Pop’s Not Dead

Meisterlich. Es gibt Alben, denen hört man ihre Klasse schon in den ersten Sekunden an. Das ist frustrierend – für alle anderen. Wie Kwes, ein 26-jähriger Londoner, mühelos Tonlagen und Stimmungen wechselt und Songs zwischen Pop und Avantgarde schreibt, ist schlicht atemberaubend.

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Blöderweise gehört es zum Popbusiness, dass man einer einzigartigen Erscheinung wie ihm das große Rampenlicht nicht so richtig zutraut. Er wirkt zu schüchtern, zu schlau, zu abseitig. Noch dazu sind die meisten seiner Songs fordernd, sie wollen gehört werden, nicht nebenbei beim Browsen durch die Timelines oder unter der Dusche. Man wird ihnen sonst nicht gerecht. Schon der erste Song auf dem Album, „Purplehands“, bewegt sich wie im Krebsgang einmal quer durch das bekannte tonale Universum. Es könnte R’n’B sein, könnte Pop sein, könnte Soul sein, lässt sich von solchen Begriffen aber nur grob einkreisen. Klar aber, dass es fast immer um Liebe geht.

Zuhören, Farben sehen

Kwes bewegt sich sonst abseits der Konventionen. Er hat sich in seinem zweijährigen Philosophiestudium mit Arthur Schopenhauer beschäftigt, hört gern Joni Mitchell, Scott Walker und Robert Wyatt, also nicht gerade Pop der einfach gestrickten Sorte. Selbst hat er mit ein paar Großen wie Damon Albarn, Kanye West oder The XX Musik gemacht, meistens als Produzent. Er hat dabei lange nur zugehört, wie er in einem ziemlich umfangreichen Interview mit dem Dummy Mag sagt, hat zuhören gelernt, den anderen, aber auch sich selbst.

Auf „Ilp.“ fehlt dieses Gegengewicht. Kwes’ Leitlinie ist der Song. Selbst eine anfangs simple Melodie übers Rollerbladen, kommt um mehrere Tempo- und Harmoniewechsel nicht herum. Kwes – so scheint es – macht das nicht um zu beeindrucken, weil er es so arg drauf hat, er kann nicht anders. Eventuell weil er Synästhet ist. Eventuell weil er alles allein in einem Studio in der Nähe der Themse im Osten Londons einspielt hat. Dort ist „Ilp.“ entstanden, nicht auf der Gitarre oder am Klavier – diese Stunden, Tage und Wochen hört man dem Album an, ohne dass es dabei zwanghaft wirkt. Feilen, horchen, nachjustieren, Abstand nehmen, neu horchen, verändern, wiederholen. Es lohnt sich dabei genau zuzuhören, all den kleinen Details, die sich abseits der samtigen Worte krümmen und tummeln.

Immer weiter durchbrechen

Dort, in seinem Studio, hantiert er mit einem Keyboard, das er von seiner Großmutter geschenkt bekommen hat, als er 6 war, mit Samplern, Melodica oder mit einem Premier-Drumkit aus den Siebzigern. Er mag kurze Echos und Filterkurven. Beide setzt er äußerst gekonnt ein, um seine Stimme zu verfremden und den Fluss der Songs zu kontrollieren, sie zu verdichten, sie wegducken oder aufgehen zu lassen. Dabei hatte er sich nach seiner ersten, beeindruckenden EP eine Schreibblockade eingetreten als cirka drei Viertel des Albums fertig waren. Die ist jetzt vorüber. Bei Jimmy Fallon war er schon, weitere Auftritte dürfen kommen. Irgendwo muss man ja anfangen Pop-Konventionen zu brechen. Immer neu.

"Ilp" von Kwes erscheint am 14. Oktober via Warp.

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