Zwischen den Fronten
Einen abgerüsteten Soldaten verschlägt es nach dem Ersten Weltkrieg in die Hafenstadt Fiume (Rijeka). David B. porträtiert mit Feingefühl eine mehr als verwirrende Zeit im Niemandsland.
Der Erste Weltkrieg sollte keinesfalls das „Ende aller Kriege“ bedeuten. In der Zwischenkriegszeit wird neben Deutschland insbesondere Italien zum Schauplatz neuer Ideologien – der Faschismus Mussolinis trifft hier auf den Futurismus Marinettis. Die traumatische Erfahrung des Grabenkrieges konnte das Entstehen neuer Fantasien von Herrschaft und mechanisiertem Krieg nicht verhindern. Die Neuaufteilung Europas erzeugt zudem Spannungen zwischen alten und neuen europäischen Staaten. Unter den Gebieten, die neu zugeordnet werden, befindet sich auch die Hafenstadt Fiume, die Jugoslawien zugesprochen wird. Der Revolutionär und Dichter Gabriele D’Annunzio nutzt die unklare Situation der vormals autonomen Stadt und marschiert mit ehemaligen italienischen Sturmtruppen in Fiume ein. Italien schlägt die von D’Annunzio angebotene Annexion aufgrund des Drucks der Alliierten aus und sieht sich zu einer Belagerung gezwungen. Daraufhin erklärt D’Annunzio Fiume zur freien Republik. Der charismatische Führer hat die Sympathien der mehrheitlich italienischen Einwohner für sich – eine Aufrechterhaltung sozialer Ordnung wird aber durch Lebensmittelknappheit und Verbrecherbanden erschwert. Die innere Ordnung scheint D’Annunzio aber weniger wichtig als die Idee der Weltrevolution, die durch einen Marsch auf Rom eingeleitet werden soll …
Fiume wird so zum Schauplatz einer interessanten „revolutionären Episode“ und zum Anziehungspunkt für Revolutionäre, Künstler, Intellektuelle und Verbrecher – manchmal in Personalunion. Inmitten dieser aufgeladenen Atmosphäre erzählt David B. die Geschichte eines ehemaligen Soldaten, den es nach dem Ersten Weltkrieg nach Fiume verschlagen hat. Ihn bewegen nicht politische Ideologien, sondern die subjektive Erkenntnis der Sinnlosigkeit des Krieges und der blinden Parteinahme. Versprengt im Niemandsland zwischen den Fronten, fand Lauriano eine neue Freiheit – seitdem verfolgen ihn die Geister seiner verstorbenen Kameraden, die in ihm ein Transzendenzbewusstsein wach halten. Noch bestimmt dieses aber nicht sein Leben, das er sich eher zynisch/pragmatisch unter den gegeben Bedingungen einrichtet. Seine Utopie geht aber über Fiume hinaus, sie ist universeller und verabschiedet sich vom Denken in Gegensätzen. Lauriano weiß, dass er die Stadt verlassen muss.
David B. beweist in dieser Graphic Novel ein gutes Gespür für die verschiedenen politischen, intellektuellen und künstlerischen Strömungen, die Fiume zu einem Brennpunkt der europäischen Problematik nach Ende des Ersten Weltkriegs machen. Seine intensiven, symbolischen Bilder zeigen die immer währende Gegenwart des Krieges und die Unfähigkeit der Menschen, sich der Sogwirkung der Gewalt zu entziehen. Die Hauptfigur träumt von einem „Niemandsland“ der anderen Art – einem Land ohne verfeindete Gegensätze.