The Sound of Music – 200 Highlights aus 200 Ausgaben (1/20): Musik

Mit Marianne Mendts »Wie a Glock’n …« als Intro bimmelt der Austropop mittlerweile seit 53 Jahren vor sich hin. Und exakt die Hälfte dieser Zeit hat The Gap nun schon ein Ohr für Musik aus Österreich. Was in diesen 26,5 Jahren alles passiert ist? Der Versuch einer Aufarbeitung anhand zehn neuralgischer Punkte.

Music was our first love

Musik – oder besser: die Liebe zur Musik, einer ganz bestimmten natürlich – war Ausgangspunkt für die Gründung von The Gap. Weshalb auch Blur und Oasis, Die Sterne und Tocotronic von frühen Titelseiten des Magazins blickten. Wobei: »des Fanzines« trifft es wohl besser. Mit neuen Leuten in der Redaktion und der persönlichen Weiterentwicklung wurde nicht nur das musikalische Spektrum breiter, sondern auch das thematische. Und selbst wenn manche The Gap noch immer als »Musikmagazin« abgespeichert haben (andere wiederum für alle Ewigkeit als »Jugendmagazin«) – inhaltlich haben wir uns längst viel breiter aufgestellt, decken wir längst unzählige Aspekte von Populär- und Alltagskultur ab. Schon auch Musik, aber eben nicht nur. Dennoch steht unzweifelhaft fest: Musik war unsere erste große Liebe … and it will be our last.

Die Nullerjahre-Labelwelle

In kaum einem Zeitfenster gab es hierzulande so viele nachhaltige Labelgründungen wie in den Nullerjahren. Ob Ink Music (2001), Fabrique (2001), Numavi (2002), Wohnzimmer (2002), Noise Appeal (2003), Rock Is Hell (2004), Siluh (2005), Seayou (2006), Konkord (2005), Las Vegas (2006), Problembär (2007) oder Affine Records (2008) – in guter alter DIY-Tradition haben hier Menschen aus einer Leidenschaft heraus kleine Musikunternehmen auf die Beine gestellt, die die heimische Musiklandschaft wesentlich prägen sollten und bis heute prägen. Nicht nur im Kleinen, schließlich sind auch Acts wie Bilderbuch und Wanda aus diesen essenziellen Keimzellen gewachsen.

Muttersprachenpop

Gerne wird Der Nino aus Wien als Ausgangspunkt dieser Entwicklung genannt, falls es bei Musiker*innen und Publikum aber noch Zweifel gegeben haben sollte, ob es nun wirklich wieder okay sei, in der eigenen Muttersprache zu singen, so haben Bilderbuch (in ihrer schnoddrigen Coolness) und Wanda (von einer gewissen Bierseligkeit geerdet) diese in der ersten Hälfte der Nullerjahre ein für alle Mal pulverisiert. Der neue Austropop – ja, über diesen Begriff lässt sich trefflich streiten – war und ist auch im Ausland ein Riesenerfolg. Na gut: im deutschsprachigen Raum. Was einem Bonmot zufolge ja auch notwendig ist, um daheim etwas zu gelten. Also doch nicht nur »weltberühmt in Österreich«.

Eine singuläre Erscheinung

Bereits für ihr erstes musikalisches Lebenszeichen, ein Stück auf einer Compilation des deutschen Elektronik-Labels Shitkatapult im Jahr 2006, gab es euphorische Rezensionen. Anja Franziska Plaschg aka Soap & Skin löste das damals abgegebene Versprechen mit ihrem Debütalbum »Lovetune for Vacuum« auf eindrucksvolle Weise ein – und zierte 2009 gleich das Cover von The Gap #94. Mit PIAS Recordings als Partner war die Karriere der Musikerin mit ihren teils überwältigenden Gänsehautliedern immer eindeutig international ausgerichtet und losgelöst vom Hype rund den oben erwähnten »neuen Austropop«. Mit Erfolg. Ihre Rolle als Glaube in »Jedermann« bei den diesjährigen Salzburger Festspielen zeigt überdies, dass Plaschg eine vielseitige Künstlerin und auch in der Hochkultur anerkannt ist.

Endlich Strukturen

Im direkten Vergleich mit der Jetztzeit wirkte die Musikszene des The-Gap-Gründungsjahres 1997 geradezu karg. Natürlich gab es auch hierzulande Bands, Clubs und Menschen, die auf Konzerte oder in Plattenläden gingen. Aber zum einen war das Interesse damals noch stärker auf Internationales gerichtet und zum anderen die Infrastruktur weit weg von dem, was Musiker*innen heute zur Verfügung steht. Dazu zählen Plattformen wie FM4, das mit den Jahren (etwa mit dem »FM4 Soundpark«) seinen öffentlich-rechtlichen Auftrag in dieser Hinsicht immer besser erfüllte, oder das Popfest, das der Stadt Wien als selbstbewusstes Statement für eine starke Musikszene Jahr für Jahr immerhin einen sechsstelligen Betrag wert ist. Aber auch MICA – Music Austria, Musikfonds, Austrian Music Export und Amadeus Austrian Music Awards haben ihren Teil dazu beigetragen, dass die aufblühende Szene Schritte in die richtige Richtung – etwa ins Ausland oder in Richtung Professionalisierung – machen konnte. Und dann wäre da natürlich noch die Demokratisierung der Produktionsmittel.

Die Technik macht die Stars

Die technologische Entwicklung machte es in den letzten Jahren nicht nur einfacher, Musik zu machen und aufzunehmen (Stichwort: Demokratisierung der Produktionsmittel; jeder Laptop ist ein Tonstudio und so). Sie stellte gleich den gesamten Musikmarkt auf den Kopf – mit Napster und Spotify als Leuchttürmen des Wandels. Ersteres erwischte die Musikindustrie noch auf dem falschen Fuß, bei Zweiterem sitzt sie schon mit im lukrativen Boot. Seit einiger Zeit macht nun außerdem die Videoplattform Tiktok die Stars. Um deren Internet Fame zu monetarisieren, braucht es aktuell aber offenbar noch die Strukturen der großen Plattenfirmen. Nächster Brennpunkt in Sachen Technik: KI-generierte Musik.

Jeder Rhyme ein Treffer

Nennt mir einen österreichischen Act, der in den letzten zehn Jahren öfter an der Spitze der österreichischen Singles-Charts zu finden war als Raf Camora! Eben. Es gelang dem Rapper aus Rudolfsheim-Fünfhaus immerhin 17 Mal und er ist damit das beste Beispiel für eine Entwicklung im Pop, die in Österreich und Deutschland mit Deutschrap auch eine regionale Ausprägung hat: Hip-Hop ist das größte Genre von allen, Hip-Hop hat das Ding übernommen, Hip-Hop ist Mainstream. In seinen unzähligen Ausprägungen und vielen Subgenres ist Hip-Hop dabei naturgemäß mal eher offen, mal eher konservativ, mal conscious, mal banal – und manchmal leider auch von problematischen Weltbildern durchsetzt.

Domestic Repertoire

Auch die österreichischen Major-Labels Universal, Sony und Warner – oft despektierlich als Filialen der internationalen Konzernzentralen ohne viel Handlungsspielraum abgetan – haben die Zeichen der Zeit erkannt und bemühen sich vermehrt um heimische Artists. Pop, eh klar. Und Hip-Hop, auch klar – siehe oben. Dass die großen Tanker dabei aber teils auch in die Nischen gehen, und zwar nicht unerfolgreich, beweist Durchstarter Salò mit seiner Mischung aus NDW, Pop und Punk. Und das bei einem Major!

Elektronik für die österreichische Seele

Der Wiener Sound der 1990er-Jahre – oder das, was davon außerhalb des Landes wahrgenommen wurde – drang nicht nur aus den Clubs, sondern auch aus den Cocktailbars und Kaffeehäusern. Das Genre Downbeat passte wohl zu gut zur österreichischen Seele, als dass das kein internationaler Erfolg werden würde. Kruder & Dorfmeister als Speerspitze dieser langsamen Bewegung wurden jedenfalls zu Weltstars. Punkt. Danach kamen die Sofa Surfers und überführten Dub und Trip-Hop ins Bandformat. Das war uns glatt eine frühe Coverstory wert (The Gap #9). Parov Stelar wiederum hat mit Electro-Swing gleich sein eigenes Genre etabliert. Seitdem ist spannende elektronische Musik aus Österreich – wie etwa jene von Dorian Concept, Wandl oder Cid Rim – gerne experimentell-freigeistig unterwegs. Nicht zu vergessen: der Langzeit-Säulenheilige Fennesz. Oder sie dockt ungeniert an Pop an. Was dann so unterschiedlich und super klingen kann wie Farce und Tony Renaissance. Und weil alles wiederkommt, geht’s mit Slow House seit einiger Zeit auch wieder langsamer zur Sache.

Viel Lärm, hoffentlich um nichts

Es sei eine Zeitenwende, schrieb Branchenauskenner Hannes Tschürtz von Ink Music, als im Juli bekannt wurde, dass die Oak View Group (OVG) den Zuschlag für Errichtung und Betrieb der ausgeschriebenen neuen Indoor-Multifunktionsarena in Neu Marx (Kapazität: 20.000+) erhalten habe. Der Grund: OVG arbeitet eng mit Live Nation zusammen, dem US-Branchenriesen, zu dem auch Ticketmaster gehört und der in den USA quasi über eine Monopolstellung verfügt. Es sei dafür Sorge getragen, versuchte die Stadt zu beruhigen, dass die Venue allen Veranstalter*innen gleichermaßen offenstehe. Fertiggestellt werden soll das Ding jedenfalls bis Ende 2029, Baubeginn ist 2025. Die anderen Venues in Wien haben derweil wieder verstärkt Zoff mit den Nachbar*innen – unter anderem weil durch den Rückgang des nächtlichen Verkehrslärms an neuralgischen Punkten die Schallemissionen von Veranstaltungslocations plötzlich als störender empfunden werden als zuvor. Oder weil Neubauprojekte neue Anrainer*innen neben etablierten Open-Air-Bühnen ansiedeln – wie etwa im Falle der Arena. Vermittlungs- und Lösungsversuche laufen.

Was macht The Gap, seine Szene und die Popkultur allgemein seit 1997 aus? Für unsere aktuelle Coverstory haben wir je zehn Highlights aus zwanzig Kategorien zusammengestellt. Einen Überblick über alle bisher erschienenen Beiträge findet ihr hier: »200 Highlights aus 200 Ausgaben«. Die Details zu den Feierlichkeiten anlässlich unseres Jubiläums gibt’s an dieser Stelle: »The Gap wird 200 – und feiert«.

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