Die Clubkultur versteht sich als Vorzeigemodell für ein diskriminierungsfreies gesellschaftliches Miteinander. Auch im deutschsprachigen Raum zielen ihre Akteur*innen nun immer mehr darauf ab, sich dem Kampf gegen die menschengemachte Klimakatastrophe und für eine rundum verträgliche Lebens- und Feierweise einzusetzen. In der ökologischen Dimension ist das ein schwer zu erfüllender Anspruch, in sozialen Fragen brilliert die Nacht dafür umso mehr. Ein Blick auf die Szene, die sich immer weiter ins öffentliche Bewusstsein schiebt.
Dass Gutes zu tun guttut, spüren viele Veranstaltungskollektive schon. Sie nützen Carsharing-Angebote, teilen Lagerplätze, tauschen Deko und Technik. Bau- und andere Materialien werden so oft verwendet wie möglich. Snappis, Molton, wiederverwendbare Kabelbinder oder Draht – das sind die Gegenentwürfe zu Einwegprodukten. Manch ausrangierter Gegenstand erwacht im Club zu neuem Leben. Upcycling ist nicht nur Methode, sondern auch Mode, Reparieren selbstverständlich. Die Leipziger Initiative Trash Galore hat diese Prinzipien vom Clubkontext heraus professionalisiert und wird mittlerweile sogar von großen Messen für die Wiederverwendung von Bühnen- und Dekoelementen angeheuert.
Überhaupt lässt sich die Clubkultur als Teil der Sharing Economy bezeichnen. Sie demonstriert, wie mit einer Vielzahl individueller Entscheidungen die Paradigmen des herrschenden Systems schlichtweg ignoriert und antikonsumistisch eine Transformation vorangetrieben werden kann, die nebenbei auch noch Spaß macht. Damit steht sie in einer Reihe mit gesellschaftlichen Trends wie Tiny Living, emissionsfreier urbaner Mobilität, bewusster Ernährung und einem durch Corona katalysierten Regionaltourismus. Sie alle führen zu dauerhaften kulturellen Erneuerungen, die auf verändertem Konsumverhalten basieren. Wie weit dies bereits in die Gesellschaft ausstrahlt, zeigt der kürzlich publizierte »Leitfaden für nachhaltiges Feiern«, der im Zuge eines interdisziplinären Praktikums an der Grazer Karl-Franzens-Universität entwickelt wurde. Was die clubkulturelle Praxis in Individuen bewegt, resoniert in Wissenschaft, Wirtschaft und letztlich auch Politik.
Die Crew rund um das niederösterreichische Soundsystem Shalamanda HiFi ging sogar so weit, eine eigene Firma zu gründen. Weil es das Dub-Kollektiv satthatte, auf seinem sonst nachhaltigen Festival stinkende Chemietoiletten aus Plastik stehen zu haben, hat es seine eigenen Mobiltoiletten entworfen. Fünf Jahre später ist aus dem Hippie-Start-up Öklo, ein bekanntes Vermietungsservice für nachhaltige Komposttoiletten geworden. So viel ökologischen Idealismus in das eigene Unternehmen zu stecken, ist nicht selbstverständlich, aber es kommt vor.
Die Wiener Clubszene sieht die Angelegenheit recht pragmatisch. In den Städten, wo vielfältige Nutzungsansprüche an den öffentlichen Raum und sommerliche Hitzewellen das Thema Nachhaltigkeit besonders greifbar machen, sind einschlägige Initiativen öffentlichkeitswirksam und damit auch ein Hebel für Förderungen. Das Wiener Fluc am Praterstern hat kürzlich beim Programm »Neustart Kultur« des Bundes eingereicht, wie der dortige Musikverantwortliche Peter Nachtnebel berichtet. Angesucht wurde um einen sechsstelligen Betrag, mit dem rund um die geplante Begrünung des Pratersterns auch eine Fotovoltaik-Anlage am Clubdach finanziert werden soll.
Verzwickte Abhängigkeiten
In der Szene bewegen sich also finanzielle Beträge, die teilweise kein Kleinvieh mehr sind, und in der Summe machen sie erst recht ordentlich Mist. Das wird besonders deutlich bei den Kleinstinvestitionen der Gäste, die sich insgesamt zu einem wesentlichen Geschäftsfaktor ausweiten: »Ein Nachtlokal macht den Großteil seines Umsatzes mit dem Getränkeverkauf«, erklärt Walter Gössinger vom Getränkegroßhandel Juicebrothers. Das Unternehmen setzt in seinem Sortiment einen Schwerpunkt auf ökologisch nachhaltig und fair produzierte Erfrischungen. »Wenn ein Club Getränke einkauft, die nicht von einem multinationalen Konzern und seinem neoliberalen Geschäftsmodell stammen, dann macht das schon einen Unterschied«, so Gössinger weiter.
Als österreichischer Club kann man für Hersteller*innen aus der Region zu einem wichtigen Standbein werden, Getränkeriesen, die für schlechtes Geld am Ende der Welt produzieren lassen, wirft man damit aber nicht aus der Bahn, wie Frederik Lordick vom Club Dachsbau und der Innsbruck Club Commission erläutert: »Wir versuchen, bei allen Produkten keinen Konzern zu führen, der verwerflich ist. Ab einer gewissen Größe des Clubs ist man aber oft gezwungen, auf gewisse Alternativen zu verzichten.« Konkret betrifft das Getränkehersteller, deren Logos in vielen Clubs prangen. Sie machen den wirtschaftlich oft schwierigen Betrieb durch Sponsorings möglich, nehmen damit aber die Betreibenden in der Mangel und halten ihre Getränke im Sortiment.
Solche einseitigen Abhängigkeitsverhältnisse sind nicht gerade ein Aushängeschild für die Clubkultur, die in puncto sozialer Nachhaltigkeit ansonsten ein Vorzeigemodell für ein wertschätzendes Miteinander ist. Während einer Veranstaltung lebt man nämlich in einer anderen Welt in der zunächst viel anti daherkommt: Antisexismus, Antirassismus, Antikapitalismus, Antifaschismus – kurz: Antidiskriminierung. Niemand soll schlechter behandelt werden, weil man sich abseits einer erfundenen Norm befindet. Wie von unsichtbarer Hand entwickelt sich aus diesem Paradigma ein Pro-Verhalten: pro Einvernehmlichkeit, pro Entscheidungsfreiheit, pro Freiwilligkeit.
Während »draußen« Konkurrenz und Wettbewerb das gesellschaftliche Gefüge unter dem Leitbild von Leistung und Erfolg zusammenkitten, halten »drinnen« Wertschätzung und Kooperation ein aufgeschlossenes Zusammensein aufrecht. Im Club entwickelt sich ein neues »Normverhalten«, das nachhaltig beeindruckte Besucher*innen in ihre andere, alte Normalität hinaustragen. Allerdings ist das vor den Kulissen gelebte Ideal noch immer in die historisch gewachsenen Strukturen der Gastro- und Kulturbetriebe eingebettet und leidet damit häufig unter neoliberaler Verwertungslogik: prekäre Anstellungsverhältnisse, sexistische und hierarchische Arbeitsbedingungen, abstruse Arbeitszeiten, Fremd- und Selbstausbeutung. Um diesen Missständen wirksam entgegenzutreten, ist ein gemeinsames Vorgehen vonnöten.
Die institutionelle Ebene
Clubkultur ist nicht mehr nur Nische, sondern für viele Menschen Arbeitsplatz, Zufluchtsort, Entspannungsmöglichkeit, Passion und Lebensmittelpunkt. Ein geeinter Auftritt ist in der Clubkultur mitunter schwierig, aber in der politischen Arena notwendig. Die Club Commission Berlin besteht daher bereits seit 20 Jahren und im vergangenen Jahr zog auch die Stadt Wien nach. Als öffentlich finanzierte Service- und Beratungsstelle wurde die Clubkultur mit der Vienna Club Commission politisch gewürdigt. Eine weiterführende Finanzierung wurde von der Stadt Wien bereits zugesichert, die offizielle Ausschreibung für die Nachfolge des im November auslaufenden Pilotprojekts lässt allerdings vor dem zweiten Corona-Winter noch auf sich warten. Die erst kürzlich ins Leben gerufene Szenegewerkschaft Deck und die als Reaktion auf das pandemieverstärkte künstlerische Prekariat gegründete IG Club Kultur dürften damit weiter an Bedeutung gewinnen.
Das Commission-Pendant in Innsbruck besteht weiterhin ohne Unterbrechung, ist aber wegen der Ehrenamtlichkeit seines Engagements strukturell kaum nachhaltig, wie Frederik Lordick betont. Beide Beratungsstellen seien in ihrer bisherigen Funktionsperiode noch kaum von Clubs zu Maßnahmen der Nachhaltigkeit angefragt worden – allerdings agierten beide seit ihren Gründungen Anfang 2020 quasi durchgängig im Pandemiemodus.
Martina Brunner und Laurent Koepp von der Vienna Club Commission reflektieren ihre Arbeit in Richtung Nachhaltigkeit hauptsächlich über die soziale Perspektive. Auf www.viennaclubcommission.at finden sich sowohl Leitfäden zu Barrierefreiheit und Gender Equality als auch zu Schallemissionen und Müllvermeidung. »Wer auch immer die VCC in Zukunft leiten wird, der Anspruch an eine Expertise in Richtung Nachhaltigkeit aller Art wird auf jeden Fall immer wichtiger«, stimmen Koepp und Brunner überein.
Weit über diese lokalen Best Practices hinaus bildeten sich überregionale Zusammenschlüsse wie beispielsweise die Green Music Initiative in Deutschland. Sie möchte, so wie die global agierende NGO Music Declares Emergency, die sich ebenfalls aus dem Club- und Livemusik-Bereich entwickelte, einen alternativen Betrieb zur Emissionsminimierung – und weiters bis hin zu Gagenfairness für Acts – etablieren.
Auf den ersten Blick fällt es schwer, alle nächtliche Feierei unter den einen Hut der Clubkultur zu bringen. Zwischen fundamental-widerständigem Anarcho-Tekk und mainstream-fähiger EDM liegen allein in Wien schon Welten – darüber hinaus sitzen eigentlich auch Festivalveranstaltende, Messebetreibende und Outdoor-Ravende im selben Boot. Die gesellschaftliche Transformation hin zu mehr Nachhaltigkeit greift aber schon von Haus aus auf zwei Ebenen: Zum einen sorgt der längst überfällige Umbau hin zu einer ökologisch nachhaltigeren Club- und Feierkultur für weniger Umweltverschmutzung und zum anderen lassen neue Kooperationen auf dem Weg zu diesem gemeinsamen Ziel in branchenübergreifenden Solidargemeinschaften eine sozial nachhaltigere Praxis gedeihen.
Die Richtung stimmt!
Nachhaltigkeit und Klimawandel machen nämlich keineswegs an der Schwelle des Hedonismus Halt. Die Beständigkeit der Clubkultur hängt deshalb letztlich auch davon ab, ob diese imstande ist, das postpandemische Momentum für eine nachhaltige Transformation zu nutzen. Es scheint wenig Zweifel daran zu geben, dass die »alte Normalität« Vergangenheit ist. Eine Subkultur, die den Trend der Nachhaltigkeit und ihre drei Säulen nicht internalisiert, wird kaum von Bestand sein.
Die Dringlichkeit des Klimawandels erfordert konsequentes Handeln auf allen Ebenen. Vor uns liegt nicht nur eine Zeit der technischen Lösungen für eine Wirtschaft, die außer Kontrolle geraten ist, sondern auch und vor allem eine Zeit des gesellschaftlichen Wandels. Was sich die Zivilisation seit Humboldt und der industriellen Revolution angelernt hat, ist nun wesentlich zu überdenken und neu zu gestalten. Auch die Clubkultur ist Teil dieser notwendigen Entwicklung. Sie ist nicht nur ein Resultat des konsumistisch-hedonistischen Konstrukts und damit ein Teil des Problems, sondern auch ein Teil der Lösung. Wie kaum eine kulturelle Bewegung ist sie offen und progressiv, besonders in ihrer sozialen Dimension – und darin liegt ihre größte Chance.
Bernhard Kastner ist wissenschaftlicher Koordinator für nachhaltige Wirtschaftsentwicklung an der Universität für Bodenkultur in Wien. Unter seinem Alias Ernst Huber geistert er als engagierter Gast und kritischer Mitveranstalter seit einigen Jahren durch die Wiener Clubkultur. Aktuell residiert er als DJ Ernstl beim Kulturverein Untere Willkyr. Co-Autor Sandro Nicolussi ist Chefredakteur von The Gap und ebenfalls in der Clubkultur verwurzelt.