Der Garten der Lüste – Diese Orchesterlieder fallen aus der Zeit. Sie sind fremd und finster, ein rätselhaftes Ungetüm, noch mehr als bisher.
Er ist nicht unbedingt zugänglicher geworden. Scott Walker – ehemals Boyband-Blondschopf in den 60ern – hat schon länger seine Kappe tief ins Gesicht gezogen und macht seither neue Musik. Oder Neue Musik. Jedenfalls etwas, das es vorher noch nicht gab. Wie »Farmer In The City« zum Beispiel. Man bekommt diesen dunklen Brocken nicht mehr aus dem Kopf. Knapp 20 Jahre später steht man immer noch so ratlos davor wie die Affen vor Kubricks Odyssey-Monolith. Seither konnte man Scott Walker in der Dokumentation »30 Century Man« dabei zusehen, wie er totes Schweinefleisch schlagen lässt, um einen ganz bestimmten Sound einzufangen. Man weiß, wie weit er für eine Vision geht, mit welcher Präzision und unglaublichen Liebe zum Detail. Auf »Bish Bosch« ließ er mit Meißel, langen Macheten und einem enormen Saxophon musizieren. Das ist zwar seltsam genug, um damit auf einer Party ein paar Lacher zu ernten, bei Scott Walker aber todernst gemeint. Hier gibt es keine Effekte ohne Bedeutung, hier hat alles ein Ziel, ist übervoll mit Sinn. Selbst die Stille, die sich auf »Bish Bosch« so weit ausgebreitet und tief eingenistet hat.
Geblieben ist Walkers extrem artifizieller, gespreizter und entpersonalisierter Gesang. Er erinnert immer mehr an Oper, die Worte stehen fast immer im Mittelpunkt, die Arrangements malen dazu opulente, dunkle Stimmungen. Der Wind trägt einen fauligen Geruch herüber. »Ich bin von Diktatoren fasziniert. Ich weiß nicht warum – das ist Sache eines Analysten«, meint Scott Walker in dem äußerst ausführlichen Begleittext. Sterzing in Südtirol, Nazis, ein katholischer Pfarrer und eine Rattenlinie sind gleichermaßen Teil des Albums wie der rumänische Diktator Nicolae Ceausescu, Donald Rumsfeld und Epidemien. Scott Walkers merkwürdiger Garten der Lüste fällt dabei ähnlich aus der Zeit wie Hieronymus Boschs gleichnamiger Triptychon. Ob in den fremdartigen Orchesterliedern vielleicht doch ein hoffnungsvoller Kern versteckt ist, kann wohl erst nach langer Text-Ton-Analyse beantwortet werden. Aber auch wenn nicht, macht das »Bish Bosch« kein Jota weniger mächtig, eigenständig oder beeindruckend.