Grüner Lebensstil oder Ökolüge? – Eine Betrachtung des Hypes um Zimmerpflanzen

Auf Instagram blüht das Biedermeier auf. Millennials und Junggebliebene, die sich pandemiebedingt in die eigenen vier Wände zurückziehen, lassen exotische Zimmerpflanzen trenden. Doch kann ein solcher Hype in Grün nachhaltig sein?

Von klassischen Läden hat sich der Markt jedenfalls etwas entkoppelt. Pop-up-Stores wie Bergamotte, der im letzten pandemie­freien Frühling immerhin rund 1.500 Kund*innen mit ihrer Auswahl von mehr als 3.000 Pflanzen in der Wiener Piaristen­gasse begeistern konnte, entwickeln sich zu Hotspots der Community. Im selben Jahr, also 2019, organisierte Iwona Laub mit zwei Kolleginnen auch zum ersten Mal das Plantfest Vienna, bei dem Besucher*innen zudem auch an Workshops teilnehmen und sich mit eingeladenen Florist*innen aus­tauschen konnten.

Spuren in der Umwelt

Abseits von Klicks und Likes hinterlässt der Zimmerpflanzenhype – wenig überraschend – auch in der Umwelt seine Spuren. Wie viele andere Bereiche des Lebens ist das Geschäft mit der Zimmerbegrünung schon seit Jahren Teil einer Massenproduktion. »Traditionelle Gärtner*innen findet man heute nur mehr sehr wenige«, erklärt Gartenbauexperte Johannes Balas mit Bedauern. Vielmehr würden in großen Industriegewächshäusern bis zu hunderttausend Pflanzen mit Hilfe von digitalen Geräten und Robotik gezüchtet. »Da muss man sich keine Illusion von einer grünen Schürze machen.«

Mitunter durchläuft ein und dieselbe Pflanze Produktionsschritte in verschiedenen Ländern. Beispielsweise wird die Mutterpflanze in Deutschland kultiviert, dann zur Vermehrung in die Schwellenländer gebracht, nur um danach wieder nach Europa eingeführt zu werden. Hauptdrehkreuz im europäischen Handel sind dabei die Niederlande.

Doch es wäre zu kurz gegriffen, allein die weiten Wege als Merkmal einer nicht nachhaltigen Produktion zu nennen. »Regionalität ist bei Zierpflanzen kein Positivargument«, erklärt Balas. Durch das Züchten in warmen Ländern und die Einfuhr per Schiff wird in großem Umfang bei Energie und Heizkosten für Glashäuser gespart. Warum dann aber nicht einfach lokale Pflanzen daheim aufstellen? »Die kauft keiner.« Das Exotische mache die Attraktivität der Zierpflanze aus. Die Sehnsucht danach einen wesentlichen Teil der Problematik.

Unter den Sammelbegriff Sukkulenten (»sucus« ist das lateinische Wort für »Saft«) fallen eine Vielzahl verschiedener saftreicher Pflanzen, die an besondere, oft heiße und wasserarme Klima- und Bodenverhältnisse angepasst sind. Insbesondere, aber bei Weitem nicht nur, Kakteen. — Illustration: Nina Ober

Jene Pflanzen, die außerhalb Europas produziert werden, sind zudem nicht immer zu erkennen. Fast alle Anläufe für Qualitäts- und Ökosiegel sind ruhend gestellt. Der Grund? Die damit verbundenen Kosten. »Nur ein Produkt hat ausreichende Präsenz am Markt, um diese zu rechtfertigen: Schnitt­rosen«, so Balas. Eine zaghafte Klassifizierung lasse aber zumindest das EU-Bio-Siegel zu.

Andere Initiativen wie etwa der EU-Pflanzenpass würden zwar auf Nachhaltigkeit fokussieren, hätten aber ihre eigenen toten Winkel, wie Katja Batakovic von Natur im Garten, einer niederösterreichischen Bewegung für die Ökologisierung von Gärten und Grünräumen, erklärt. Prinzipiell zeichne dieser Pass »die Herkunft der Pflanze aus, dass hier keine Schädlinge zu finden sind und dass sie gesund ist«. Das werde auch streng kontrolliert. Was der Pflanzenpass jedoch nicht verrate, seien die Arbeitsbedingungen für die Angestellten im Massenbetrieb. Das steht – wie so oft – auf einem anderen Blatt.

Aufruf zum Dialog

»Die Industrie ist mangelhaft«, gibt auch Miriam Cervantes zu. Bei ihr und ihrem Mann stehen aus Prinzip nur Pflanzen mit Bio-Siegel zum Verkauf. Aber »vieles ist in Plastik verpackt, die Lastwagen müssen extra aus den Niederlanden anreisen«. Zum Glück, ergänzt sie, gäbe es bereits einen Diskurs zu diesen Problemen. Auch Bergamotte-Presse­sprecherin Lara Maria Gräfen verweist für ihr Unternehmen auf eine nachhaltige Produktion innerhalb Europas. Die meisten Pflanzen kommen aus den Niederlanden, alle Züchter*innen würden zudem über das MPS-Label für nachhaltige Produktion verfügen und weitgehend auf Pestizide verzichten.

Der Wunsch nach besseren Bedingungen ist ein positives Zeichen. Doch nicht nur die Umwelt, auch die Pflanzenethik stellt Pflanzenliebhaber*innen immer wieder vor Herausforderungen. Der Ursprung des Problems: falsche Erwartungen. »Manche machen den Fehler, dass sie das Zimmer mit Möbeln vollstellen, dann schauen sie sich um, und im hintersten Eck ist ein Loch, da soll dann eine Pflanze hin«, so Andrea Mühlwisch von der Flower Company. Im Finsteren könne eine Pflanze aber nicht gedeihen. »Dann muss man halt wieder auf Biologie-Unterstufen­niveau runtergehen und erklären: ohne Licht keine Fotosynthese, ohne Fotosynthese kein Überleben.«

Weitere Probleme sind die vielen fehlerhaften Online-Pflanzentipps von selbsternannten Expert*innen oder der Verkauf von unverwurzelten Stecklingen. Die Leute, die diese mangels besseren Wissens kaufen, würden infolge an ihrem Können zweifeln, obwohl bei solcher Ware wahrscheinlich nicht einmal Profis eine Chance hätten.

Die Forellenbegonie, auch als Polka-Dot-Begonie bekannt, besticht mit auffällig gepunkteten Blättern. Die strauchig wachsende Pflanze hat ihren Ursprung in den Urwäldern Brasiliens und mag es gerne warm und hell, aber ohne direkte Sonneneinstrahlung. — Illustration: Nina Ober

Die verstärkte Nähe zu Zierpflanzen hat natürlich auch ihre positiven Seiten. Schon wenige Pflanzen im Raum können, wie Studien zeigen, für Entspannung sorgen, die Puls­frequenz sowie den Blutdruck senken und die Menschen resilienter machen. Zimmer­pflanzen werden auch bei Therapien eingesetzt. Für Miriam und Christian Cervantes ist es ein entschleunigter, bewusster Lebensstil, weshalb sie ihre Pflanzenliebe auf andere überspringen lassen wollen. »Du hilfst ihnen auf einer Reise«, so das Paar. Bei der Auswahl der richtigen Pflanze dabei zu sein, sei ein mächtiger und wichtiger Schritt.

Eine Form von Genugtuung

»Pflanzen sind kleine Erfolgserlebnisse«, findet Iwona Laub. Wenn man sehe, wie sie neue Blätter bekommen und dass es ihnen gut geht, sei das eine Form von Genugtuung. Das Hobby der Zimmerpflanzen­sammelei sei einfach nichts, was nur durch Likes am Laufen gehalten werden kann. »Man muss schon Lebenszeit investieren in diese Dinge.«

Was bleibt also vom Pflanzenhype? Letztendlich liegt es in seiner Natur, dass er ähnlich schnell ableben dürfte, wie er aufgeflammt ist. Trends wechseln in unserer kurzlebigen Zeit nicht nur schneller, sondern dauern auch weniger lang. Das hänge mit der Aufmerksamkeits­ökonomie zusammen, erklärt die Kommunikations­wissenschaftlerin Gerit Götzenbrücker: »Diese Selbstentfaltungs­angebote haben hohe Umschlagzeiten. Das heißt, das Eintritts­­investment wird nur kurz vergütet und dann schnell entwertet.«

Menschen wie das Ehepaar Cervantes haben Pflanzen aus Überzeugung zu einem Teil ihres Lebensentwurfs gemacht. Andere wollen es einfach nur mal ausprobieren. Eine logische Schlussfolgerung dieser Zuneigung wäre jedenfalls, die Pflanze von der Positionierung als Massenprodukt zu befreien. »Eine Pflanze ist ein Lebewesen«, betont Gartenbauexperte Johannes Balas. »Wenn ich ein Lebewesen achte, dann schaue ich, dass es ihm zumindest einigermaßen gut geht.«

Aufgrund von Corona sind weitere Pläne für das Plantfest Vienna und das Bergamotte-Pop-up vorerst auf Eis gelegt. Wer sich eine Topfpflanze zulegen will oder für die Zucht daheim tiefergehende Tipps braucht, kann bei Miriam und Christian Cervantes von Calienna oder Andrea Mühlwisch von der Flower Company vorbeischauen. Für Garten­­lieb­haber bietet Natur im Garten Beratung und Vorträge.

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