingt in die eigenen vier Wände zurückziehen, lassen exotische Zimmerpflanzen trenden. Doch kann ein solcher Hype in Grün nachhaltig sein?
In saftigem Grün wächst eine beeindruckende Monstera – umspielt von den spitzen Zweigen einer Sukkulente – aus dem linken unteren Bildrand hinauf Richtung Fenster. Auf halbem Weg treffen ihre Blätter die letzten Auswüchse einer Efeutute, die sich vom Fensterbrett herab die Wand entlang ausbreitet. Unter ihren dünnen, verworrenen Zweigen: ein junger Mann, dessen nackter Oberkörper aus einer perlmuttfarbenen, altmodischen Badewanne lugt, den Blick verträumt zum Fenster gerichtet. Sein Abbild ist eine Reflexion und in einem goldumrahmten Spiegel zu sehen, der dem Raum – kokett gegen die weiß geflieste Wand gelehnt – in diesem grünen Meer aus Zimmerpflanzen Tiefe verleiht. Eine Seerobbe, deren Kupferoberfläche von der Oxidation grün gefärbt ist, thront über diesem geschickt in Szene gesetzten Bild, das der Mann auf Instagram unter anderem mit #zimmerpflanzenliebe, #urbanjunglebloggers, #plantparenthood, #crazyplantpeople und #viennaplantgang gehashtagt hat.
Kein einziger Fleck wäre in seiner alten Wohnung ohne Zimmerpflanze gewesen, verkündet der stolze Pflanzenpapa in Kommentar. 192 Nutzer*innen finden Gefallen daran. Die nüchterne Inszenierung, die Freude an einfachen Dingen wie Natur und Pflanzen – es schwingt ein wenig Konservatismus in diesem Bild mit. Es ist nur eines von vielen seiner Art. Zimmerpflanzen haben Social Media erobert. Ihr Botschafter*innen: Millennials, die sich von den schnelllebigen Reizen der Außenwelt nicht beirren lassen und ihre persönliche Erfüllung in den eigenen vier Wänden suchen. Als das Biedermeier einer jungen Generation wurde dieses Phänomen schon bezeichnet. Und ja, die Inszenierung des Selbst im eigenen grünen Heim hat eine Tradition, die bis in die Zeiten Metternichs zurückreicht. Doch Pflanzen hatten schon damals viel mehr zu bieten als das.
Wer sich vor 200 Jahren zu geheimen Schäferstündchen verabreden wollte, hatte idealerweise Zugang zu einem Gewächshaus voller exotischer Pflanzen. In Zeiten des Biedermeiers, so Gartenbauexperte Johannes Balas von der Universität für Bodenkultur in Wien, ein perfekter Rückzugsort: »In diesen Gewächshäusern und Wintergärten gab es Zonen, wo man relativ ungestört ohne Zuhörer miteinander reden und verhandeln oder mit den Damen und Herren erotische Treffen vereinbaren konnte.« Zierpflanzen erfüllten somit schon früh eine gesellschaftliche Funktion.
Entscheidend für deren Verbreitung in Wien war ironischerweise ein guter Freund Fürst Metternichs, namens Carl Alexander Anselm Freiherr von Hügel. Von Hügel unternahm zahlreiche Forschungsreisen an Orte wie Neuseeland, Australien oder Tasmanien. Zurück in Wien zog er viele der von dort mitgebrachten pflanzlichen Exoten und verkaufte sie an adelige Familien. Diese Statussymbole aufmerksamkeitsgerecht vor Gästen zu präsentieren, fiel zumeist der Dame des Hauses zu.
Ein Hype wie die anderen
Für moderne Pflanzenbesitzer*innen hat sich die öffentlichkeitswirksame Präsentation in die digitalen Sphären verlagert. Der Hype um Zimmerpflanzen ist längst in Österreich angekommen. Damit fügen sich diese nahtlos in eine Reihe ein mit Veganismus, I-Phone, Yoga, Fidget Spinner oder Superfoods. Alle Hypes haben einen gemeinsamen Nenner, sie sind ein ständiger Zustand der Erwartung, der sich aus der konstanten Präsenz und Bewerbung eines Objekts entwickelt. Wenn die Realität von den Erwartungen abweicht und das Hypethema daher in eine Imagekrise stürzt, erlischt letztendlich das Interesse daran.
Die Schnelllebigkeit eines Hypes wird von der digitalisierten Welt zunehmend befeuert. »Ein einzelner Mensch agiert wie ein Massenmedium, das Millionen von Menschen erreichen kann«, so der Kommunikationswissenschaftler Tobias Dienlin. Nachrichten werden gelikt, Botschaften verbreiten sich wie ein Lauffeuer. So weit, so typisch für Social Media.
Doch das erklärt noch nicht, warum sich ein bestimmtes Thema zum Hype entwickelt. Warum springen Millennials so auf das neue Biedermeier an und decken sich bis unter die Zierleiste der Altbau-WG mit Pflanzen ein? Die österreichische Plantfluencerin Iwona Laub, die auf Instagram rund 1.600 Abonnent*innen zählt, sieht da keinen Zufall: »Das ist die Generation, die sich mehr mit Umweltschutz auseinandersetzt.« Es herrsche das Gefühl vor, in dieser Welt überhaupt keinen Einfluss mehr zu haben. Sich um Pflanzen zu kümmern, sei eines der wenigen Dinge, die man noch selbst beeinflussen könne.
Diesen Zugang vertritt auch das Ehepaar Miriam und Christian Cervantes, deren Pflanzengeschäft, Coffeeshop und Galerie namens Calienna ist im siebten Wiener Gemeindebezirk zu finden. Die beiden wollen damit Bewusstsein und Aufmerksamkeit für die Natur schaffen und die Liebe zu Pflanzen fördern. »Wir leben in Betondschungeln, sind den ganzen Tag online«, erklärt Christian Cervantes. Dieses konstante Bombardement mit Bildern und Informationen sei für viele schlicht nicht mehr zu bewältigen. »Die Leute sind nervös und depressiv. Sie versuchen wieder dort anzuschließen, wo sie herkommen: bei der Natur.«
#viennaplantgang
Die Flüchtigkeit der digitalen Gesellschaft und das Aufpolieren der eigenen Lebensrealität für die Massenvermarktung sind es jedoch, was die Zimmerpflanzenfans überhaupt erst in die Szene hineinzieht. Die Community hat im World Wide Web ihren eigenen sozialen Raum aufgebaut, kommuniziert in Foren, in Facebook-Gruppen und privat. #viennaplantgang lautet der Hashtag, unter dem sich die Wiener Szene auf Instagram tummelt. Hier sieht man mehr oder weniger junge Leute, die stilvoll ihre Sammlung vor der Kamera aufgefädelt haben oder riesige Monstera-Blätter mit gefleckten weißen Blattzeichnungen inszenieren.
Mutationen sowie große Blätter und besondere Blattzeichnungen sind jene Marker, auf die Neo-Pflanzenfans in der Anschaffung besonders achten. Doch diese speziellen Wünsche kommen mit ihren eigenen Herausforderungen. Nicht nur sind diese sogenannten Variegata-Pflanzen um ein Vielfaches teurer in der Anschaffung als die grüne Standardversion. Das fehlende Chlorophyll in den weißen Blättern lässt sie auch schneller absterben.
Seltene Arten findet man auch meistens nicht in Pflanzenläden, sondern die Community tauscht und verkauft im Internet. So kostet der Steckling einer regulären Monstera auf willhaben.at zwischen 10 und 20 Euro, eine Monstera deliciosa variegata liegt bereits bei 65 bis 75 Euro pro Steckling. Zum Vergleich: Eine zwölf Jahre alte grüne Monstera bei Calienna kostet 109,90 Euro. Das sei aber noch gar nichts, meint Iwona Laub: »Vor eineinhalb Jahren war ein Philodendron Pink Princess auf E-Bay um 1.000 Dollar zu haben.«
Andrea Mühlwisch, die seit 2013 im fünften Wiener Gemeindebezirk ihre Flower Company betreibt, kann mit dem Online-Handel auch nicht viel anfangen: »Da gibt’s ausgefallene Sorten, die bei Thailändern oder Indonesiern gehandelt werden, wo der Import nur mit großem Aufwand legal möglich ist.« Viele ließen sich diese Stecklinge illegal zuschicken, wobei deren Qualität dann meist recht schlecht sei.
Gratifikation auf Insta
Sie selbst merke zwar manchmal eine schubweise Nachfrage nach bestimmten Pflanzenarten, lasse sich aber von solchen Hypes nicht in ihrem Angebot beeinflussen. Noch viel bedenklicher sei es ihrer Einschätzung nach aber, dass inzwischen auch die Preise für klassische Zimmerpflanzen steigen würden, da diese vergriffen seien. Auch Miriam Cervantes von Calienna hält sehr wenig von solchen Trends. Sie wolle vor allem Respekt und Bewusstsein für die Natur vermitteln, Nachhaltigkeit. Menschen, die solchen exotischen Stecklingen nachjagen, würden auch schnell zum nächsten Trend wechseln.
Warum bezahlt man – selbst als Influencer*in – solch exorbitant hohe Preise? Wegen der Abwechslung, meint Iwona Laub. Die Großmärkte hätten immer die gleichen Klassiker, hier habe sich seit Jahrzehnten nichts verändert. Unikate bauen auf dem Zwang der medialen Selbstdarstellung auf. Neue, immer exotischere Pflanzen bedeuten mehr Likes, mehr Likes signalisieren höhere Relevanz.
Dieses Bedürfnis nach Anerkennung ist nichts Neues. »Der Mensch hatte schon immer Interesse daran, sich positiv darzustellen. Der Unterschied ist, dass man das jetzt über Likes messbar machen kann«, erklärt Kommunikationswissenschaftler Tobias Dienlin. Auf Social Media kuratieren wir unser Leben, können uns mit anderen vergleichen und ein Idealbild von uns erschaffen. Doch gelegentlich scheitern wir im realen Leben an diesem Idealbild. Es entsteht der Stress, sich ständig selbst zu inszenieren.
Laub hat während der Covid-19-Pandemie aufgehört zu instagramen. Durch das Schließen der Pflanzengeschäfte habe sie nichts Neues mehr zum Herzeigen gehabt. »Irgendwann hat man dann das Gefühl, man schuldet jemandem was. Das war irgendwie demotivierend.« Instagram würde sie deswegen aber nicht per se negativ sehen. Es sei auch schön, Erfolgserlebnisse dort mit einer Community von Gleichgesinnten zu teilen.
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