Nahe dem Stadtzentrum, zwischen Luxushotels, Sportstadion und Autobahnbrücke, liegt Gazela, eine der 150 Elendssiedlungen von Belgrad. 800 Roma, zumeist aus dem Westen abgeschoben, leben dort, zwischen Müllbergen und in den daraus zusammengenagelten Hütten. Zehntausende fahren täglich vorbei, kaum jemand kennt aber die Siedlung und die Lebensrealität ihrer Bewohner. Lorenz Aggermann und Can Gülcü haben dieses […]
Nahe dem Stadtzentrum, zwischen Luxushotels, Sportstadion und Autobahnbrücke, liegt Gazela, eine der 150 Elendssiedlungen von Belgrad. 800 Roma, zumeist aus dem Westen abgeschoben, leben dort, zwischen Müllbergen und in den daraus zusammengenagelten Hütten. Zehntausende fahren täglich vorbei, kaum jemand kennt aber die Siedlung und die Lebensrealität ihrer Bewohner. Lorenz Aggermann und Can Gülcü haben dieses Defizit zum Thema eines Kunstprojekts gemacht, dessen Publikation, als „Reiseführer“ untertitelt, mehrfach nutzbar ist: Als spannender Info-Führer eines unbekanntes Reiseziels, als Dokumentation eines humanitären Kunstprojektes und im Kern v.a. auch als interessanter Fotoband. In einer Art „Autoren-Chatroom“ – als durchlaufender Seiten-Subtext montiert – wird die politische Zielsetzung des Projekts deutlich: Es soll Bewusstsein und Wissensbasis für weitere humanitäre oder kulturelle Projekte schaffen, denn westliche Hilfsorganisationen scheitern allzu oft an ihrer schematisierten Herangehensweise und Unkenntnis der gewachsenen ökonomischen und sozialen Strukturen von Slumsiedlungen. Hierzu liefern die mehrjährigen Recherchen der Autoren, die z.T. selbst am Rand der Siedlung lebten, nun erstmals fundierte Fakten und Erfahrungsberichte. Mit seiner sehr gelungenen, ideenreichen Vernetzung der Inhalte lädt das Buch von mehreren Blickwinkeln her zu einer kurzweiligen Annäherung an dieses gerne verdrängte globale (Reise-)Thema ein.