Der moosige Soul-Folk von Bon Iver verlässt die Hütte einer winterlichen Dämonenaustreibung und macht sich vorsichtig für zarte Sonnenstrahlen bereit.
Justin Vernons Songs steuern eigentlich nirgends hin. Sie machen stattdessen Stimmungen auf, ziehen sich darin zusammen, entfalten sich und blühen langsam wieder auf; sie haben keine Slogans, keine prägnanten Einzeiler oder fahren leicht erkennbare Melodien auf. Bei Bon Iver geht es um atmosphärische Nuancen – und um Zeit. Viel Zeit. Sie spielen mit Vorstellungen von den epischen Zyklen der Natur, von menschlichem Zusammenleben, von Pilgern und Kolonisten. Es passt ins Bild, dass die Aufnahmestudios des neuen Albums in Gehweite von Vernons Kindheit liegen, in einer aufgelassenen Veterinärklinik, in Small Town America. Auf dem Album »Bon Iver« heißen ganze fünfeinhalb Songs nach Orten in der Hinterwelt der USA, mal real, mal fiktiv. Wollig, samtig, butterweich klingt diese Gerber- und Schustermusik. Anhänger der konservativen Tea Party werden sich dementsprechend auf »Bon Iver« ebenso einigen können wie jung-urbanistische Waldschrate.
Über Bon Iver schreiben heißt auch über sein Debüt »For Emma, Forever Ago« von 2008 schreiben müssen: über die winterliche Hütte, in der Bon Iver diese Songs auf eine Art aufgenommen hatte, die sofort das Imaginationskarussell und die Mund-zu-Mund-Gerüchteküche angeworfen hatte und die zur Indie-Folklore taugt – drei Monate zog er sich alleine ins kalte Wisconsin zurück, um eine Trennung und eine Krankheit zu überwinden, wo er als eine Art Social Media-Eremit, als Überlebender seine Musik als Nebenprodukt des Lebens und als Gegengift für dessen Hinterhältigkeiten schuf. Danach kam der »Twilight«-Soundtrack, die Liveauftritte mit The National und die Zusammenarbeit mit Kanye West für »Monster«.
Das zweite Album von Bon Hiver, pardon: Iver, ist das Frühlingsalbum, mit der Justin Vernon seine winterliche Hütte verlässt. Es klingt nicht neu, nicht spektakulär, nicht einmal ungewöhnlich. Das zarte Fließen der Musik wird von Justin Vernons zerbrechlicher Stimme getragen, die – so scheint es – zahlreiche Tragödien in sich aufgenommen hat und diese nun in homöopathischen Dosen wie einen Impfstoff wieder an ihre Umgebung abgibt. Ja, dieses Album kann nicht einmal der Rausschmeißersong »Beth/Rest« mit E-Gitarrenjaulen, gefühligen Alt-Saxofonen und E-Pianogeklimper, ein ganz schlimmer Zwei-Sterne-Wellness-Scheiß, dämpfen.