Antichrist

Neues vom Trickser

Lars von Trier hat Psychoanalyse, Naturmystik und Körperschocks zu einem Ehehorrorfilm geschichtet. Der ist nur halb so gaga, wie es aus Cannes hieß, aber trotzdem ganz in Ordnung.

Aus rechtlichen Gründen werden Artikel aus unserem Archiv zum Teil ohne Bilder angezeigt.

„Chaos regiert“, spricht ein Fuchs, der eben noch an seinen heraushängenden Eingeweiden gekaut hat, in die Kamera. Ein Schelm, wer bei diesem Schlüsselmoment aus „Antichrist“ den ausgefuchsten Arthouse-Provokateur Lars von Trier selbst wieder zu erkennen glaubt: Der kehrt auch gern öffentlichkeitswirksam sein Innerstes nach außen – mit „Antichrist“ will er eine schwere Depression therapiert haben –, und beschwört mit auktorialer Geste eine chaotische Welt des Fressens und Gefressen-Werdens. Und wie in dem grotesken Bild des Fuchses liegen bei von Trier Offenbarungspathos und launisches Augenzwinkern tückisch nah beisammen.

Trauer, Schmerz, Verzweiflung heißen die drei Stationen, die von Trier eine Frau (leidensfähig: Gainsbourg) durchleben lässt, die sich am Unfalltod ihres Kindes schuld fühlt. Ihr Mann (verständnisvoll: Dafoe), ein Therapeut, lässt die Psychopharmaka der Depressiven absetzen und fährt mit ihr hinaus in den Wald, um gemeinsam Trauerarbeit zu leisten. Die Ferienhütte heißt Eden, aber Flora und Fauna sind mit dämonischen Kräften im Bund: Wo Blätter bedrohlich wogen, Eicheln hart gegen das Dach trommeln und Raben böse krächzen, kriechen auch hinter der liberal-mittelständischen Zweierbeziehung bald atavistischere Formen des Geschlechterverhältnisses hervor. Stichwort: Gynozid. Die gegenseitige Gewalt, die im letzten Drittel schließlich in drastischen Bildern losbricht, hat dem Film bei der Weltpremiere in Cannes Publicity wie Schmähungen eingetragen, erwächst aber durchaus folgerichtig aus dem bereits gelegten Erzählfundament. (Sogar für den Fuchs gibt es, naja, eine Erklärung.)

Weil von Trier noch seine besessensten Erzählungen mit einer Watteschicht aus Ironie abfedert, ist „Antichrist“, Verstümmelungen hin oder her, ein emotional eher gefahrloses Unterfangen, wenn auch nicht ohne Reiz: Das feige Konzept von „Dogville“ oder „Breaking The Waves“, Frauen-Opferfantasien so forciert auszubuchstabieren, dass die Filme zugleich als ergreifende Melodramen, sadistische Scherze und Kritik einer misogynen Gesellschaft konsumierbar werden, führt der Film an die Grenzen seiner Belastbarkeit. Die Zweischneidigkeit seines Frauenbilds wird hier zum expliziten Thema: Wenn ein aufgeklärter Mann seine Frau ganz unverblümt der Hexerei verdächtigt, dann muss man sich schon überlegen, wie man da jetzt dazu steht. Als hätte sich der Trickser von Trier diesmal selbst ausgetrickst.

Newsletter abonnieren

Abonniere unseren Newsletter und erhalte alle zwei Wochen eine Zusammenfassung der neuesten Artikel, Ankündigungen, Gewinnspiele und vieles mehr ...