Roadtrip-Metamorphose des Karl Schmidt
Sven Regener fabuliert wie Thomas Bernhard auf Uppern. Lang sind die Sätze, groß die Emotion und wir werden alle kontaktstoned. Im Hintergrund wummert uneingeschüchtert der gute alte BummBumm vorher zum Draufkommen und nachher zum Chillen.
Was wurde eigentlich aus Karl Schmidt, dem besten Freund von Herrn Lehmann? Das mag man sich zwar noch nicht gefragt haben, aber man sollte es definitiv langsam mal tun und die Antwort dazu lesen. Sven Regener ist ein hervorragender Figurenzeichner. Er staffiert liebevoll seine Charaktere aus und deshalb trifft es sich gut, dass er auch gerne Figuren von früher wieder aufgreift. Nun hat Charly Schmidt seinen Soloauftritt und weil Magical Mystery so etwas wie ein Mini-Entwicklungsroman ist, wird er zum Karl Schmidt und irgendwie auch wieder zum alten Charly, nur ohne Drogen. Nach einer kurzen Auszeit in der Psychiatrie wohnt er in einer Altonaer Drogen-WG ein beschütztes geregeltes Glashausleben. Das betreute Wohnen bringt Regelmässigkeit ins Leben; er ist abgestumpft gegen jegliche Vergnügungen und deshalb auch nicht konfrontiert mit Genuss und Gelüsten vom lottrigen Leben davor. Fünf Jahre ist das circa her. Charly Schmidt war damals in Berlin, am neon-grell tätowierten Nabel der Rave-Szene. Die Mauer ist mittlerweile gefallen, doch die alten Techno-Kumpels stehen noch unverwüstlich. Aus ihrem Bürokabuff von BummBummRecords ist ein großes Büroloft gewachsen und sie wollen auf Tour gehen mit dem Spirit der 60er mit dem Ziel das BummBumm und den fröhlichen Gemeinschaftssinn in das geeinte Land hinauszutragen. Vom Münchner Hofbräuhaus bis nach Schrankenhusen-Borstel. Dem faceless Techno wollen sie ein Gesicht geben, der eintönigen Freude ihren Labelnamen aufdrücken, denn der Gummistiefel-Techno darf nicht Überhand nehmen. Warme Liebe soll ins harte Musik-Biz fließen. Der Grad zwischen Mitmachfaschismus und Kaltem Krieg ist schmal und Haschischqualm macht noch keinen Hippiefrieden. Charlie reift im Spannungsfeld von Magical Mystery heran und wird durch die Verantwortung als einzig Nüchterner zum Mediator, Tour-Hausmeister und Babysitter von einem Kleinbus voller Techno-Freaks. Er bugsiert seine Extasevögel durch die Clubs und Billighotels, seine Quatschmauken durch die Laber-Flashes. Niemand käme dabei auf die Idee, er sei selbst mal ein Multitox-Problemfall gewesen. Die Welt vor seinem Nervenzusammenbruch ist Schwarz-Weiß in seiner Erinnerung, jetzt sieht er die Szene bunt und klar und doch gilt es gelegentlich dem Sperrfeuer der alkoholischen und kokainistischen Verlockungen zu trotzen. Der Road-Trip führt zur Konfrontation mit dem Problem-Charly und zu einem Buch mit Auftrieb und Neuanfang.