Politainment!

Armin Wolf legt sich auf einen Tisch, Stefan Raab lässt über Politiker abstimmen und Oliver Welke kopiert seit hundert Sendungen ein US-Erfolgrezept. Das Fernsehen ist auf der Jagd nach diesen Jugendlichen, die immer schwerer zu »infohalten« sind.

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Nachrichten im Fernsehen sind alt geworden. Über 60 Jahre im Durchschnitt, zumindest bei den ausrangierten Sendungs-Flagschiffen wie »Zeit im Bild« und »Tagesschau«. Wenn das Ganze mit Steuern bezahlt wird, kann das vor allem den Machern selbst nicht egal sein. Warum das so ist, hat etwa auch Österreichs Mediengesicht Nummer Eins, Armin Wolf, akademisch untersucht. Im Grunde würden Jugendliche durchs Netz streunen und wären nur selten bereit, sich auf komplexe Themen einzulassen. Man muss ihnen nun nicht unbedingt vorwerfen, dass sie in ihrem Facebook-Stream lieber Katzenfotos und Memes sehen als Palästinenser mit abgetrennten Gliedmaßen oder protestierende Griechen. Auch wenn man das könnte. Oder aber man fragt sich stattdessen, was man tun soll, um diese anstrengenden Geschichten so zu gestalten, dass sie mitreißen, so, dass die Schwelle niedrig ist und die Einsichten tief. Nachrichten in ihrer Reinform bekommt man schließlich auch im Teletext, auf Twitter oder im Ticker.

Auf der Suche nach den Zusehern von morgen wird heute quer über alle Medien experimentiert, mit Infografiken, kürzeren Beiträge, kumpelhaftem Ton, animierten Videos, Top-Soundso-Listen, Schlagzeilen-Journalismus, Texten im Superlativ und Daten-Journalismus. Oder, man probiert es mit Humor. Wie das gehen könnte, proben im deutschen Fernsehen derzeit mehrere Sender. Einer davon – das ZDF mit der »Heute-Show« – bedient sich gleich direkt bei dem großen Vorbild aus den USA. Bei der Verleihung des renommierten Grimme-Preises meint die Jury zwar noch, die »Heute-Show« sei mehr als nur Jon Stewarts »Daily Show«, sei nicht nur »öffentlich-rechtlicher Satireauftrag im Korsett eines amerikanischen Erfolgsmodells.« Die Ähnlichkeiten sind allerdings unübersehbar. Soziopathische Korrespondenten, merkwürdige Außenreportagen, erfundene Experten und Requisiten gehören ebenso dazu wie grafische Inserts, die bekannte Filme und Serien in eine aktuelle Schlagzeile umtexten: Gaywatch, Shrek lass nach, Brokeback Bayern. Es wird geflucht und brutal übertrieben, es wird gelogen und geradeheraus geredet, alter Schwede, es tut weh und zeigt, wie dumm die Tagespolitik manchmal ist. Oliver Welke ist das Gesicht der Show, der Gastgeber. Und tatsächlich hat das Team nach 100 Folgen eine hohe Quote geschafft. Im November erreichte die »Heute«-Show bereits bis zu elf Prozent Marktanteil und 8,3 bei der werberelevanten Zielgruppe zwischen 14 und 49. Was für das ZDF wahnsinnig gut ist. Aber nichts gegen Stefan Raab.

Wenn Politik wirklich auf Wirklichkeit trifft

Was war da nicht los, einen Tag, nachdem Stefan Raab eine gar nicht so andere Talkshow hinlegte. »Absolute Mehrheit«: ein Reinfall, überflüssig oder eine Lehrstunde in Emokratie. Vier Politiker und eine Unternehmerin diskutierten mit Stefan Raab ziemlich riesige Themen. Weil aber der Sieger der Debatte 100.000 Euro gewinnen konnte, war die Show von Anfang an verdächtig, nur den größten Populisten zu belohnen – so, als müsste man das Volk noch immer vor sich selbst beschützen, weil es ein bisschen blöd ist. Dabei hatte Raab nur ein paar Dinge konsequent und simpel zu Ende gedacht. Immerhin dreht es sich bei vielen anderen Polit-Talkern wie Jauch, Beckmann, Thurnher und Pelinka oft genug nur darum, wer mehr Applaus einfährt, wer die Sache auf ein Bonmot zuspitzt, das sitzt. Josef Cap hätte bei Raab definitiv gute Chancen. Und dafür also Geld zu bekommen, ist eigentlich sehr naheliegend. Dass dabei die Sache selbst egal ist, stellte Stefan Raab vorher oft genug klar. »Absolute Mehrheit« war – ähnlich wie Raabs »TV Total« – vielmehr ein Kommentar über die Medien selbst. Und tags darauf schaute man halb entsetzt, halb bewundernd, was Raab angerichtet hatte. Von den Jüngeren war zur späten Uhrzeit fast jeder fünfte auf Pro7. Schlag den Raab, so schwer hatten sich das die restlichen Profis nicht vorgestellt.


In den USA schaffen Jon Stewart und sein republikanisches Gegenstück Stephen Colbert allerdings, wovon man in deutschsprachigen Sendern träumt: Zivilgesellschaft. Als die erzkonservative Tea Party zur halben Amtszeit von Präsident Obama das Klima im Land vollends vergiftet hat, versammeln Stewart und Colbert mehr als 200.000 Menschen in Washington, um dort ein Zeichen gegen politischen Extremismus zu setzen. Im Wahlkampf gründet Stephen Colbert vor laufender Kamera ein sogenanntes Super-PAC und lässt sich in mehreren Sendungen von seinem Anwalt erklären, wie er damit Kandidaten anonym mit Geld zuscheißen kann und gleichzeitig vertuschen, von wem es kommt. Zwischendurch schauen Bands, Schauspieler und Bestsellerautoren vorbei, während kurz davor noch von Schwänzen geredet wird oder die animierte königliche Familie eine gute Zeit im Bondage-Keller hat. Davon ist man hier in Mitteleuropa noch weit entfernt, in beide Richtungen, nach oben und nach unten. Auch wenn hier die Shows wesentlich zahmer sind, trauen sich viele Politiker oft nicht hin, sind sie doch schwerer kontrollierbar als die klassischen Medien, die man wahlweise »wulffen« oder mit Anzeigen subtil beeinflussen kann. In den USA dagegen kommen Politiker nicht um diese Shows herum – auch wenn sie dort ein paar Tage vorher noch verspottet wurden. Joe Biden, John McCain, Barack Obama, Bill Clinton oder auch König Abdullah II. von Jordanien tun es, weil die Zuseher dieser Shows jung und clever sind – so, wie sie eben ins Frühstücksfernsehen gehen, wenn sie Mütter ansprechen wollen.

Fernsehen verstehen

Die US-Shows haben zwar ein paar Jahre Erfahrung mehr, oft genug sind aber auch sie weit vom politischen Alltag entfernt, greifen sich die dümmste Aussage der Woche heraus – einen Patzer oder die verwirrte Idee eines Abgeordneten – und rösten sie solange, bis nur noch Gags, Gags, Gags übrig bleiben. In diesen Momenten sind sie wie ein harmloser Hofnarr, der den Mächtigen auf der Nase herumtanzt, und mehr auch nicht. Wenn es aber gelingt, die Grenze zwischen bitterer Politik und blöden Scherzen zu verwischen, wenn zwischen den Pointen immer wieder scharfsinnige Analysen aufblitzen, dann können Politiker nicht mehr anders, als hinzugehen. Die »Heute-Show« und »Absolute Mehrheit« könnten das definitiv schaffen – schneller, als man glaubt. Wer auch sonst?

In Österreich sind solche Formate noch zarte Pflänzchen, man bewegt sich größtenteils auf dem Niveau politischen Kabaretts. So gut Palfrader, Dorfer, Ster- und Grissemann oder Ostrowski mit ihren Pointen oft sind, Fernsehen kann viel mehr als das. Am besten hat das wieder einmal Armin Wolf verstanden, der sich auf den ZIB-Studiotisch legte und als lebende Planke für helle Aufregung sorgte. Mit einfacher Sprache hält er seine Facebook-Fans bei Laune und sorgt dennoch mit seinen Interviews für die größten Schlagzeilen. Wenn man sich nun aus all den Formaten etwas Beispielhaftes mitnehmen will, dann vielleicht das: von Stefan Raab, wie man die Codes von cleveren Halbstarken beherrscht, von Stephen Colbert und Jon Stewart, wie man dem Bedeutung verleiht und von Oliver Welke, was mit öffentlich-rechtlichem Geld alles möglich ist. Könnte dann »ZIB-Show« heißen. Nur so eine Idee.

Die »Heute-Show« läuft jeden Freitag um 22.30 Uhr auf ZDF. »Daily Show« und »Colbert Report« werden vier Mal wöchentlich produziert. »Absolute Mehrheit« lief bisher erst einmal, die nächste Show ist für Jänner geplant. Alle Sendungen kann man auch online sehen:

www.heuteshow.zdf.de /// www.youtube.com/user/Zeruyu

www.prosieben.at/tv/absolute-mehrheit

www.thedailyshow.com /// www.colbertnation.com

Bild(er) © Brainpool, ZDF und Frank W. Hempel, Comedy Central, Puls 4 und Caspari,
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