Remember, Remember

Warum soll man sich überhaupt an ältere Bands erinnern? Die Facebook-Gruppe „A Sanctuary For Forgotten Bands“ will vergessene Perlen der Musikgeschichte wieder ins Bewusstsein zurück bringen. Der Gründer und FM4-Redakteur Boris Jordan erzählt uns im Interview welche man dann doch besser vergisst und warum er trotzdem "Summer of 69" auswendig kann.

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Ab wann gilt eine Band als vergessen?

Ich hatte für die Facebook-Gruppe anfangs gedacht, dass es normal wäre, die Anzahl der YouTube-Klicks als eine Art "Währung" einzuführen. Manche schwer zu googelnde Sachen, wie etwa den Bostoner Musiker The Count oder den New Wave-Polemiker The Legend konnte ich in dem größten Archiv, das es je gegeben hat, gar nicht finden. Diese Erinnerungen an Vergessenes werden also vergessen bleiben müssen. Das wäre dann die nächste Herausforderung, ein Borges‘ sches Projekt: Eine Sammlung vergessener Dinge, an die sich zu erinnern gar nicht mehr möglich ist.

Warum werden Bands vergessen und ist das nicht oft besser so?

Das Gegenteil ist wahr. Man wird in den meisten unguten Fällen am Vergessen gehindert. Wie gerne hätte ich "In the Air Tonight", "Summer of 69" oder "Hotel California" vergessen, aber ich werde täglich in Kaufhäusern und Bäckereien dazu gezwungen, das Zeug bis an mein Lebensende auswendig zu können. Wer sich die Einträge ansieht, denkt sich bei den meisten: Wenn es einen Gott gäbe, dann wäre nicht Mecca Normal vergessen, sondern so was wie Phoenix. Coldplay oder Keane etwa sind, obwohl vergessenswert, gerade nicht vergessen, sondern sie wurden unlängst als die wichtigsten Bands aller Zeiten gewählt – von BBC Radio 2-HörerInnen, die von aller denkbaren Musik immer nur genau diesen winzigen Bruchteil vorgesetzt bekommen, aus dem sie dann in einem scheindemokratischen Voting-Prozess einen Kanon bauen, der sich selber legitimieren soll, zusammengesetzt aus 70% vergessenswerter Musik. Das ist banale Postdemokratie, ich weiß, aber pikanterweise haben die Musikredakteure im Kommentar zu dem Poll zart eingewandt, dass es ja auch die Beatles und so weiter gegeben hat. Sie haben die Geiste, die sie formatgerecht gerufen hatten, erst erkannt, als sie sie nicht mehr loswurden

Was war die Motivation die Gruppe zu gründen? Gab es einen konkreten Anlass?

Das ist rein privat entstanden, wie wohl die meisten interessanten unkommerziellen Aktivitäten auf den Sozialen Medien: An einem launigen Abend, als ich einem Musikerfreund ein Lied vorspielen wollte, das einmal wichtig für mich war – "Drinking my Own Sperm" des chilenischen Aktionisten und Musikers Alvaro Pena – und das Lied auf YouTube 400 Klicks hatte. Der Mann gilt als Mitbegründer von The Clash und war eine wichtige Figur des frühen Punk/DIY in London, als Punk und die Kunstszene noch nicht zu trennen waren. Und der hat 400 Klicks!

Die Gruppe hat einen starken Drall Richtung US, UK – gibt es nicht auch tausende vergessene Bands aus Österreich, die es wert wären, bei euch vorzukommen?

Die Welt lässt sich nicht belügen: Die meisten guten Bands kamen aus diesen Ländern, daher auch die meisten vergessenen. Was mehr auffällt ist, dass die Bands stets aus weit zurückliegenden Epochen wie den 80ern und 90ern kamen, aber das liegt wohl bei Erinnerungskultur und Oral History in der Natur der Sache, und oft auch aus Epochen die zwischen den Epochengrenzen liegen: Pub Rock zwischen Glam und Punk, zu schnell gesignter Melodie Hardcore aus der Zeit nach Nirvana, Americana zwischen Camper Van Beethoven, R.E.M und der zweiten großen Zeit um Mitte Neunzig – hier wurden ganze Genres und Generationen von MusikerInnen vergessen. Und natürlich schauen die Leute auf ihre Plattenregale und somit zurück in ihr Leben, was die mitunter stärksten Elemente des Pop, das Situative und das Biografische, reaktiviert.

Ich habe nicht wenig österreichische Bands in der Gruppe erstmals gehört – steirische, oberösterreichische, die Tiroler hab ich meist schon gekannt. Ich finde das geht schon ganz gut. Wer österreichisch Schnüffeln will hat ja eh das super SRA-Archiv, da lohnt sich ein Blick. In der Popwarenwelt sind eben lokale, unkommerzielle Bands irgendwann vergessen und das trifft auf viele österreichische zu, zumal viele nur Lokalstatus hatten.

Und: Es gibt gar nicht wenig TeilnehmerInnen, die selbst in österreichischen Bands gespielt haben und ich habe von Anfang an den Tag gefürchtet, an dem eine dieser Bands als "vergessen" bezeichnet wird – aber die eine Krähe hackt der anderen offenbar kein Auge aus.

Gibt es für die Gruppe Vorbilder, Youtube-Kanäle, Twitter-Accounts, Tumblrs, Websites, Bücher? Empfehlungen?

Lux Interior, Irwin Chusid, Allen Jenkins, Thomas Meinecke….Ja und Nein. Schnüffeln in dem was andere weggeworfen haben, ist seit den Achtziger Jahren eine der spannendsten Tätigkeiten des Musikneugierigen – mit dem Unterschied, dass heute ein Konsens zu herrschen scheint, dass alles blitzschnell verfügbar ist und ohnehin auf dem Tisch liegt – wie man an einigen YouTube-Beispielen sieht, ist dem überhaupt nicht so und das Netz ist heute genauso mit Adele– und Mumford & Sons-Starschnitten zugekleistert, die einem die Sicht verstellen, wie es in Vor-Netz-Zeiten die rosaroten Titelblätter mit Limahl der 4 Non Blondes bei den Zeitschriftenregalen waren. Man sieht hier, an was für Unsäglichkeiten man sich mühelos erinnert, Limahl, mein Gott. Die Funktion, zu sagen "He, wirf das weg und schau dir das an", das was große Geschwister, coole Freunde oder auch Medienfenster wie FM4 oder Die Musicbox taten, das macht eben heute im besten Fall die Schwarmintelligenz. Daher wäre es gut wenn sich viel mehr Leute der Gruppe anschließen oder selber eine vergleichbare gründen würden.

Das eigentliche Vorbild ist eine andere von mir bereits betriebene Facebook-Gruppe mit dem Namen "Movement for Reconciliation with your Uncool Musical Past". Was nach Wickie, Slime und Paiper klingt, hat aber pophistorisch nicht Unwichtiges zu sagen: Dass die meisten Menschen ihre Biografien mit Musik kartographieren. Wie war ich in der Lebensphase drauf, was fand ich gut, wie dachte oder fühlte ich? – das lässt sich am Besten und Schnellsten mit einem Sound beantworten. Und in der Biografiebastelei lassen die meisten Leute außen vor, dass sie eben gerade nicht immer die Avantgarde oder die ersten HipHopper der Stadt waren, sondern in verschiedenen Phasen immer auf uncoolste Sachen standen, die später ausgeblendet wurden, um zu einer stringenteren erinnerten Biografie zu gelangen – und zuzugeben, dass man mal Billy Joel oder Schnappi gut fand, ist sehr heilsam – dazu war die Gruppe da, die war das Vorbild für die aktuelle Gruppe.

Die letzten Einträge wurden nicht mehr gar so viel angesehen wie anfangs, gründest du jetzt bald A Sanctuary For Forgotten Facebook Groups?

Alles Fleisch ist wie Gras. Es wird wohl auch mal ein Sanctuary für forgotten Magazines for Glamour & Discourse geben, das wird genauso flüchtig und genauso interessant wie das hier sein.

Gibt es Pläne daraus mal etwas anderes zu machen oder ist das einfach mal ein Zeitvertreib von 200 Nerds?

Man kennt das Zitat "More Bands like Us" – je mehr hier mitmachen oder anderweitig eine gegenkulturelle Erinnerungskultur pflegen, die kurios, freundlich, erschreckend, interessant und überraschend ist desto besser – auch als Gegenmittel zu den Algorithmen von Amazon und iTunes, die die große Bruder-Rolle usurpieren wollen. Die Leute, die Mitglied der Gruppe sind, sind oft JournalistInnen oder MusikerInnen – wenn ihr wollt also "Nerds" – aber haben vielleicht auch kein unerschöpfliches Repertoire an vergessenen Bands. Und es gibt so viele davon. Das Vergessene ist vielleicht ein größeres Feld als das Erinnerte. Somit sind alle eingeladen, sich anzumelden und je mehr mitmachen, desto breiter und dichter wird der Teppich der Erinnerungen.

Die Facebook-Gruppe A Sanctuary For Forgotten Bands ist offen, Interessierte können jederzeit mitmachen. br />

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