Halbechte Schnauzbärte, schreiend buntes Make-Up und verstörende Horrormärchen-Posen – CocoRosie verrieten letztens in Wien einer sehr angetanen Nicole Schöndorfer viel über persönliche Eigenheiten, über Mädchen gegen Gott und Kindheitsthemen auf ihrem jüngsten Album.
Behandelt der Song „Broken Chariot“ eure Kindheit? Die exotischen Flöten haben mich an die Musik der amerikanischen Natives erinnert – eine Hommage an eure Wurzeln?
Sierra: Ich mag diese Interpretation. Es könnte ganz leicht so sein, aber eigentlich ist es bloß der Sound von unseren besonderen Gästen aus Indien – Rajasthan Roots. (Zu Bianca) Magst du etwas über dem Song erzählen?
Bianca: Ich weiß nicht, was ich darüber sagen kann, seine Bedeutung ist irgendwie undefiniert.
Sierra: Vielleicht erinnert sie sich einfach nicht an den Song. Wir haben uns das Album kaum angehört. Es ging alles ziemlich schnell und wir wollten nichts zu sehr zerdenken.
Das Album wirkt zugänglicher als die meisten Vorgänger.
Sierra: Ja, unsere Stimmung war dieses Mal klarer. In der Vergangenheit haben wir viel Traumtänzerei produziert und haben gedankenverlorenen Fantasien hinterhergejagt. Gerade befinden wir uns im Hier und Jetzt und denken vermehrt über Verantwortung und Politik nach.
The Guardian hat über den als erstes veröffentlichten Song „Gravediggress“ geschrieben, dass der Song eine imaginäre Konversation zwischen einem verlassenen Kind und einer ausgestoßenen alten Frau darstellt. Entstammt das euch oder tatsächlich der Feder eines Guardian-Journalisten?
Bianca: Das haben sie von uns.
Sierra: Journalisten sind manchmal ein bisschen faul.
Bianca: Naja, ich finde, damit ehren sie eher unsere Worte. Aber ja, das passiert in dem Song. Wichtiger jedoch ist, dass die Lyrics auch einen internen Dialog einer einzigen Person aufzeichnen. Das Kind in uns wird dabei hervorgerufen. Die Idee dahinter war eigentlich die, dass wir es mochten, uns vorzustellen, auch unser zukünftiges Ich dabei zu haben – die Idee, seine eigene Großmutter zu sein bzw. alle diese unterschiedlichen Stufen der Weisheit auf einmal präsent zu haben und die Bedeutung der Zeit zu widerlegen gefiel uns sehr gut.
Sierra: Der komplette Lebenszyklus auf einmal.
Schöner Gedanke. Als ich den Song „End Of Time“ gehört habe, musste ich an R’n’B denken. Das Genre erlebt ja derzeit einen großen Aufschwung bei uns.
Bianca: Ach, ja? Vor ein paar Jahren war das in großen Teilen Europas noch sehr unpopulär. In New York lieben die Leute Hip-Hop und R’n’B, in Paris auch, in Europe, nee.
Valgeir Sigurdsson hat das Album wieder produziert. Was macht die Arbeit mit ihm so angenehm? Sierra hat vorhin gesagt, dass es sehr schnell ging?
Sierra: Wir wollten jemanden, der sofort bereit war, denn wir hatten die Songs zuhause in New York bereits fertiggestellt. Außerdem brauchten wir jemanden, der uns erlaubte, wir selbst zu sein uns einfach half, das Album architektonisch zu konstruieren. Valgeir ist ein sehr besonderer Mensch. Er vertritt eine sehr intime Arbeits-Philosophie, ist sehr offen und zieht keine voreiligen Schlüsse, wenn es um die Ästhetik geht.
Bianca: Genres werden beispielsweise nie diskutiert.
Sierra: Das ist für uns essentiell, denn wenn jemand zu uns käme und uns sagen würde, in welche Richtung er sich stilistisch gesehen gerne bewegen will, würden wir das nicht verstehen. Unsere Musik basiert auf der Poesie und den Charakteren – das alles muss seine eigenen Ansätze finden. Die Songs müssen ihre eigene Reise antreten.