Recherchier es halt selbst!

Auch im Online-Journalismus und der Contentproduktion darf man gerne mal zu klassischen Recherchemethoden greifen.

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Social Media ist super, um dein altes Billy loszuwerden, einen neuen Zahnarzt zu finden oder ein gutes Fischlokal. Sogar Menschen mit fünf Minuten – versprochen, nicht mehr! – Zeit, die an deiner Psychologie-Masterarbeits-Umfrage teilnehmen, wirst du unter deinen armen Internet-Freunden finden. Die Crowd ist gut, sie weiß, was am besten für dich ist, sie hilft.

Ist man mit Journalisten und Content-Menschen befreundet, schleichen sich zwischen Billy-Regal und tägliche »Fritzi sucht eine WG«-Aufrufe jene, die mit »Ich bräuchte für einen Artikel …« beginnen. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Für manche Problemstellungen bietet sich diese Form der Recherche – ja, es ist eine – an. Aber den Imker fürs kurzfristig eingeplante Honigspecial findet man eben auch anders – ohne dabei die Crowd mit der eigenen Unfähigkeit, einen Telefonhörer in die Hand zu nehmen und beim Österreichischen Imkerbund anzurufen (01 5125429), zu konfrontieren. Stell dir vor, der Zahnarzt, den du kürzlich via Facebook-Empfehlung gefunden hast, würde ein Foto deines Gebisses posten und seine FB-Zahnarzt-Freunde fragen, wo er denn jetzt genau bohren soll – lassen wir für den Vergleich mal das Datenschutzrechtliche außen vor. Zwar gehört Social Media sicherlich mehr zu den Recherche-Tools eines publizierenden Menschen als zu denen eines Zahnarztes – aber bitte doch nicht für alles! Nicht nur macht man sich selbst beim achten crowdgesourcten Artikel lächerlich, häufig entsprechen die durch diese Suchmethoden entstandenen Werke auch den Recherche-Künsten ihrer Verfasser. Denn wir haben alle schon mal einen Artikel gelesen, der »Was unsere Generation über Liebe denkt« hieß und nicht mehr war als eine Umfrage des Autors unter seinen fünf besten FB-Freunden. Wenn die eigene Crowd, das eigene Milieu dann schnell zu etwas stilisiert werden, was sie nicht sind und dadurch Artikel in einer kaum erträglichen Masse entstehen, die auf allen Ebenen falsch sind, kann auch Facebook nicht mehr helfen.

Chefredakteurin Amira Ben Saoud schreibt im Editorial zumeist über Medienthemen. Auf Twitter eher über Harambe und Boris Becker oder gar nicht. @oidaamira

bensaoud@thegap.at

Bild(er) © Jasmin Baumgartner
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