Halbechte Schnauzbärte, schreiend buntes Make-Up und verstörende Horrormärchen-Posen – CocoRosie verrieten letztens in Wien einer sehr angetanen Nicole Schöndorfer viel über persönliche Eigenheiten, über Mädchen gegen Gott und Kindheitsthemen auf ihrem jüngsten Album.
CocoRosie sind und waren immer schon ein unverwechselbares Duo. Eines, das in der schillernden Welt des Indie-Pop auch nach intensivem Studium kein zweites Mal auszumachen wäre. Seit 2004 haben Bianca und Sierra lässig vier Alben voller knackender Traumwelten, überirdischer Symbolik und für unsereins eher wenig nachvollziehbarer, ästhetischer Logik in die alltägliche Fadesse der Genre-Reiterei gezaubert. Dass die beiden Weirdo-Schwestern Bianca und Sierra Casady aka CocoRosie nicht ganz alle Tassen im Schrank haben, war eigentlich eh seit der ersten Lo-Fi-Platte 2004 allseits bekannt. Auch das am 27. Mai auf City Slang erscheinende neue Werk „Tales Of A Grass Widow“ wird dieser Tradition zweifellos in hochbedeutsamer Art und Weise nachfolgen.
Bei dem nach „The Adventures Of Ghosthorse And Stillborn“ (2007) erneut von Islands Producer-Koryphäe Valgeir Sigurdsson produziertem fünften Meisterstreich mitgewirkt haben dieses Mal beispielsweise die indische Band Rajasthan Roots („Broken Chariot“), welche die Schwestern letztes Jahr auf ihrer gesamten Tour begleitet haben, der schon richtig zur Familie gehörende französische Beatboxer Tez sowie ihr langjähriger und guter Freund Antony & The Johnsons‘ Antony Hegarty („Tearz For Animals“), der schon beim ersten Album „La Maison De Mon Rêve“ beim schmerzlichen „Beautiful Boyz“ einen großen und auch großartigen Gesangspart übernehmen durfte. Nachdem Sierra und ihn unter anderem die Ausbildung zum Operngesang verbindet, kommt dieser nämlich bei den Mädels von Zeit zu Zeit auf ein Kännchen Tee in New York vorbei.
All dies klingt zugegebenermaßen nach ganz viel intellektuellem Kunstszene-Geschwafel und ein bisschen auch nach Angeberei. Dem ist aber eben nicht so. Die Casady-Schwestern hören nämlich weder Musik, noch lesen sie Bücher oder gehen ins Theater. Dass sie bekanntlich trotzdem ziemlich souverän musizieren, schreiben und seit kurzem auch die Bühnen bespielen und betanzen, ist daher herrlich paradox. Und auch so ein CocoRosie’sches Ausnahmeding.
Eure Albumtitel sind nie selbsterklärend, aber immer malerisch und schön. Wie kommt ihr darauf?
Sierra: Das ist einfach. Wir wissen es nicht. Sie finden sich im finalen Fertigungsprozess ganz von selbst. „Noah’s Ark“ war anfangs beispielsweise auch seltsam, aber irgendwann gewöhnt man sich selbst an die schrägsten Ideen.
Versteht mich nicht falsch, aber ihr habt als CocoRosie ein etwas skurriles und eigenartiges Image. Versucht ihr aktiv, dieses Image aufrechtzuerhalten?
Sierra: Wir nehmen nicht daran teil, wie wir ankommen. Das passiert ganz getrennt von dem, wie wir arbeiten und wie wir sind. Wir sind wahrscheinlich zu beschäftigt, um uns damit auseinanderzusetzen, wie uns das Publikum empfindet. Wir streben eher nach der Verpflichtung, die wir uns selbst auferlegt haben, bei der es darum geht, herauszufinden, wer wir sind und somit einen Raum frei von Urteilen und Vorurteilen zu schaffen. Dabei finden wir heraus, welche Geschichten erzählt werden und welche Charaktere ergründet werden müssen. Das ist unsere Verpflichtung und unser Lebensstil.
Ein Merkmal, welches CocoRosie ebenfalls besonders auszeichnet, ist diese scheinbar kindliche Naivität, gepaart mit einer sehr poetischen und üppigen Symbolik. Dadurch habt ihr euch ein kleines Monopol geschaffen. Seid ihr euch dessen bewusst?
Bianca: Das ist eine schöne Aussage.
Sierra: Interessant, dass du das erwähnst. Kindheit ist ein großes Thema für uns – besonders bei dieser Platte haben wir uns viel damit beschäftigt. Wir haben sogar versucht, unsere eigene Kindheit retrospektiv zu erkunden und uns mit unserem inneren Kind zu unterhalten. Wir haben angefangen, das, was wir als Kinder erlebt haben, jetzt mithilfe unserer Musik zu verarbeiten.
Bianca: Es gibt einige Geschichten zum Thema Kindheit auf der Platte. Auch Kindesmissbrauch wird angesprochen.