Die Clubkultur versteht sich als Vorzeigemodell für ein diskriminierungsfreies gesellschaftliches Miteinander. Auch im deutschsprachigen Raum zielen ihre Akteur*innen nun immer mehr darauf ab, sich dem Kampf gegen die menschengemachte Klimakatastrophe und für eine rundum verträgliche Lebens- und Feierweise einzusetzen. In der ökologischen Dimension ist das ein schwer zu erfüllender Anspruch, in sozialen Fragen brilliert die Nacht dafür umso mehr. Ein Blick auf die Szene, die sich immer weiter ins öffentliche Bewusstsein schiebt.
Die Kultur der Nacht, der elektronischen Musik, der Outdoor-Raves, der ranzigen Beislkonzerte, des losgelösten Feierns, kurz: die Clubkultur, zog in den letzten Jahren in den medialen und gesellschaftlichen Mainstream ein. Damit steht sie nun dort, wo es sich auch die Debatte um die Klimakrise gerade gemütlich macht. Das führt vielerorts zu Synergien und Bewusstseinsbildung, aber auch zu Kritik und Widersprüchen: Wie soll eine Kultur nachhaltig sein, die Wochenende für Wochenende Nebelfluid in Literangaben verpulvert, Shots aus Einwegbechern runterspült und auf die Nacht wartet, um sie erst recht wieder fancy zu beleuchten? Wie erklärt man den Konsum von Drogen und deren entsetzliche Produktionsbedingungen? Die schlechte Nachricht ist: Genau genommen ist die Clubkultur in keiner Weise »nachhaltig«. Die paradoxe gute Nachricht ist allerdings, dass ausgerechnet in diesem verantwortungslosen Exzess eine Blüte der sozialen Nachhaltigkeit zu finden ist.
Will man sich ernsthaft mit der Nachhaltigkeit der Clubkultur auseinandersetzen, muss man sich zuerst ein Bild davon machen, was mit diesem Begriff eigentlich gemeint ist. Das ist aber nicht so einfach, denn die wissenschaftliche Gemeinschaft debattiert darüber schon seit drei Jahrhunderten. Auf den derzeit gültigen minimalen Konsens hat man sich vor etwa 40 Jahren im sogenannten Brundtland-Report geeinigt: Nachhaltig ist, wenn bei der Nutzung einer Sache ihre sozialen, ökologischen und ökonomischen Grundlagen selbsterhaltungsfähig bleiben. Diese drei Säulen – sozial, ökologisch und ökonomisch – sind jeweils unersetzbar, wenn auch nur eine davon fehlt, funktioniert das ganze Konstrukt nicht mehr. Das bedeutet in der heutigen Welt, dass kaum etwas wirklich nachhaltig ist. Es gibt nur mehr oder weniger schädlich, sofern es sich dabei nicht um überlebensnotwendige Unternehmungen handelt.
Säulen der Nachhaltigkeit
Die Geschichte der ökologischen Nachhaltigkeit beginnt mit Alexander von Humboldt vor rund 200 Jahren in Südamerika. Als er dort einen See und dessen umliegenden Hänge untersuchte, entdeckte er, wie die landwirtschaftliche Nutzung im Einzugsgebiet des Sees dessen Fähigkeit zur Wassernachbildung beeinflusste. Es dauerte aber bis in die 1960er, bis das Bewusstsein über diese Mensch-Natur-Beziehung so weit verbreitet war, dass man das erste Mal von einer sozialen Bewegung sprechen konnte, die sich für einen strukturellen Wandel der Wirtschaftsordnung einsetzte. Auf ihre Initiative hin wurden umfangreiche Naturschutzgesetze erlassen, um Böden, Gewässer und Luft zu verbessern, und schließlich mit der Verabschiedung der Sustainable Development Goals (SDGs) von den Vereinten Nationen ein Meilenstein erreicht. Nach wie vor wird in der politischen Arena darüber gestritten, ob beziehungsweise wie die Gesellschaft am besten zur Stabilisierung der globalen Ökosysteme beitragen kann. Das ist auch der Grund, warum fleischreduzierte Biokost zum woken Lifestyle gehört und freiwillige Konsumreduktion salonfähig werden muss.
Hand in Hand damit geht die Entwicklung der sozialen Nachhaltigkeit: Während Humboldt in den Anden herumkraxelte, krepierten in England die in den Teufelsmühlen der Fabriken entstellten Arbeiter*innen in den fäkalverseuchten Rinnsteinen der hochverdichteten Industriestädte an kohlestaubdurchsetzter Luft. Heute schreiben wir unter dem Begriff »soziale Nachhaltigkeit« gegen Leistungsdruck in der Popkultur an, setzen uns für faire Gewinnverteilung ein, propagieren Diversity und Equality und finden es selbstverständlich, dass Frauen wählen dürfen. Im Vergleich zu den damaligen Verhältnissen sind unsere Probleme heutzutage – ja, genau – First World Problems. Dadurch haben wir aber gelernt, dass emotionaler Druck genauso existenzbedrohend sein kann, und wir haben ein Bewusstsein dafür erlangt, wie verantwortungsloser Konsum im globalen Norden ganze Gesellschaften im globalen Süden prägt. Bis eine glaubwürdige soziale Nachhaltigkeit erreicht ist, liegt noch ein weiter Weg vor uns.
Die dritte Säule, die ökonomische Nachhaltigkeit, bedeutet prinzipiell, dass sich eine Unternehmung früher oder später einmal selbst erhält und vielleicht sogar Gewinn abwirft. Problematisch ist diese Nachhaltigkeit insofern, als dass ökologisch und sozial nachhaltige Geschäftspraktiken heute in der Regel noch wenig wirtschaftlich sind. Öl- und Gasheizungen zählen zu den billigsten Wärmeproduzenten, Fleisch aus Massentierhaltung kostet weniger als Biofleisch, und je mehr chinesische Kinder und indische Mütter bei der Herstellung von Mobiltelefonen und trendy Fashion ums Leben kommen, desto billiger ist es, im freshesten Look durch die Innenstadt zu flanieren. Mit gutem Gewissen eine nachhaltigere Unternehmensbilanz zu zaubern, bedeutet in der Regel entweder von Förderungen abhängig zu sein oder hochpreisige Güter zu verkaufen – und das wiederum führt zur sozialen Frage der Leistbarkeit. Die Sache ist also äußerst komplex, lässt sich aber genauso angehen, wie eine große Reise: mit dem ersten Schritt.
Der Betrieb eines Veranstaltungsraums verursacht Emissionen, die vermeidbar sind, so viel steht fest. Das beginnt beim Eingang, wenn man an der Kassa das Eintrittsbändchen erhält und die Schutzfolie von dessen Klebestreifen im A wie Abfall landet, und endet an der Hintertüre, wo über dem Notausgang die ungenutzte Abwärme aus dem Z wie zentralen Lüftungssystem strömt. Dazwischen liegen beispielsweise der Barbetrieb mit gastronomischen Angeboten aus möglicherweise zweifelhaften Produktionsverhältnissen und natürlich Licht und Ton als Stromfresser. Zu deren Verbrauch gibt es verschiedene Zahlen, die je nach Größe und Ausstattung des Clubs stark variieren. Im Schnitt verbraucht ein mittelgroßer Club pro Jahr rund so viel Strom wie 30 Zwei-Personen-Haushalte. Die genaue Menge hängt davon ab, wie oft und wie laut die Musikanlage läuft, was an Licht, Heizung und Lüftung installiert ist und so weiter. Für die komplette Ökobilanz kommen dann noch Abfallmanagement und andere Dinge hinzu wie etwa die Stromquelle selbst. Der Innsbrucker Club Dachsbau hat dank günstiger Alpenlage mit 15.000 Kilowattstunden reinem Ökostrom einen anderen Fußabdruck, als ein Wiener Pendant, das über den Strommix auch tschechischen Atomstrom bezieht.
Inside the Machine
Von der elektronischen Hardware made in China kann sich ein Club aber genauso wenig verabschieden, wie sich Eigenheimbesitzer*innen im Weinviertler Outback von ihrem Auto trennen können, weil sie in die Stadt zur Arbeit müssen. Sich ein Einfamilienhaus auf die grüne Wiese zu stellen, das konnte man in der Vergangenheit schon mal machen, heutzutage ist es ökologisch fragwürdig. Aber wer dorthin geboren wurde, dem kann man schwer die Schuld am Klimawandel geben, nur weil der Schulbus noch mit Diesel fährt. Die meisten Rahmenbedingungen in unserem Leben haben wir uns eben nicht selbst ausgesucht. Anders formuliert: Die globale Technosphäre (sic!) operiert aktuell nicht nachhaltig und als Homo oeconomicus am Ende der Wertschöpfungskette ist man prinzipiell darauf angewiesen zu fressen, was einem die unbarmherzige Produktionsmaschinerie vor die Füße wirft.
Allerdings: Es regt sich Widerstand. Bei einer Befragung durch Clubtopia, eine Initiative zur Ökologisierung der Clubkultur, in Berlin im Frühjahr 2018 (also noch vor der Gründung von Fridays for Future) haben sich satte 89 Prozent der 530 befragten Gäste von den Clubbetreibenden gewünscht, dass diese sich aktiv für eine umwelt- und klimafreundliche Clubszene einsetzen. 82 Prozent der Befragten wären bereit, auch selbst dazu beizutragen. Für Wien fehlen solche Zahlen zwar, in der Podiumsdiskussion beim Kick-off-Event von About Later, Wiens erstem Veranstaltungskollektiv, das sich explizit einer nachhaltigen Clubkultur verschrieben hat, war man sich aber einig, dass auch hierzulande die Stimmungslage ganz ähnlich aussieht.
Nachhaltigkeit wird als etwas Positives wahrgenommen, und sich dafür zu engagieren, ist eine gute Sache. »Leute fühlen sich gut, wenn sie Gutes tun«, resümierte Penny Fox von der Worldtrash Foundation am Podium, »und eine solche Stimmung schlägt dann natürlich auf die ganze Veranstaltung um«. Wie schwierig es ist, bei all dem Feel-good den Blick fürs Wesentliche zu behalten, zeigte das Booking bei der anschließenden Party; das männerdominierte Line-up führte einmal mehr bekannte Probleme der sozialen Nachhaltigkeit vor Augen. In der ökologischen Dimension ist jetzt aber zumindest ein expliziter Anfang gemacht.
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