Manchmal benimmt sich Kanye West so, als könnte er seine Brüder und Schwestern aus dem Tal der Tränen herausführen. Manchmal scheint ihm nur wichtig zu sei, wie gut er dabei aussehen könnte. Ein gespaltener Volksheld.
Die Strategien sehen heute anders aus als noch vor sieben Jahren. Sowohl die Befreiungsversprechen der Nation Of Islam, wie auch jene der Black Panthers haben an Glanz verloren. Was für Kanye West heute noch bleibt, ist sein christlicher Glaube und der Glaube an die Macht des Geldes. Wie sich diese beiden geschmeidig verbinden können, hat er eindrucksvoll mit seiner Durchbruchssingle „Jesus Walks“ aus dem Jahr 2004 bewiesen. Geld hat den Vorteil, dass sein Wert alle Hautfarben eint. Deshalb ist im derzeitigen Rap ununterbrochen von Business die Rede. Die ökonomische Unabhängigkeit bedeutet gleichzeitig ökonomische Wertschätzung. Weil aber Goldketten und mannshohe Autofelgen nicht mehr genügen, erzählt Kanye West von Louis Vuitton, Benz, Champagner, Prada und führt seine unwiderstehlichen Anzüge, Jeans und Sonnenbrillen vor. Er zeigt aber auch jene Seite, die über Blutdiamanten aus Sierre Leone rappt, die Präsident Bush beschuldigt sich nicht um Schwarze zu scheren und die sich gegen Homophobie im HipHop ausspricht. In einem guten Teil seiner Texte geht es darum, wie man diese manchmal widersprüchlichen Teile verbinden kann.
Seine Beats entsprachen dem bisher darin, dass sie fast immer in Gospel, Blues und Soul getunkt waren. Ein Teil seiner Brillanz als Produzent war, für jeden Text stets die passende Mixtur an Samples zu finden. Diese signalisierte mal Leidensfähigkeit, Euphorie, Hoffnung oder Verzweiflung. Sie dockte aber immer an dem Gefühl einer spirituellen Gemeinschaft an. Und das Ausmaß des Sampelns war auch früher schon teilweise so unverfroren, dass man Wests eigenen Beitrag suchen musste. Insofern ist sein neuester Hit „Stronger“ mit dem allzu markanten Daft Punk-Sample nichts Neues. Sehr wohl aber die musikalische Ausrichtung, die in den USA schon mal mit „Eurodance“ umschrieben wird. Teure Synths, Trance-Anleihen und Techno-Beats. Da hört das europäische Ohr natürlich viel weniger, wie gewagt Kanye Wests neuester Schritt ist. Ach ja, „Graduation“ reicht nicht ganz an den Vorgänger heran, ist aber trotzdem großartig. Und die mediale Schlacht um höhere Verkäufe mit 50 Cents gleichzeitig erscheinendem Album „Curtis“ scheint er auch zu gewinnen.