Ravers for Future – Ansätze für eine nach­haltigere Praxis in der Clubkultur

Die Clubkultur versteht sich als Vorzeigemodell für ein diskrimi­nierungs­freies gesellschaft­liches Miteinander. Auch im deutsch­sprachigen Raum zielen ihre Akteur*innen nun immer mehr darauf ab, sich dem Kampf gegen die menschen­gemachte Klima­katastrophe und für eine rundum verträgliche Lebens- und Feierweise einzusetzen. In der ökologischen Dimension ist das ein schwer zu erfüllender Anspruch, in sozialen Fragen brilliert die Nacht dafür umso mehr. Ein Blick auf die Szene, die sich immer weiter ins öffent­liche Bewusst­sein schiebt.

© Christopher Glanzl

Die Kultur der Nacht, der elektronischen Musik, der Outdoor-Raves, der ranzigen Beislkonzerte, des losgelösten Feierns, kurz: die Clubkultur, zog in den letzten Jahren in den medialen und gesellschaftlichen Mainstream ein. Damit steht sie nun dort, wo es sich auch die Debatte um die Klimakrise gerade gemütlich macht. Das führt vielerorts zu Synergien und Bewusstseins­bildung, aber auch zu Kritik und Wider­sprüchen: Wie soll eine Kultur nachhaltig sein, die Wochenende für Wochenende Nebelfluid in Literangaben verpulvert, Shots aus Einweg­bechern runterspült und auf die Nacht wartet, um sie erst recht wieder fancy zu beleuchten? Wie erklärt man den Konsum von Drogen und deren entsetzliche Produktionsbedingungen? Die schlechte Nachricht ist: Genau genommen ist die Clubkultur in keiner Weise »nachhaltig«. Die paradoxe gute Nachricht ist allerdings, dass ausgerechnet in diesem verantwortungs­losen Exzess eine Blüte der sozialen Nach­haltigkeit zu finden ist.

Will man sich ernsthaft mit der Nachhaltig­keit der Clubkultur auseinandersetzen, muss man sich zuerst ein Bild davon machen, was mit diesem Begriff eigentlich gemeint ist. Das ist aber nicht so einfach, denn die wissen­schaftliche Gemeinschaft debattiert darüber schon seit drei Jahrhunderten. Auf den derzeit gültigen minimalen Konsens hat man sich vor etwa 40 Jahren im sogenannten Brundtland-Report geeinigt: Nachhaltig ist, wenn bei der Nutzung einer Sache ihre sozialen, ökologischen und ökonomischen Grundlagen selbst­erhaltungs­fähig bleiben. Diese drei Säulen – sozial, ökologisch und ökonomisch – sind jeweils unersetzbar, wenn auch nur eine davon fehlt, funktioniert das ganze Konstrukt nicht mehr. Das bedeutet in der heutigen Welt, dass kaum etwas wirklich nachhaltig ist. Es gibt nur mehr oder weniger schädlich, sofern es sich dabei nicht um überlebens­notwendige Unter­nehmungen handelt.

Säulen der Nachhaltigkeit

Die Geschichte der ökologischen Nachhaltigkeit beginnt mit Alexander von Humboldt vor rund 200 Jahren in Südamerika. Als er dort einen See und dessen umliegenden Hänge untersuchte, entdeckte er, wie die landwirtschaftliche Nutzung im Einzugsgebiet des Sees dessen Fähigkeit zur Wasser­nachbildung beeinflusste. Es dauerte aber bis in die 1960er, bis das Bewusstsein über diese Mensch-Natur-Beziehung so weit verbreitet war, dass man das erste Mal von einer sozialen Bewegung sprechen konnte, die sich für einen strukturellen Wandel der Wirtschafts­ordnung einsetzte. Auf ihre Initiative hin wurden umfangreiche Naturschutzgesetze erlassen, um Böden, Gewässer und Luft zu verbessern, und schließlich mit der Verabschiedung der Sustainable Development Goals (SDGs) von den Vereinten Nationen ein Meilenstein erreicht. Nach wie vor wird in der politischen Arena darüber gestritten, ob beziehungsweise wie die Gesellschaft am besten zur Stabilisierung der globalen Ökosysteme beitragen kann. Das ist auch der Grund, warum fleisch­reduzierte Biokost zum woken Lifestyle gehört und freiwillige Konsum­reduktion salonfähig werden muss.

Hand in Hand damit geht die Entwicklung der sozialen Nachhaltigkeit: Während Humboldt in den Anden herumkraxelte, krepierten in England die in den Teufelsmühlen der Fabriken entstellten Arbeiter*innen in den fäkalverseuchten Rinnsteinen der hoch­verdichteten Industrie­städte an kohlestaub­durchsetzter Luft. Heute schreiben wir unter dem Begriff »soziale Nachhaltigkeit« gegen Leistungs­druck in der Popkultur an, setzen uns für faire Gewinn­verteilung ein, propagieren Diversity und Equality und finden es selbst­verständlich, dass Frauen wählen dürfen. Im Vergleich zu den damaligen Verhältnissen sind unsere Probleme heutzutage – ja, genau – First World Problems. Dadurch haben wir aber gelernt, dass emotionaler Druck genauso existenzbedrohend sein kann, und wir haben ein Bewusstsein dafür erlangt, wie verantwortungsloser Konsum im globalen Norden ganze Gesell­schaften im globalen Süden prägt. Bis eine glaubwürdige soziale Nach­haltigkeit erreicht ist, liegt noch ein weiter Weg vor uns.

Auch draußen tanzt es sich besser, wenn man auf sich und die Umwelt achtet. (Foto: Christopher Glanzl)

Die dritte Säule, die ökonomische Nachhaltigkeit, bedeutet prinzipiell, dass sich eine Unternehmung früher oder später einmal selbst erhält und vielleicht sogar Gewinn abwirft. Problematisch ist diese Nach­haltigkeit insofern, als dass ökologisch und sozial nachhaltige Geschäftspraktiken heute in der Regel noch wenig wirtschaftlich sind. Öl- und Gasheizungen zählen zu den billigsten Wärme­produzenten, Fleisch aus Massen­tier­haltung kostet weniger als Biofleisch, und je mehr chinesische Kinder und indische Mütter bei der Herstellung von Mobil­telefonen und trendy Fashion ums Leben kommen, desto billiger ist es, im freshesten Look durch die Innenstadt zu flanieren. Mit gutem Gewissen eine nachhaltigere Unter­nehmens­bilanz zu zaubern, bedeutet in der Regel entweder von Förderungen abhängig zu sein oder hoch­preisige Güter zu verkaufen – und das wiederum führt zur sozialen Frage der Leist­barkeit. Die Sache ist also äußerst komplex, lässt sich aber genauso angehen, wie eine große Reise: mit dem ersten Schritt.

Der Betrieb eines Veranstaltungs­raums verursacht Emissionen, die vermeidbar sind, so viel steht fest. Das beginnt beim Eingang, wenn man an der Kassa das Eintrittsbändchen erhält und die Schutzfolie von dessen Klebe­streifen im A wie Abfall landet, und endet an der Hintertüre, wo über dem Notausgang die ungenutzte Abwärme aus dem Z wie zentralen Lüftungs­system strömt. Dazwischen liegen beispiels­weise der Barbetrieb mit gastronomischen Angeboten aus möglicher­weise zweifelhaften Produktions­verhältnissen und natürlich Licht und Ton als Strom­fresser. Zu deren Verbrauch gibt es verschiedene Zahlen, die je nach Größe und Ausstattung des Clubs stark variieren. Im Schnitt verbraucht ein mittelgroßer Club pro Jahr rund so viel Strom wie 30 Zwei-Personen-Haushalte. Die genaue Menge hängt davon ab, wie oft und wie laut die Musikanlage läuft, was an Licht, Heizung und Lüftung installiert ist und so weiter. Für die komplette Ökobilanz kommen dann noch Abfall­management und andere Dinge hinzu wie etwa die Stromquelle selbst. Der Innsbrucker Club Dachsbau hat dank günstiger Alpenlage mit 15.000 Kilowatt­stunden reinem Ökostrom einen anderen Fußabdruck, als ein Wiener Pendant, das über den Strommix auch tschechischen Atom­strom bezieht.

Inside the Machine

Von der elektronischen Hardware made in China kann sich ein Club aber genauso wenig verabschieden, wie sich Eigenheimbesitzer*innen im Weinviertler Outback von ihrem Auto trennen können, weil sie in die Stadt zur Arbeit müssen. Sich ein Einfamilien­haus auf die grüne Wiese zu stellen, das konnte man in der Vergangen­heit schon mal machen, heutzutage ist es ökologisch fragwürdig. Aber wer dorthin geboren wurde, dem kann man schwer die Schuld am Klima­wandel geben, nur weil der Schulbus noch mit Diesel fährt. Die meisten Rahmen­bedingungen in unserem Leben haben wir uns eben nicht selbst ausgesucht. Anders formuliert: Die globale Techno­sphäre (sic!) operiert aktuell nicht nachhaltig und als Homo oeconomicus am Ende der Wert­schöpfungs­kette ist man prinzipiell darauf angewiesen zu fressen, was einem die unbarm­herzige Produktions­maschinerie vor die Füße wirft.

Allerdings: Es regt sich Widerstand. Bei einer Befragung durch Clubtopia, eine Initiative zur Ökologi­sierung der Clubkultur, in Berlin im Frühjahr 2018 (also noch vor der Gründung von Fridays for Future) haben sich satte 89 Prozent der 530 befragten Gäste von den Club­betreibenden gewünscht, dass diese sich aktiv für eine umwelt- und klima­freundliche Clubszene einsetzen. 82 Prozent der Befragten wären bereit, auch selbst dazu beizutragen. Für Wien fehlen solche Zahlen zwar, in der Podiumsdiskussion beim Kick-off-Event von About Later, Wiens erstem Veranstaltungs­kollektiv, das sich explizit einer nachhaltigen Clubkultur verschrieben hat, war man sich aber einig, dass auch hierzulande die Stimmungs­lage ganz ähnlich aussieht.

Nachhaltigkeit wird als etwas Positives wahrgenommen, und sich dafür zu engagieren, ist eine gute Sache. »Leute fühlen sich gut, wenn sie Gutes tun«, resümierte Penny Fox von der Worldtrash Foundation am Podium, »und eine solche Stimmung schlägt dann natürlich auf die ganze Veranstaltung um«. Wie schwierig es ist, bei all dem Feel-good den Blick fürs Wesentliche zu behalten, zeigte das Booking bei der anschließenden Party; das männer­dominierte Line-up führte einmal mehr bekannte Probleme der sozialen Nachhaltigkeit vor Augen. In der ökolo­gischen Dimension ist jetzt aber zumindest ein expliziter Anfang gemacht.

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