»Die Musikindustrie ist sehr patriarchal geprägt« – Popularmusikforscherin Magdalena Fürnkranz im Interview

Magdalena Fürnkranz vom Institut für Popularmusik an der MDW im Interview zu Austropop, Diversity und Fair Pay.

© Daniel Willinger

Magdalena Fürnkranz ist Senior Scientist am Institut für Popularmusik der MDW – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Dort unterrichtet und forscht sie zu verschiedenen Genres im Dunstkreis von Pop, Rock, aber auch Jazz. Außerdem ist sie im Vorstand des Österreichischen Musikrates sowie beim Music Starters Network aktiv.

Popularmusikforschung scheint mir ein weites Feld. Was sind denn deine Forschungsschwerpunkte?

Magdalena Fürnkranz: In erster Linie beschäftige ich mich mit queeren und feministischen Musikkulturen, mit Performance, Performativität und Inszenierung von Musiken, mit intersektionalen Perspektiven auf Musikkulturen, aber auch mit regionalen Musikkulturen. Insbesondere schaue ich mir Wiener Subkulturen, Indie und Elektronik an, ich bin aber auch stark in der Jazzforschung verwurzelt. Jazz und Popularmusik werden akademisch ja manchmal gemeinsam gedacht, manchmal getrennt. Mich interessieren Machtverhältnisse, also Ungleichgewichte, die historisch verankert und bis heute dominant sind. Und dann aber wiederum auch Artists, die versuchen, das Ganze aufzubrechen. Einer meiner aktuellen Forschungsschwerpunkte ist auch Austropop.

Als Austropop wird ja vieles bezeichnet. Wie definierst du denn Austropop in deiner Forschung?

Also ich finde es total schwierig, Austropop zu definieren, schon mal in seinen Ursprüngen in den frühen 70er-Jahren. In der Forschung werden zum Beispiel Wiener Dialektpop-Bands wie Worried Men Skiffle Group, The Madcaps und so weiter meist als Vorreiter*innen gesehen, aber eben nicht dem Austropop direkt zugeschrieben. Diese Zuschreibung passiert dann eher in popkulturellen Kontexten. Für mich sind da aber viele Aspekte von Austropop schon gegeben: rockige Elemente, sozialkritische Texte, Bezüge zur Literatur, zur Dichtung. Da würde ich dem allgemeinen Wissenschaftskonsens über Austropop widersprechen und sagen, dass ab Mitte der 60er-Jahre eigentlich Entwicklungen da sind, die ich rückblickend durchaus als Austropop bezeichnen würde.

Darüber hinaus ist auch spannend, wer vom Begriff Austropop ein- und ausgeschlossen wird. Also es gibt kaum Frauen, die dem Austropop zugeschrieben werden. Wenn, dann werden sie eher als Ausnahmeerscheinungen betrachtet. Oft distanzieren sie sich auch selbst vom Austropop, wenn du etwa an Marianne Mendt denkst, die über sich selbst sagt, sie sei eigentlich Jazzmusikerin, oder auch an Beatrix Neundlinger von den Schmetterlingen und den Milestones, die sagt, Austropop sei ihr nicht politisch genug. Wenn ich wiederum an heute denke, werden mitunter Bilderbuch, Wanda oder sogar Yung Hurn dem Austropop zugeschrieben, oft von journalistischer Seite. Ich habe das Gefühl, Austropop ist gerade so ein Begriff für alles, was cool ist, ein bisschen subversiv und primär in deutscher Sprache.

Du sprichst die mangelnde Diversität an. Das gilt ja nicht nur für Austropop, sondern für viele Bereiche der Musikindustrie. Wo siehst du da die Grundprobleme?

Was Grundprobleme von Diversität im österreichischen Musikleben betrifft, müssen wir uns wirklich nur die großen Festivals anschauen, die ja teilweise 80 % männliche Bands oder Musiker in ihren Line-ups haben. Das Lido Sounds mit Florence + the Machine als Headliner hat mich da heuer fast schon positiv überrascht. Natürlich gibt es aber auch richtige Ausnahmen wie das Popfest. Da habe ich das Gefühl, die legen Wert darauf, einen hohen Anteil an FLINTA*-Menschen im Line-up zu haben. Beim Popfest hast du auch nicht die Barriere, dass du eine Eintrittskarte kaufen musst, sondern du kannst einfach zum Karlsplatz gehen und dir das anhören. Da bekommst du die Diversität des österreichischen Musiklebens – die es ja schon gibt – präsentiert. Wenn ich mir aber die Bands anschaue, die auch außerhalb der österreichischen Grenzen wirklich Erfolg haben – jetzt komm ich leider wieder auf Wanda und Bilderbuch zurück –, ist das schon sehr männlicher weißer gitarrenlastiger Pop-Rock.

Hast du irgendwelche Erklärungen dafür, dass das immer noch so ist? Oder andersrum gefragt, wo würdest du ansetzen, um das zu ändern?

Also die Musikindustrie als Ganzes, ist ja sehr patriarchal geprägt. Das hat schon mit der Vermarktung von Jazzmusiker*innen angefangen und zieht sich jetzt durch die Jahrzehnte und auch durch die Kontinente. Das klassische Instrument der Frauenquote wäre da gar nicht schlecht, damit nicht nur Männer abgebildet werden. Die Frage ist ja: Wer spricht, wer wird angesprochen? Wir können da auf ganz viele Studien zurückgreifen, warum es zum Beispiel so wenige Instrumentalistinnen gibt. Ganz oft ist da die Antwort, dass es einfach keine entsprechenden Vorbilder gab. Oder halt nur männliche Vorbilder. Da sollten wir musikwirtschaftlich ansetzen, bei Frauen in Führungspositionen – was jetzt beispielsweise auch Labels betrifft. Oder bei repräsentativen Festivals eine gewisse FLINTA*-Quote einführen. Man kann definitiv auch in der Musikausbildung ansetzen. Wobei es in den Musikschulen dann schon ein bisschen diverser aussieht, weil die Anstellung in einer Musikschule auch gewisse finanzielle Sicherheiten bietet, neben einer kreativen Entfaltung. Wenn man sich entscheidet, eine Familie zu gründen, tritt das Kreative ohne finanzielle Sicherheit immer mehr in den Hintergrund.

Du bist auch im Vorstand des Österreichischen Musikrats. Was genau macht der ÖMR denn?

Der ÖMR ist die Interessensvertretung für Musikschaffende in Österreich. 2014 haben wir zudem das Music Starters Network gegründet, in dem ich auch aktiv bin. Diese Initiative soll eine Schnittstelle für Menschen bilden, die gerade ihr Studium abgeschlossen haben und jetzt ins Berufsleben eintreten. Angefangen haben wir mit Infos zu Themen, die für selbstständiges Arbeiten in der Musikbranche wichtig sind, wie Steuern, Förderungen, Social-Media-Marketing usw. Dann haben wir auch immer wieder Stammtische mit Gästen aus der Musikszene und schließlich ist Fair Pay ein großes Thema bei uns. Ab und zu organisieren wir auch Workshops, etwa zu Burn-out-Prävention. Wir überlegen uns immer: Was können wir machen? Was wäre sinnvoll? Wo wird noch was gebraucht?

Fair-Pay-Modelle werden ja derzeit in der gesamten Kulturbranche prominent diskutiert. Wie siehst du Fair Pay in Bezug auf Musik?

Bei Fair Pay in der Musik geht es um die Anerkennung der gesamten Arbeit, die eben nicht ausschließlich in der ein- bis zweistündigen Bühnenperformance stattfindet. Das inkludiert Probenprozesse, aber natürlich auch das Organisieren von Gigs, die Betreuung von Social Media, Kompositionsprozesse – dieses ganze Drumherum. Gerade, was die freie Szene betrifft, ist das sehr lang politisch gar nicht behandelt worden. Durch die pandemiebedingten Lockdowns hat sich aber etwas geändert. Da sind viele draufgekommen, dass es eine freie Szene gibt und dass wir die freie Szene für unsere Musiklandschaft brauchen. Meine Kollegin Eva-Maria Bauer hat gemeinsam mit Günther Wildner für den »Fair Pay Reader« einen Beitrag über den Bereich Musik erarbeitet. Das sind Empfehlungen für Mindesthonorare, die Probenprozesse, Kompositionsprozesse usw. mitabdecken.

Das Problem bei Fair Pay ist immer auch ein Problem der Finanzierbarkeit von Veranstaltungen. Es braucht vermutlich höhere Förderungen, damit Veranstaltungen genug Geld für Fair Pay haben.

Tatsächlich würde ich Förderungen an Fair Pay knüpfen. Das heißt natürlich auch, dass die staatlichen Förderungen angehoben werden müssen, das ist klar. Aber wenn wir jetzt an die Pandemie denken und daran, wer aller gefördert wurde, muss ja wohl Geld da sein, um Kultur zu fördern. Es muss natürlich auch beaufsichtigt werden, ob Fair Pay tatsächlich stattfindet. Aber ich glaube, dass sich dann schon viele Veranstalter*innen überlegen würden, was ihnen eigentlich wichtig ist bei den Veranstaltungen, wofür sie Geld in die Hand nehmen, wo sie sparen können. Und Letzteres muss wirklich nicht beim Gehalt der Musiker*innen sein. Mir geht es da zunächst um große, staatlich subventionierte Festivals. Schlussendlich ist das Ziel natürlich, dass Fair Pay wirklich in allen Bereichen und für alle Veranstaltungen durchführbar ist. Aber wir müssen ja irgendwo ansetzen. Ich glaube, das wäre der erste Schritt, mal zu sagen, alles, was staatlich subventioniert wird, sollte auch fair bezahlt werden.

Im Rahmen des Konferenzteils von Waves Vienna 2023 ist Magdalena Fürnkranz am 7. September neben Eva-Maria Bauer und Sabine Walter Teil eines Panels zum Thema »Fair Pay // Fair Play« – ab 9 Uhr im West Space (Library Lobby).

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