Pillen x Installationen

Ein Bildband öffnet einem die im Berghain oft von Alkohol und sonstigen Mitteln getrübte Augen. Nämlich für die Kunst, die es dort zu sehen gibt und gab.

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Was sich der Großteil der Menschen hinter dem alten Gemäuer der ehemaligen Heizkraftwerkes, das das Berghain einmal war, erwartet hat vor allem mit Techno, Drogen, Sex und endlos langen Schlangen am Eingang zu dieser Fortgeh-Hochburg zu tun. Mittlerweile ist das Berghain via Claire Danes und Ellen DeGeneres sogar im US-Hauptabendprogramm angekommen. Natürlich sagen Berliner schon längst, das Berghain ist Touristen-verseucht und voll over. Lustig verstrahlte Menschen trifft man in der Gegend trotzdem noch zu Genüge. Ein bisschen überrascht es vielleicht aber doch, dass sich im Berghain auch so einige Exponate der schönen Künste verbergen. Denen widmet sich der Band "Berghain. Kunst im Klub" auf 200 ziemlich bildstarken Seiten.

Rave im Museum

Dass sich im Berghain Kunst und Fortgeh-Kultur miteinander verbinden, kriegt man, wenn man sich ein bisschen für die Stories rund um diesen geschichtsträchtigen Laden interessiert, auch schon an der Tür mit. Einer der wohl berühmtesten Berghain-Türsteher ist nämlich Sven Marquardt, der wenn er mal nicht an der Tür des Berhain steht, sein tätowiertes Gesicht hinter der Kamera versteckt, und wirklich gute Fotos macht.

Der Künstler Wolfgang Tillmans, dessen riesenhafte Arschloch- und Vagina-Fotos – nackte Weiblichkeit mit gespreizten Beinen in einem homosexuell gefärbten Club, das geht auch nur hier – in der Panoramabar des Berghain hingen, hat schon öfters probiert auf die künsterlisch-existentielle Bedeutung dieses Party- und Pillenparadieses aufmerksam zu machen – im Berghain feiert man nicht, man geht aus, sagt er. Man geht auch in sich rein und schaut was da drinnen so abgeht – setzt sich mit sich selbst auseinander. Das scheint einer der Gründe zu sein, wieso so viele Künstler hier vorbeischauen. Und sich dann von dem was sie hier erlebt haben, inspirieren lassen.

"Für mich hat das Ausgehen in Clubs mit dieser Mischung aus Licht. Musik, Begehren, sozialer Interaktion und Tanz immer viele Dinge berührt, die mich auch sonst als ein über das Leben nachdenkender Mensch und Künster bewegen", sagt Tillmans und legt so die Vermengung von Kunst und Ausgehen – Kunst und Leben – offen. Weil Teil des Berliner Lebens ist das Berghain auf jeden Fall, und Teil der Berliner Kunstszene auch. Das wird einem auch sehr schnell klar, wenn man "Berghain. Kunst im Klub" durchblättert. Installationen und Bilder von Künstlern wie Tillmans, Norbert Bisky und Marc Brandenburg finden sich in dem großformatigen Bildband, aber auch Interviews mit den Künstlern und ein Essay von Thomas Meinecke über die Erfindung der Nachteulen. Das macht eine ziemlich gelungene und ausgewogene Mischung aus Bildmaterial und textlichen Einblicken in die Geschichte einer legendären Fortgehstätte.

Im Kunstrausch

Läuft man mit von Alkohol und bunten Pillen verklärten Blick durchs Berghain und einem Schutzmantel aus wummerendem Techno, kann es sein, dass einem die Kunst, die dort hängt und installiert ist, gar nicht so auffällt. Dewegen ist es gut, dass es so ein Buch wie diesen Bildband gibt, der das festhält, weil Bücher auch heute immer noch eine wichtige Archivfunktion haben. Wer seit 2004 die alten Gemäuer des Heizkraftwerks visuell mitgestaltet hat, der ist Teil dieses Buchs – egal, ob es sich da um eine Ausstellung der Berghain-Mitarbeiter oder bekannter Fotografen handelt. Und auch wenn manche vielleicht behaupten, dass das Berghain selbst so sehr Kunst ist, dass jeglicher künstlerischer Aufsatz in der Atmosphäre des Clubs verschwimmt, ist es gut, dass es sie gibt und man sie in genau diesem Buch archiviert hat.

Der Bildband "Berghain. Kunst im Klub" ist bei Hatje Kantz erschienen. Bestellen kann man ihn hier.

Zum 10. Geburtstag ist auch schon ein Bildband mit Kunst aus dem Berghain erschienen – nachzulesen hier.

Bild(er) © 1: Sven Marquardt, Marc Brandenburg, Sarah Schönfeld 2: Marc Brandenburg 3: Friederike von Rauch 4: Norbert Bisky 5: telegraph.co.uk 6: cover
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