Castro

Bärte und Legenden 
 Seit 50 Jahren ist der »Máximo Líder« politisches Unikat und Popkulturikone zugleich. Reinhard Kleist versucht sich an diesem Spagat in einer subjektiven Betrachtung der Person Fidel Alejandro Castro Ruz. 

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Es ist ungefähr 1956. Karl Mertens reist nach Kuba, angeregt durch einen Bericht von Herbert Matthews aus der /New York Times/, um dort Fidel Castro im Lager der Rebellen zu interviewen. Aus journalistischer Reportage wird Lebensinhalt, Mertens bleibt in Kuba. Um ihn herum kondensiert Kleist nun sowohl die Beobachtung der politischen Karriere Castros als auch das Leben auf Kuba. Karl Mertens ist ein fiktiver Charakter, er hat nie existiert. Alles andere entspricht bekannten Tatsachen. Zumindest benutzt Kleist diese Proposition, um eine Atmosphäre zu entwickeln. Das Auge des Betrachters ist nicht distanziert oder unspezifisch, sondern lebt in der Gestalt des Karl Mertens inmitten der Ereignisse, die er zu betrachten sucht. Selbst der Anschein von Objektivität wird damit aufgegeben, Kleist befreit die Fakten aus dem Zwang wissenschaftlicher Verifizierbarkeit und benutzt sie heuristisch für seine subjektive Malerei. In expressiven Strichen, die sich zu intensiven Gefühlen und Ausdrücken verdichten – erstaunlicherweise sind gewisse Parallelen zu Dean Haspiel erkennbar, der Inverna Lockpez‘ Erinnerungen an die kubanische Revolution in »Cuba, My Revolution« (DC Vertigo) zu Papier brachte – entwirft Kleist keine historische Studie, sondern ein Geflecht aus menschlichem Leben. Kleists Castro ist ein Führer, dessen Idealismus und Geltungsdrang ihn einerseits zum Helden machen, andererseits aber auch entmenschlichen. Um ihn herum entsteht und zerfällt Kuba zugleich, jeder Moment könnte die Entscheidung über die Zukunft dieser Nation bringen. Kuba ist wie Schrödingers Katze. Karl Mertens verlässt die Ethik des Journalismus, um die Ideologie dieses Kuba anzunehmen. Sein Handeln richtet sich nach Phrasen und Propaganda, während sein eigenes Leben und seine kubanische Frau an den Realitäten einer unvollständigen Revolution, politischer Pulverfässer und Handelsembargo zerbrechen. Reinhard Kleist benutzt »Castro« natürlich auch als biografisches Vehikel. Dafür stand ihm der Castro-Experte Volker Skierka beratend zur Seite. Zugleich scheint es auch ein Versuch zu sein zu erfassen, wie Fidel Castro und das Kuba, das er prägte, im Leben der Menschen Platz finden kann. Diese Menschen kommen in »Castro« nur indirekt zu Wort, der Fokus liegt allein auf dem Commandante in Jefe. Jedoch in dem Lebensgefühl, dass Kleist seiner Interpretation von Fidel Castro zuschreibt – von seinen jungen Jahren auf der Plantage seines Vaters bis hin zu seinen gesundheitlichen Problemen und der Übergabe der Staatsgeschäfte an seinen Bruder Raúl –, spiegeln sich nicht nur die Emotionen eines Individuums.

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